Süddeutsche Zeitung

Isarvorstadt:Im Künstlerhaus sind viele Wohnungen frei

Allerdings sind sie seit zwei Jahren Baustellen, auf denen nichts mehr passiert - zum Verdruss der letzten Mieter in dem Anwesen, die jetzt mit einer Aktion auf den Missstand hingewiesen haben.

Von Anna Hoben

Ein stolzes Haus, im Jahr 2004 mit dem Münchner Fassadenpreis ausgezeichnet: Nie käme ein Passant von außen auf die Idee, wie es in der Thalkirchner Straße 80 innen aussieht. "Jetzt weiß ich, warum da nie Licht brennt", sagt eine junge Frau, die am Samstagnachmittag mit ihrem Fahrrad vorbeikommt. Die verbliebenen Bewohner haben eingeladen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Sie haben Fotos aufgehängt und bereits erschienene Zeitungsartikel, und auf den Gehweg vor dem Haus in der Isarvorstadt haben sie gesprüht: "Wir haben Platz!" Auf dem Balkon des Nachbarhauses spielt die Band Les Millionaires.

Wir haben Platz - der Satz ist die sehr positive Auslegung einer Entwicklung, der man wenig Positives abgewinnen kann und die beispielhaft für das Münchner Wohnproblem steht. Zweimal ist das Anwesen in den vergangenen vier Jahren verkauft worden. Aus der Erhaltungssatzung, die den Mietern einen gewissen Schutz gewährt und der Stadt ein Vorkaufsrecht eingeräumt hätte, war das Areal zuvor herausgefallen. Viele kennen das Anwesen unter dem Spitznamen "Künstlerhaus". Die Schauspielerin Franka Potente und der Regisseur Hans-Christian Schmid haben hier gewohnt, auch viele der aktuellen Bewohner sind in kreativen Berufen tätig.

Den ansässigen Künstlern und Fotografen wurden ihre Ateliers vom Erstkäufer sofort gekündigt. Die Bewohner bekamen erst eine Mieterhöhung, dann eine Modernisierungsankündigung, nach der sich die Mietpreise um bis zu 120 Prozent erhöhen sollten. Vorder- und Hinterhaus wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt und an den heutigen Eigentümer weiterverkauft. 19,5 Millionen Euro soll der bezahlt haben - ein Preis, der damals weit über dem Marktwert lag. Im Herbst 2017 begannen die ersten Arbeiten, der Eigentümer Kiefer + Remberg (jetzt Remberg Bauträger GmbH & Co. KG) vermarktete das Haus unter dem Namen "Palais Thalkirchen". Die verbliebenen Bewohner haben daraus augenzwinkernd das "Palais Südfriedhof" gemacht - der liegt direkt gegenüber.

Eine 65-Quadratmeter-Wohnung wurde damals für 895 000 Euro zum Kauf angeboten. Ende 2017 wurden die Bauarbeiten gestoppt, Mitte 2018 wieder aufgenommen. Seit zwei Jahren steht die Baustelle erneut komplett still. Ende 2019 habe der Investor einen Antrag auf Modernisierung im Vordergebäude eingereicht, berichten die Bewohner, das Denkmalamt habe daraufhin dessen Überarbeitung gefordert. Seitdem ist nichts passiert. Was die Gründe dafür sind, darüber können die Mieter nur spekulieren. Sie haben die Eigentümer auch noch nie getroffen. Ein Anfang dieses Jahres anberaumtes Treffen vereitelte Corona. Für die SZ war die Remberg Bauträger GmbH & Co. KG am Freitag telefonisch nicht zu erreichen; auch auf eine Mailanfrage reagierte das Unternehmen nicht.

Insgesamt 17 Wohnungen stehen nun leer, 16 davon seit fast drei Jahren. Im Vordergebäude wohnt nur noch ein Mieter, im Erdgeschoss ist ein Kindergarten beheimatet. Im Rückgebäude ist von einst 15 Mietparteien weniger als die Hälfte übrig. "Es ist ein komisches Gefühl", sagt Johann Lendner, der letzte verbliebene Mieter im Vorderhaus, aber er habe sich daran gewöhnt. Das Heizen mache halt Probleme im Winter, es werde kaum 20 Grad warm in der Wohnung. Wer die Treppen im Vorderhaus hoch steigt, erhascht Blicke in Wohnungen, in denen vermeintlich umgebaut und saniert wird. Überall Schutt, herausgerissenes Dämmmaterial und herabhängende Kabel - allein, hier geht schon lange gar nichts mehr vorwärts.

Mittlerweile hat das Haus, das mit zwei anderen die Initialzündung für den Mieterstammtisch und die Bürgerinitiative "Ausspekuliert" gab, einen eigenen Instagram-Account, auf dem die Bewohner seine Geschichte dokumentieren - und ihren Kampf gegen Spekulation und Gentrifizierung. "An unseren Bundesminister für Bauen und Migration", schrieben sie dort vor Kurzem: "Unser Haus wird seit drei Jahren verzockt. Es stehen viele Wohnungen leer." Es könnten doch kurzfristig Flüchtlinge oder Obdachlose dort unterkommen, meinen sie. Die Einladung zu der Veranstaltung am Samstag zeigte, dass es für ihren Kampf auch eine Portion Sarkasmus braucht. "Die Bewohner zeigen Ihnen, wie Sie ganz einfach für Mieter untragbare Zustände schaffen können", hieß es da. Davon überzeugten sich unter anderem der städtische Mieterbeirat und Mitglieder von Grünen, SPD und der Linken. Normalerweise fällt Leerstand, der länger als drei Monate andauert, unter die Zweckentfremdung von Wohnraum, und die ist eine Ordnungswidrigkeit. Doch weil ja saniert werden soll, ist der Leerstand in der Thalkirchner Straße 80 legal. Wie schwierig es ist, Druck auf einen Eigentümer auszuüben, zeigt zurzeit auch die sogenannte Amisiedlung am Perlacher Forst. Dort steht ebenfalls Wohnraum leer, teils seit 2013.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2020/vewo
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