Süddeutsche Zeitung

München:Gemeinsame Geschichte

Die neue Obermenzinger Momentbühne hat sich einem ambitionierten Projekt verschrieben: Zusammen mit dem jungen Komponisten Eslon Hindundu aus Windhoek soll die erste Nationaloper Namibias entstehen. Themen sind die Verbrechen deutscher Kolonialherrschaft, aber auch lokale Mythen

Von Jutta Czeguhn

Eigentlich ist gerade Hochsommer in Namibia, doch ungewöhnlich starke Regenfälle haben in der Gegend um Windhoek in den vergangenen Wochen zu flutartigen Überschwemmungen geführt. Und dazu, dass die Internet-Verbindung immer wieder zusammengebrochen ist, wenn Eslon Hindundu und Kim Mira Meyer miteinander über Kontinente hinweg wichtige Dinge zu besprechen hatten. Und eigentlich sollte Hindundu auch nicht, wie in seiner aktuellen Videobotschaft, an einer Straßenecke in der namibischen Hauptstadt stehen, sondern längst bei seiner Gastfamilie, zwei Pasinger Architekten, angekommen sein. Doch der Flieger aus Afrika flog am Mittwoch ohne ihn Richtung Franz-Josef-Strauß-Airport. Man kann sich leicht vorstellen, warum. Corona, seufzt Meyer, mache alles gerade ziemlich kompliziert.

Man trifft die Sängerin und Regisseurin, die in Obermenzing daheim ist, im Innenhof der Blutenburg auf einen Spaziergang. Wie im fernen Windhoek schüttet es da gerade wie aus Eimern, was jemanden wie Kim Mira Meyer, Jahrgang 1993, aber nicht groß beeindrucken kann. Im vergangenen Spätsommer ist die Mitarbeiterin des Gärtnerplatztheaters mit zwei Freunden von Pasing aus nach Sylt geradelt. Mit einer Wanderbühne im Gepäck haben sie den Menschen unterwegs, bei Wind und Wetter, Kultur vorbeigebracht. Für Projekte, die erst mal verwegen klingen, scheint Meyer ein Faible zu haben. Weshalb sie alles daransetzt, dass Eslon Hindundu endlich am Münchner Flughafen landet. Denn der junge Musiker, Sänger und Komponist ist die zentrale Figur ihres neuesten Abenteuers. Er werde, erzählt sie auf dem Rundweg durch den Blutenburg-Park, mit Unterstützung des Obermenzinger Theatervereins "Momentbühne" die erste Nationaloper Namibias komponieren - und dirigieren.

Die Momentbühne gibt es erst seit Mai 2020. Zum Team gehören neben Kim Mira Meyer als Geschäftsführerin und dem Dramaturgen und Schauspieler Nikolaus Frei unter anderem auch Victor Ardelean als musikalischer Leiter und die Bühnen- und Kostümbildnerin Gretl Kautzsch. Gemeinsam will man Theaterprojekte kreieren und dabei einen Fokus auf die Adaptionen von Material aus der Weltliteratur und -geschichte legen. Das Spannende an diesen Produktionen: Sie sollen zum einen die Kultur, ganz lokal im Stadtbezirk, durch internationale Themen bereichern, zum anderen die Kooperationen mit Kulturinstitutionen im Ausland ermöglichen. Der Netzwerkgedanke ist dem Theaterverein also sehr wichtig. Und genau das wird nun mit dem Namibia-Projekt der Fall sein, eine Brücke soll entstehen zwischen Menschen in Windhoek und im Münchner Westen.

Das "Wie-es-dazu-kam" ist, während der Umrundung des Blutenburg-Weihers, schnell erzählt: Vor zwei Jahren bei den Opernfestspielen auf Gut Immling im Chiemgau war Kim Mira Meyer Regieassistentin bei einer "Turandot"-Produktion, und Eslon Hindundu sang im internationalen Festival-Chor. Meyer war gerade dabei, die ersten Gedanken für die Momentbühne in Stein zu meißeln, da erzählte ihr der junge Namibier von seinen Kompositionen. "Daraus entstand die Idee, dass wir unbedingt etwas zusammen machen wollen", sagt die Obermenzingerin. Über die Distanz haben die beiden dann später digital Kontakt gehalten, und irgendwann hieß es dann: "Ok, wir machen das jetzt einfach."

Einfach ist wahrscheinlich rein gar nichts an diesem Opernprojekt. Denn abgesehen von den logistischen und finanziellen Herausforderungen geht es um ein Thema, das hierzulande gerne unter den Teppich gekehrt wird: Das hegemoniale Gebaren und Wüten der Kolonialherren in einem Land, das sie großspurig "Deutsch-Südwestafrika" tauften. Kim Mira Meyer hat ihren "alten" Theater-Lehrer Nikolaus Frei mit ins Boot geholt. Der ist auch studierter Historiker und arbeitet nun in engem Kontakt mit Eslon Hindundu am Libretto. Man dürfe sich die Oper nicht als Dokumentationsdrama vorstellen, sagt Meyer, die auch Regie führen wird. "Die Oper wird vier Akte haben, die Geschichte basiert auf einer Legende, die man sich in Windhoek, gerade auch in Eslons familiären Umfeld, erzählt", sagt sie. Die Handlung und die Figuren würden daraus entwickelt. Gesungen wird auf Deutsch, vor allem aber in Hindundus Stammessprache, die jene faszinierenden Klicklaute hat. Doch um all dies zu erarbeiten, müsse man warten, bis der Namibier endlich da ist. "Das geht nicht über diese Distanz", sagt Kim Mira Meyer. Täglich ist sie mit der Ausländerbehörde und dem Gesundheitsamt in Kontakt.

Der Zufall will es, dass der deutsche Kolonialismus und seine verheerenden Folgen für die Menschen in Afrika aktuell im Stadtbezirk Aufmerksamkeit bekommen haben. Auf Initiative von Grünen und SPD im Bezirksausschuss wurde in der Bürgerschaft eine Diskussion über das Bismarck-Denkmal am Wensauerplatz angestoßen. Gilt der Reichskanzler doch als einer der Wegbereiter des Kolonialismus. Ein erster Workshop hat bereits stattgefunden. Es kann nun sehr spannend werden, wie sich geplante lokale Initiativen und die vielen kleinen Einzelprojekte, wie sie die Momentbühne vor hat, gegenseitig befruchten.

In Kooperation mit der Pasinger Stadtbibliothek läuft bereits ein Malwettbewerb für die Kinder zu einem namibischen Märchen (https://kurzelinks.de/nw58). In der Kinder- und Jugendwerkstatt der Pasinger Fabrik soll es, sobald das wieder möglich ist, Workshops für Kinder geben, in denen Figuren zu Namibia entstehen, die dann im Sommer als Installationen über den ganzen Stadtbezirks verteilt zu sehen sein werden. Und regelmäßig will die Momentbühne auch, mit kleinen Konzerten, über den aktuellen Fortschritt der Oper berichten.

Die Oper allerdings wird erst 2022 Premiere feiern, in Windhoek an der Nationaloper, mit der die Momentbühne schon in Kontakt steht. Aber natürlich wollen die Macher ihr Projekt auch irgendwann nach München bringen. Eslon Hindundu wird mit seinen Münchner Partnern weiter am Projekt arbeiten und im Sommer auch beim Opernfestival auf Gut Immling wieder auf der Bühne stehen. Im August dann wollen Meyer und Frei mit ihm nach Windhoek reisen, um Sänger und Orchester kennenzulernen.

Das Projekt ist also in vielerlei Hinsicht ambitioniert. Die Momentbühne hat ein Crowdfunding aufs Gleis gesetzt, über das sie ihr Opern-Projekt finanzieren möchte (https://kurzelinks.de/uglt). Jeder Euro zähle da, sagt Kim Mira Meyer, die zudem gerade auf Ochsentour zu Pasinger und Obermenzinger Firmen und Arztpraxen unterwegs ist, wo sie Flyer abgibt. Auch im Regen, wenn es sein muss. Aber der macht ihr nun mal nicht aus.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2021
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