Dreikommafünfmillionen. In Zahlen: 3 500 000 Euro hat David Garrett jüngst für eine Geige auf den Tisch eines Pariser Auktionshauses gelegt, als Geburtstagsgeschenk an sich selbst. Wobei: Vielleicht hat der Geiger der Nation auch per Online-Banking überwiesen, weil er gerade nicht so viel Bares fürs Rare dabei hatte. War natürlich nicht irgendeine Fiedel, sondern ein ganz besonderes Stück aus dem Jahr 1736, made by Guarneri del Gesu. Der Mann aus Cremona gilt als Michelangelo des Geigenbaus, dessen Instrumente zu den begehrtesten der Welt gehören. 2010 ist eine seiner Geigen für 18 Millionen Dollar verkauft worden.
Hat Garrett also eher ein Schnäppchen gemacht, auch wenn er dafür "eine Wohnung in New York verkaufen musste", wie er der Bild-Zeitung vorjammerte? "Das ist eine Geldanlage", sagt Eva Lämmle, und sie muss es wissen, beschäftigt sich die Geigenbauerin doch schon fast ihr ganzes Leben lang mit Streichinstrumenten. Wenn an diesem Donnerstag im Mars-Venus-Saal des Bayerischen Nationalmuseums die 7. Münchner Geigentage beginnen, ist auch die Geigenbau-Meisterin aus der Löwengrube wieder mit einer Geige, einer Bratsche und einem Cello vertreten.
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Was Menschen ohne Bezug zu klassischer Musik gar nicht wissen: Nach Cremona, der Stadt der Stradivaris, Amatis und eben Guarneris, ist München die Welthauptstadt des Geigenbaus, mit einer grandios hohen Dichte an entsprechenden Werkstätten. 40, 50 Kolleginnen und Kollegen hat Lämmle im S-Bahn-Bereich, wie sie sagt, rund 300 Geigenbauer gibt es in ganz Deutschland, 28 von ihnen sowie fünf Bogenbauerinnen und -bauer präsentieren bei den Geigentagen ihre Unikate.
Alle drei Jahre findet dieses Gipfeltreffen statt, feiert heuer also 25. Jubiläum. Schirmherrin ist Anne-Sophie Mutter, noch so eine Erste Geigerin. 17 Tage lang gibt es Vorträge, Klangproben und Konzerte, bei denen die Musiker die Instrumente und Bögen mehrfach wechseln, sodass Zuhörer die Instrumente im Vergleich hören. Der Gast ist aber nicht zu Passivität verurteilt: 25 Geigen, 20 Bratschen, 16 Celli und 16 Bögen können während der Ausstellungszeiten von fachkundigen Besuchern angespielt werden.
Aber wie baut man so ein fragiles Gebilde, für das Menschen auch 300 Jahre später noch unerhört viel Geld bezahlen? Auf der Homepage der Geigentage lautet die eher vage Antwort: "Wir Münchner Geigen- und BogenbauerInnen machen Instrumente und Bögen, die zur gleichen Familie gehören, und wir machen es, jeder für sich, etwas anders. So anders wie die Persönlichkeiten dahinter. Ein wenig wie das berühmte Beispiel von den fünf Köchen, die mit denselben Zutaten fünf völlig unterschiedliche Ratatouilles bereiten." Schauen wir doch mal - um im Bild zu bleiben - bei Eva Lämmle in den Topf.
Die gebürtige Schwäbin hat ihre Werkstatt in einem unscheinbaren Bau in der Löwengrube, dem Polizeipräsidium gegenüber. Drehte man sich hier oben im fünften Stock mit ausgestreckten Armen einmal um 360 Grad, würde man Instrumentenkunst im satt fünfstelligen Bereich aus den Verankerungen rupfen, so eng ist es. Eine kleine Arbeitsfläche und reichlich Werkzeug genügen der Handwerkerin. Jede Geige, jede Bratsche, jedes Cello, das hier ordentlich aufgereiht hängt, ist in Handarbeit entstanden.
Arbeitsabläufe und Werkzeuge haben sich über die Jahrhunderte nicht verändert. Immer noch braucht es für den Bau einer Violine rund 150 Arbeitsgänge, was gut 200 Stunden dauert, aber natürlich nicht am Stück funktioniert, für ein Cello muss man doppelt so viel Zeit veranschlagen. Eva Lämmle, die sagt: "Ich schaffe etwa ein Instrument pro Jahr." Weil sie neben den Neubauten auch Reparaturen und Klangeinstellungen für Amateurspieler und all die vielen Orchestermitglieder anbietet, die in ihrer Not zu ihr kommen: "Hier ist schon ein Markt. Und dann ist das wie beim Zahnarzt: Wenn Sie da mal einen guten gefunden haben, wechseln Sie nicht mehr."
Zehn Jahre muss das Holz liegen, bis es trocken genug ist
Wer der Endvierzigerin zuhört, wenn sie von ihrer in Mittenwald, England und Sachsen erlernten Handwerkskunst erzählt, wird in eine fremde Welt entführt, voll rätselhafter Begriffe wie Tonholz, Abstoßeisen, Bassbalken, Anschäfter, Wölbungshobel und Hasenleim. Eins wird schnell klar: Wer schon unruhig wird, wenn es gilt, einen Bindfaden ins Nadelöhr einzufädeln, der ist im Geigenbau fehlbesetzt. Wohl nichts braucht man in diesem Job mehr als Geduld. Es fängt schon mit dem Holz an: "Zehn Jahre muss es liegen, bis es richtig trocken ist", erklärt Lämmle. Zehn Jahre? Ein Fliegenschiss im Vergleich zu dem Holz, dass sie vor ein paar Jahren verarbeiten durfte: Fichtenholz aus dem Dachstuhl der Frauenkirche, 500 Jahre alt. "Ganz braun und weich", schwärmt die Expertin. 1945, als München in Trümmern lag, war der Dachstuhl des Doms ausgetauscht worden, ein Tonholzhändler hatte den Schatz vor dem Schicksal als Brennholz gerettet. Über dessen Sohn kam Lämmle zu diesem so besonderen Arbeitsmaterial: aus der unmittelbaren Nachbarschaft, aber einer komplett anderen Zeit. Es muss ein sehr spezielles Hobeln und Schnitzen gewesen sein.
Normalerweise verwendet sie für die Decken der Instrumente leichtes Fichtenholz aus Höhenlagen um die 1300 bis 2000 Meter, aus den bayerischen Alpen oder Südtirol, Nordhang, geschlagen nach der optimalen Mondphase, kein Scherz. Für Böden, Zargen und Hälse ist Bergahorn aus Bosnien angesagt, für die Lackierung Öllacke aus Naturharzen. Was die Ausrichtung der Geige angeht, orientiert sich Eva Lämmle an einem Modell von 1733 des Kollegen Guarneri del Gesu, den der Leser schon kennengelernt hat. "In den Höhen strahlend und unten sehr voll", charakterisiert Lämmle. Ihr geht es nicht um möglichst exakte Kopien antiker Meisterwerke, sondern um Interpretationen der alten Modelle, in die ihre eigenen Klangvorstellungen mit einfließen.
Seit sie acht ist, spielt sie Cello, derzeit im Siemens-Orchester München, demnächst im Herkulessaal der Residenz. Den Entwicklungsprozess eines Instruments findet sie immer noch spannend: "Alte Instrumente sind in ihrem Klangcharakter schon gefestigt, neue klingen nach einem halben Jahr wieder anders, weil sich das Holz einschwingen muss." Bis auf drei Millimeter wird gehobelt, jeder Zehntelmillimeter macht einen Unterschied im Klang, zumindest für geübte Ohren.
Der Sound ist eine Wissenschaft für sich
Dann der spannendste Moment: das Anspielen. Wie klingt mein Werk? Eine durchaus bange Frage, nach all den Stunden und Arbeitsschritten. Was, wenn der Sound dem Kunden nicht gefällt? Alle Arbeit umsonst? Nicht doch, Eva Lämmle weiß Rat in Sachen Klangeinstellung: Abstimmung und Optimierung von Stimme und Steg, Änderung der Besaitung oder der Henkelsaite, was Material oder Länge angeht, Veränderungen am Unter- oder Obersattel oder Austausch des Stachels: Aluminium, Carbon oder doch eher Titan? Eine Wissenschaft für sich. Aber eine, bei der Zuhören zum Genuss wird.
Die Münchner Geigentage finden von 6. bis 23. Oktober im Bayerischen Nationalmuseum statt, die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintrittspreis kostet sieben Euro (Museum inklusive). Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.muenchner-geigentage.de