Ein Platz, der ohnehin den richtigen Namen trägt. Man muss ihn gar nicht umbenennen – oder gar einen neuen bauen: Der Frauenplatz mit seinem verspielten Steinbrunnen liegt geschützt im Schatten der mächtigen Frauenkirche. Und gleichzeitig befindet er sich im Zentrum der Stadt. Die Frauen, die im Namen verewigt sind, könnten schon bald noch einen anderen Kontext bekommen.
Hier soll nach dem Willen einiger engagierter Menschen ein Gedenkort entstehen für die Opfer von Femiziden, also Morden an Frauen und Mädchen. Und mehr noch: Es soll ein Ort werden, der die historische Frauenbewegung würdigt und auch heutigen Formen von Feminismus Raum gibt.
Drei Fraktionen im Rathaus haben sich zusammengetan, um dies in einem Antrag zu fordern, die SPD/Volt und die Grünen/Rosa Liste als regierende Koalitionspartner, dazu die Linke/die Partei. Ihnen schwebt ein Ort vor, der „zur aktiven Auseinandersetzung mit patriarchaler Gewalt anregt“. Neben dem Gedenken an Opfer soll es dort interaktive Elemente, künstlerische Interventionen und eine öffentlich zugängliche Dokumentation geben.
Mehr Klarheit soll ein neu gegründeter Fachbeirat bringen, der sich Anfang Mai konstituiert und die Pläne konkretisieren will. Mitglieder des Stadtrats und auch von feministischen Initiativen werden dort an einem Tisch sitzen. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir eine Lösung finden werden“, sagt Micky Wenngatz. Sie ist Sozialdemokratin und Vorsitzende der Gleichstellungskommission der Stadt. Außerdem ist sie eine der Initiatorinnen des Projekts. „Wir brauchen einen Ort, der Kraft spendet, der zeigt wie stark Frauen sind“, sagt Wenngatz.
Vor allem soll es aber um ein gesellschaftliches Problem gehen, dass aus Wenngatz’ Sicht „zu wenig Widerhall findet“. Die Rede ist von den Zahlen der Opfer durch Femizide in Deutschland. Die Bundesregierung hat vergangenen Herbst ein erstes Lagebild über „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ vorgestellt. Laut diesem Lagebild sind im Jahr 2023 sowohl die Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen als auch frauenfeindliche Straftaten im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Beinahe jeden Tag gab es 2023 einen Femizid in Deutschland. Insgesamt zählte man 938 Mädchen und Frauen, die 2023 Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten wurden.
Bei der Münchner Polizei wird diese Zahl nicht einzeln erhoben, allerdings zeigt ein Blick in den Sicherheitsreport aus dem vergangenen Jahr, dass die Lage auch in München dramatisch ist. So wurden 2024 insgesamt 312 Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und sexuelle, besonders schwere Übergriffe, auch mit Todesfolge, gezählt. Dabei hatten fast 68 Prozent der Opfer eine Vorbeziehung zum Tatverdächtigen, entweder als Partner oder Ex-Partner oder als Bekanntschaft.
Unter „Häuslicher Gewalt“ führt die Polizei zudem 2860 Fälle von sogenannter Partnerschaftsgewalt auf, mehr als 75 Prozent der Opfer waren weiblich. Mehr als 23 Prozent der mehrheitlichen männlichen Tatverdächtigen waren dabei betrunken. Außerdem zählt die Polizei 13 Fälle von frauenfeindlich motivierter Hasskriminalität in der Stadt.
Die Beratungsstelle Frauennotruf München berichtet von einer größeren Anzeigenbereitschaft im Vergleich zu früher. Besonders bei Akutfällen erstatteten mehr Betroffene Anzeige, oftmals hätten die Frauen dies sogar bereits getan, bevor sie sich an den Frauennotruf wendeten. Der Anteil der jungen Frauen zwischen 20 und 40 Jahren sei laut der Statistik des Frauennotrufs in den vergangenen Jahren gestiegen.
Auch die Gesamtzahl der Personen, die Beratungsangebote wahrnehmen, stieg über die Jahre. Waren es im Jahr 2010 noch knapp mehr als 1500 Menschen, zählte der Frauennotruf 2024 bereits fast 2000. Fast 40 Prozent davon hatten eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Nötigung zum Anlass, 23 Prozent sexuellen Missbrauch.
„Patriarchale Gewalt tötet“, sagt Mona Fuchs, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Stadtrat. „Diese Morde sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems, das wir deutlicher ansprechen müssen.“ Deshalb plädiert sie für den Gedenkort: „Dieser Ort soll der Stadtgesellschaft als Mahnung und als Aufforderung zur Veränderung dienen.“
Den Frauenplatz vor dem Liebfrauendom findet Fuchs genau richtig dafür, schließlich sei er sehr zentral. Außerdem sei es ein schönes Zeichen, gerade vor der Kirche, an Femizide zu erinnern. Schließlich könne man auch die religiös motivierten Hexenverbrennungen zu Femiziden zählen.
In den vergangenen Monaten habe es bereits mehrere Platzbegehungen gegeben, sagt Zara Jakob Pfeiffer von der Gleichstellungsstelle der Stadt. Man hat sich offenbar auf ein Ensemble aus vier Straßenlaternen geeinigt, das direkt vor dem Haupteingang der Frauenkirche steht, dort sei ein geeigneter Ort.
Zara Jakob Pfeiffer nennt ein paar Kriterien für die Gestaltung, die wichtig wären: Es soll schnell und gut verstanden werden können, schließlich hielten sich dort auch viele internationale Touristen auf. Es soll auch queere und Transfrauen in die Definition einschließen und klar die Forderung formulieren, Femizide zu stoppen.
Formell soll es allerdings kein Denkmal sein, sagt Grünen-Politikerin Mona Fuchs, denn das Prozedere dafür dauere in der Verwaltung durchschnittlich sieben Jahre. Außerdem könne sich die Stadt angesichts der angespannten Haushaltslage keinen großen, internationalen Kunstwettbewerb leisten.
Immerhin gibt es eine klare Haltung zur Realisierbarkeit auch von der Stadtspitze. Die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) sagt auf Anfrage: „Im städtischen Haushalt wird sich das Projekt absehbar realisieren lassen.“ Als einzige Frau in der Stadtspitze unterstütze sie die Idee und den Antrag, einen Gedenkort zu schaffen, sagt Dietl. „Wir alle können mit diesem festen Gedenkort dafür sorgen, dass dieses Thema noch mehr in die Köpfe der Menschen kommt.“