Süddeutsche Zeitung

Debatte über Gedenkfeier für Opfer des Terroranschlags 1972:Absagen oder nicht?

Charlotte Knobloch und die Stadtspitze lassen erkennen, dass sie eine Erinnerungsveranstaltung an den palästinensischen Terroranschlag bei den Sommerspielen 1972 in München auch ohne die Angehörigen der Opfer für wichtig halten. Aus der CSU kommen andere Stimmen.

Von Anna Hoben

Im Jubiläumsjahr wird gerade viel an die heiteren Spiele von 1972 erinnert - doch die Sommerspiele in München vor einem halben Jahrhundert hatten auch eine grässliche Seite. Palästinensische Terroristen verübten damals einen Anschlag auf die israelische Mannschaft; elf Mitglieder des Teams und ein Polizist starben. Am 5. September soll bei einer zentralen Gedenkfeier in Fürstenfeldbruck der Opfer gedacht werden. Doch die Hinterbliebenen haben ihre Teilnahme abgesagt, weil ihnen die in Aussicht gestellte formelle Entschädigungszahlung des Bundes in Höhe von 5,4 Millionen Euro zu gering ist. Als "Beleidigung" und als "Trinkgeld" bezeichneten die Sprecher der Opferfamilien das Angebot. Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob und wenn ja, wie die Gedenkfeier dennoch würdevoll vonstatten gehen kann.

Der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU), hatte die Veranstaltung ganz in Frage gestellt. "Man muss ernsthaft prüfen, ob die Gedenkfeier nach der Absage der Hinterbliebenen noch stattfinden kann", hatte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland gesagt. "Sie darf nicht zur Groteske verkommen." Die Entwicklung habe ihn nicht überrascht, er mahne bereits seit Wochen, dass die Klagen der Hinterbliebenen ernst genommen und auf Augenhöhe diskutiert werden müssten.

Bereits vor drei Monaten habe er an Bundeskanzler Scholz (SPD) geschrieben, erläutert Spaenle auf SZ-Anfrage, und darauf hingewiesen, dass die Situation "heikel und ernst" sei. Auf sein Schreiben habe er bis heute nicht einmal eine Eingangsbestätigung erhalten. In München habe man die Erinnerung an die Tat bis vor einigen Jahren komplett verdrängt, die Opferfamilien seien "ungewollte Bittsteller auf der Hintertreppe" gewesen. Nun sei das Klima nach dem Eklat um Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und Scholz' später Reaktion auf dessen Holocaust-Relativierung bei einer gemeinsamen Pressekonferenz noch einmal rauer geworden. Er bleibe deshalb bei dem Hinweis, dass man eine Absage "im Lichte der Ereignisse" prüfen müsse.

Dass sie davon nicht viel halten würde, lässt Charlotte Knobloch durchblicken, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Ihr großer Wunsch sei, "dass die Veranstaltung am Ende in einer würdevollen und aussagekräftigen Form stattfinden kann", sagte sie auf Anfrage. Sie hoffe sehr, dass die Bundesregierung und die Familien der Opfer gemeinsam noch rechtzeitig eine gute Lösung fänden - "im Interesse des Erinnerns und unserer beiden Länder".

Am Geld sollte es nicht scheitern, findet Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD)

Nach vielen Jahren, in denen das Gedenken an das Olympia-Attentat in Deutschland keine große Rolle gespielt habe, stehe der 5. September 1972 heute endlich mehr im Fokus der Öffentlichkeit. "Der Auftrag, die Erinnerung an diesen Tag wachzuhalten, betrifft uns alle." Öffentlich sichtbares Gedenken bleibe "überaus wichtig", besonders für die jüngeren Generationen, die mit München 1972 keine eigenen Erinnerungen verbänden.

Ähnlich positioniert sich Münchens Stadtspitze. "Sehr bedauerlich" findet Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) die Entwicklungen. Sie hoffe, dass die laufenden Verhandlungen gut abgeschlossen würden, ein Konsens mit den Hinterbliebenen erzielt werde und die Verwerfungen beendet würden. "Es sollte nicht an den Zahlungen scheitern." Die Gedenkveranstaltung sei ein "wichtiges Zeichen". Das Erinnern an die Opfer des Terrorattentats gehöre nun mal dazu, "man kann nicht so tun, als hätte es das nicht gegeben".

Mit einer Absage der Gedenkfeier sei niemandem geholfen, sagt der Fraktionschef der Grünen, Dominik Krause. Abgesagt werden sollte aus seiner Sicht nur dann, wenn die Angehörigen der Opfer dies forderten - ansonsten sei es wichtig, dass die Stadt an das Ereignis erinnere. Er könne den anhaltenden Unmut der Hinterbliebenen verstehen, so Krause, schließlich sei der Umgang mit ihnen über Jahrzehnte "komplett unwürdig und unangemessen" gewesen. Er glaube aber auch, dass die Bundesregierung versuche, eine Wiedergutmachung zu betreiben - und hoffe, dass es noch eine gute Lösung gebe. Grundsätzlich müsse die Bundesregierung zu einem neuen Umgang mit Opfern rechtsextremer und antisemitischer Gewalt finden, inklusive Entschädigungszahlungen.

Anders sieht das der CSU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Manuel Pretzl. In dieser "schlechten Stimmung" könne man es nicht verantworten, die Gedenkveranstaltung durchzuziehen. "Ich würde sie absagen."

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