Süddeutsche Zeitung

50. Jahrestag des Olympia-Attentats:"Wir haben es geschafft, die Schreie der Ermordeten ins Bewusstsein der Welt zu tragen"

Am Erinnerungsort beim Olympischen Dorf gedenken Israelis und Deutsche der ermordeten Sportler. Kultusminister Piazolo ist froh, dass die Angehörigen zum Jahrestag nach München gereist sind. Und Oberbürgermeister Reiter zeigt sich beschämt ob der Fehler und Versäumnisse seit 1972.

Von Bernd Kastner

50 Jahre nach dem Terror ist dem Kultusminister die Erleichterung anzumerken. "Ich bin zutiefst dankbar, dass Sie bei dieser Gedenkfeier heute mit dabei sind." Michael Piazolo (Freie Wähler) spricht die Angehörigen der Männer an, die am 5. September 1972 von einem palästinensischen Terrorkommando ermordet wurden. Auf die Olympischen Spiele fiel ein dunkler Schatten, und in zwölf Familien ist seither nichts mehr, wie es war. Am Montagmorgen sind Mitglieder dieser Familien beim Olympischen Dorf zusammengekommen, zur ersten Gedenkfeier an diesem Jahrestag, die größere findet in Fürstenfeldbruck statt. Jetzt trifft man sich am Erinnerungsort, in der 2017 eröffneten Gedenkstätte unweit der Connollystraße 31, wo die Israelis überfallen wurden.

Bis vor kurzem war unklar, ob die Angehörigen nach München reisen, zu sehr waren sie von der Weigerung Deutschlands verletzt, ihnen endlich eine angemessene Entschädigung zukommen zu lassen. Erst vor ein paar Tagen kam der Durchbruch. 60 bis 70 Angehörige sind gekommen, dazu viele weitere Menschen aus Israel, die einen Bezug zu den Spielen haben. Piazolo nutzt das Gedenken für ein Versprechen: Dass sich der Freistaat einsetze für Demokratie und ankämpfe gegen menschenfeindliche Bestrebungen, gegen Hass und Gewalt und gegen Antisemitismus. "Bildung und Erziehung sind wirksame Mittel gegen Hass und Intoleranz."

Warum bloß, fragt Reiter, sei es so lange so schwergefallen, an beide Seiten der Spiele zu erinnern

Es ist Oberbürgermeister Dieter Reiter, der Fehler bei der misslungenen Befreiung und in den Jahren danach deutlich anspricht. "The games must go on", hieß es damals. Hinter diesem Satz habe man sich lange Zeit versteckt, um unangenehmen Fragen auszuweichen. Warum hat man die Sportler nicht besser geschützt? Warum bloß, fragt Reiter, sei es so lange so schwergefallen, an beide Seiten der Spiele zu erinnern, an die heitere und an die dunkle Seite. "Beschämt" müsse er im Namen der Stadt München heute feststellen: "Die Verantwortlichen für die Olympischen Sommerspiele 1972 haben folgenschwere Fehler begangen. Das tut mir leid und ich entschuldige mich dafür." Auch dafür, dass nicht getan worden sei, "was die Menschlichkeit geboten hätte: Fehler einzugestehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen". An die Angehörigen gerichtet sagte Reiter, dass er sich ein Gedenken ohne sie nur schwer hätte vorstellen können. "Ich danke Ihnen, dass Sie nach München gekommen sind."

Yehiel Tropper, der israelische Minister für Kultur und Sport, beklagt, dass die Spiele damals fortgesetzt wurden, "als wäre nichts passiert". Olympia habe bis vor kurzem den dunkelsten Fleck seiner Geschichte verdrängt. Erst jetzt ändere sich das, auch in Deutschland. Erst jetzt schließe sich der Kreis zum 5. September 1972, was vor allem dem Engagement der Angehörigen zu verdanken sei. Sie hätten sich geweigert zu vergessen. "Es dauerte 50 Jahre, bis Gerechtigkeit sichtbar wurde", sagt Tropper und denkt dabei wohl an die Bundesregierung.

Yael Arad, Präsidentin des Israelischen Olympischen Komitees, erinnerte daran, dass das Attentat auch eine "nationale Tragöde" für Israel gewesen sei, das Land habe einige seiner besten Sportler und Trainer verloren.

Die Witwe Ilana Romano spricht von einem "kolossalen Versagen"

Ilana Romano, Witwe des Gewichthebers Yossef Romano, spricht von einem "kolossalen Versagen" der deutschen Behörden vor 50 Jahren, diesem seien "fünf Jahrzehnte Justizversagen" gefolgt. Wie nur habe es sein können, dass damals viele Warnungen des Geheimdienstes vor Anschlägen ignoriert wurden? Ilana Romano ist zusammen mit Ankie Spitzer die bekannteste Kämpferin für Gerechtigkeit unter den Angehörigen. "Wir haben es geschafft", sagt sie, "die Schreie der Ermordeten ins Bewusstsein der Welt zu tragen."

Kurz vor dem Kaddish, dem jüdischen Totengebet, sind es vier deutsche Jugendliche, die die Namen der Getöteten vortragen, elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist: Amitzur Shapira, Kehat Shor, Mark Slavin, Moshe Weinberg, Eliezer Halfin, Yossef Gutfreund, Andrei Spitzer, David Mark Berger, Ze'ev Friedmann, Yossef Romano, Yakov Springer und Anton Fliegerbauer. Die Jugendlichen aus der evangelischen Gemeinde Heilig Geist nehmen gerade an einem Jugendaustausch teil. Vor kurzem waren junge Israelis aus Be'er Sheva in München, in den Herbstferien werden die Münchner nach Israel reisen.

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