Gastronomie:Streit um Tische und Stühle vor Münchner Lokalen

Lesezeit: 3 Min.

Für Tische und Stühle könnte draußen vielerorts kein Platz mehr sein. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Stadtverwaltung will die Durchgangsbreite auf Gehwegen erhöhen – das wäre das Ende für 177 Freischankflächen. Auch Obst- und Gemüsehändler wären betroffen. Doch im Rathaus gibt es Widerstand.

Von Andreas Schubert

Im Freien essen und trinken: Sobald es einigermaßen warm ist, sind die Tische vor den Münchner Lokalen voll. Selbst im Winter lassen sich die Menschen an den Freisitzen der Stadt nieder. Doch bei vielen Betrieben könnte damit spätestens 2026 Schluss sein: Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) plant, die Durchgangsbreite auf Gehwegen von derzeit mindestens 1,60 Meter auf 1,80 Meter zu erhöhen. Das bedeutet: Für Tische und Stühle ist draußen vielerorts kein Platz mehr.

Damit will das KVR den Forderungen von Senioren- und Behindertenbeirat sowie einiger Bezirksausschüsse nach mehr Barrierefreiheit auf den Gehwegen und zugleich der UN-Behindertenrechtskonvention entsprechen. Von den neuen Regeln wäre aber nicht nur die Gastronomie betroffen, sondern auch zum Beispiel Obst- und Gemüsehändler, die ihre Waren im Freien anbieten – nicht aber die sogenannten Schanigärten. Die stehen auf Autoparkplätzen, nicht auf Gehwegen.

Der Mobilitätsausschuss des Stadtrats hat die neue Mindestbreite schon Ende 2022 in seine Verkehrsstrategie für Fußgänger aufgenommen. Jetzt, zwei Jahre später, will das KVR Ernst machen.

177 Lokale sind laut einer Vorlage, die im Kreisverwaltungsausschuss am kommenden Dienstag verhandelt wird, betroffen. Die Freischankflächen müssten, so schreibt das KVR, aber lediglich reduziert werden. Die Behörde berechnet das so: Bei einer Erhöhung der „Mindestgehwegbreite“ um 20 Zentimeter entfielen bei einer Freischankfläche von zehn Metern Länge zwei Quadratmeter Bewirtungsfläche. Dies erscheine „durch die damit einhergehende Verbesserung der Barrierefreiheit vertretbar“. 177 Betriebe: Das entspricht laut KVR „lediglich“ 6,8 Prozent der rund 2600 Münchner Lokale mit Freisitzen. Die Behörde betont: Kein Betrieb verliere seine Freisitze.

Doch die Realität sieht oft anders aus: In vielen Vierteln sind die Bürgersteige so schmal, dass Wirtshäuser und Cafés entweder für viel Geld kleineres Mobiliar anschaffen oder ihre Tische ganz wegräumen müssten. Das könnte nach Einschätzung von Christian Schottenhamel existenzbedrohend sein. „Die Freisitze sind für uns überlebenswichtig“, sagt der Münchner Kreischef des Gaststättenverbands Dehoga. Einige Lokale würden große Teile ihrer Freisitze verlieren, befürchtet Schottenhamel. Er ist gegen eine pauschale Regelung für die ganze Stadt. „Das muss man im Einzelfall betrachten und auch schauen, wie viele Beschwerden es gegeben hat“, sagt er. Bisher habe er noch nichts von großartigen Beschwerden gehört. Er plädiert dafür, das Thema mit Augenmaß anzugehen und Toleranz und Rücksichtnahme auf beiden Seiten gelten zu lassen.

„Hier braucht es individuelle Lösungen“, sagt der OB

Die neue Regel für Sondernutzungen von Gehwegen gilt von Januar 2025 an, bestehende Genehmigungen sollen noch bis Ende 2025 erhalten bleiben. Ob die Änderung aber nächste Woche beschlossen wird, ist ungewiss, im Rathaus gibt es Widerstand. „Klar ist für mich, dass Menschen mit Kinderwagen oder Rollstuhl gefahrlos durchkommen müssen“, teilt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auf Instagram mit. „Deshalb aber der gesamten Stadt eine Lösung überzustülpen, halte ich für den falschen Weg. Hier braucht es individuelle Lösungen, die mit den Betroffenen vor Ort besprochen werden müssen“, so Reiter. „Freischankflächen gehören zu München, zu unserem Stadtbild und zu unserem Lebensgefühl. Dieses erhalten wir mit gegenseitiger Rücksichtnahme, nicht mit immer mehr Bürokratie. Davon bin ich überzeugt.“

Die SPD-Fraktion sieht das genau so: „Leben und leben lassen: Für uns gehen das schöne Münchner Lebensgefühl und Inklusion Hand in Hand“, sagt Stadtrat Christian Vorländer. Für die Grünen-Fraktion betont Gudrun Lux: „Ich liebe unsere Freischankflächen und das Münchner Lebensgefühl, zu dem sie beitragen. Gleichzeitig ist es uns sehr wichtig, dass sich auch Menschen im Rollstuhl oder mit Kinderwagen gut und sicher durch die Stadt bewegen können. Seit Jahren arbeiten Politik und Verwaltung an Lösungen, um die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen. Die vom KVR vorgelegten Vorschläge finde ich gut und plausibel. Wenn es weiteren Beratungsbedarf gibt, sind wir dafür freilich offen.“

Die CSU verweist darauf, dass Städte wie Berlin oder Frankfurt eine Durchgangsbreite von 1,50 als ausreichend betrachteten und dass es keine gesetzlichen Vorgaben für Durchgangsbreiten gebe. „Es gibt mit den bisherigen Regelungen keinen einzigen bekannten Problemfall“, sagt Stadtrat Thomas Schmid. Sofern es aus Sicherheitsgründen notwendig sei, könnten die Behörden jetzt schon einschreiten. „Statt einer pauschalen Regelung sollte das KVR lieber das Gespräch mit den Betrieben suchen, falls es Beschwerden gibt“, so Schmid. „Der Vergleich mit anderen Großstädten wie Frankfurt zeigt, dass München hier über das Ziel hinausschießt.“

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