Traditionelle WirtshäuserIm zweiten Wohnzimmer

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Wirtshaus Serie Weinbauer in Schwabing Foto.catherina Hess
Wirtshaus Serie Weinbauer in Schwabing Foto.catherina Hess (Foto: Catherina Hess)

Helmut Fischer saß für den "Tatort" am Stammtisch, Christian Ude bekam Hausverbot, und Gerhard Polt kommt bis heute zum Essen vorbei. Der Weinbauer ist ein echt Alt-Schwabinger Gasthaus

Von Nicole Graner

Der Stammtisch ist voll besetzt. Wie es halt so üblich ist, sitzen die Herren vor ihrem Bier und verbessern die Welt. Es geht um die "guate Ochsenbrust", um Traditionen. Wirtin Resi ist die Seele des Wirtshauses. Mitten drin hat Helmut Fischer (1926-1997) alias Kommissar Ludwig Lenz seinen Platz und plaudert über die Liebe und die Frauen an sich. Plötzlich wird es laut am anderen Tisch. Ein paar Rocker mischen den Laden auf. Lenz schreitet natürlich ein - mit ganz ruhigen Worten: "Also jetzt seid's vernünftig! Leut, geht's woanders hin oder zum Flippern." Die Situation eskaliert, und der "Tatort: Schicki Micki" aus dem Jahr 1985 nimmt seinen Lauf.

Der Stammtisch ist nicht mehr der gleiche wie damals, aber er steht immer noch genau an derselben Stelle im Schwabinger Wirtshaus "Weinbauer", in dem der "Tatort" von einst gedreht worden ist. "Das war schon immer so", sagt einer, der es wissen muss, weil er selbst so oft in seinem Leben an diesem Stammtisch gesessen ist. Nennen wir ihn einfach Hans, denn seinen richtigen Namen will er nicht sagen. "Das tut wirklich nichts zur Sache", erklärt er und schüttelt den Kopf. Da erzählt er doch viel lieber, was er in diesen Räumen an der Fendstraße schon alles erlebt hat.

Seit der gebürtige Niederbayer Student in München war, ist er im Weinbauern ein- und ausgegangen: im Schwabinger Wirtshaus schlechthin. Günstig sei das Essen gewesen, erinnert er sich. Eine Bratwurst mit Kraut habe 3,80 Mark gekostet. Und geschmeckt habe es auch. Schließlich sei der damalige Wirt Helmut Hertinger Metzger gewesen. Das Bier sei billig gewesen, wenn auch nicht unbedingt "genießbar". Aber: Um elf war das Wirtshaus voll. "Wenn man dann zur Tür rein ist, hat man in einen Nebel geschaut, so dunstig war es herinnen." Hans sagt es und lächelt still in sich hinein. So, als ob er sich in der Erinnerung noch einmal an den Stammtisch der Siebzigerjahre setzt. Dann fällt dem heute 70-Jährigen noch ein, dass immer donnerstags die "Modefuzzis" an einem großen Tisch zusammengekommen seien. So nannten die Stammtischler die Modeagenturbetreiber, die im Weinbauern ebenfalls ihr Bierchen tranken. Wirt Hertinger war es auch, der dem jungen Studenten und späteren Oberbürgermeister Christian Ude einfach Hausverbot erteilte. "Der Wirt mochte die linken Revoluzzer nicht", erklärt Hans.

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(Foto: Catherina Hess)

Ein bisschen was Neues, ein bisschen moderner - aber den Geist der alten Schwabinger Vorstadtwirtschaft,...

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(Foto: Catherina Hess)

...den die Wände atmen,...

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(Foto: Catherina Hess)

...den hat Wirt Franz Schmuck erhalten.

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(Foto: Catherina Hess)

Seit gut zehn Jahren führt er den Weinbauern.

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(Foto: Privat)

Zu seinen Vorgängern gehört Johann Burgmeier (mit der weißen Schürze links im Bild).

Helmut Hertinger war in den bewegten Zeiten des Weinbauern nicht der erste Wirt. In einer liebevoll handgeschriebenen Chronik mit alten Fotos haben er und seine Frau Doris in schnörkeliger, zierlicher Schrift die Geschichte des Weinbauern aufgeschrieben: für "Walli" zum 70. Geburtstag. "Walli", Walburga Burgmeier, geborene Wunderl, war eine Vorgängerin der Hertingers. Mit ihrem Mann Hans Burgmeier führte sie das Lokal von 1936 an bis weit nach dem Krieg. Der Leser der Chronik erfährt, dass der Weinbauer 1861 an Franz Paul und Ursula Freidhof ging, und 1911 an Johann Burgmeier. Und was die wenigsten Schwabinger von heute wissen: dass die Fendstraße einst "Kreuzgasse" hieß. Nicht weil sie tatsächlich die Bäckergasse kreuzte, sondern weil, so heißt es in der Chronik, für die "Alt-Schwabinger Ehefrauen die attraktive Einkehr der Familien-Väter im Weinbauer hinterher vielfach "ein rechtes Kreuz" gewesen sein muss.

Hans schmunzelt darüber. An einige feucht-fröhliche Abende am Stammtisch kann er sich natürlich auch noch aus eigener Erfahrung erinnern. Mit den Nachbarn, die ihren Weinbauern liebten, mit Künstlern, die von der Akademie herkamen oder später bei Lesungen des Kabarettisten Gerhard Polt. "Der übrigens immer noch hierher kommt", sagt Hans. "Mit der ganzen Familie."

Der Weinbauer hatte auch schlechte Tage. In den Achtzigerjahren zum Beispiel, so erinnert sich Hans, "war das Wirtshaus einfach nimmer das, was es einmal war". Das Essen sei schlecht, die Stimmung nicht gut gewesen. Da sei sogar er mal zwei Jahre nicht mehr gekommen. Doch dann, Mitte der Neunziger, übernahmen Michi Beck und sein Freund Hubertus Timmel den Weinbauern. Da ging es dann wieder bergauf. Denn, so weiß Hans, "der Timmel war ein super Koch und hat die Gäste wieder für das Lokal zurückgewonnen". Auch weil er mit ihnen redete, offen war und immer eine lukullische Überraschung parat hatte.

Nach Hubertus kam Franz. Franz Schmuck. Der heutige Wirt. Er erinnert sich, so als ob es gestern gewesen wäre, an einen Abend im April 2010. Da stand der heute 37-Jährige im Weinbauern, der schon seit Monaten geschlossen war und auf einen neuen Pächter wartete. Damals ist Schmuck 26 Jahre alt, er kommt aus einem gastronomischen Betrieb in Sauerlach südlich von München. "Ich musste einfach mal weg von daheim, selbst mein Glück versuchen", sagt er und beschreibt, wie er in den alten Räumen mit den Holzvertäfelungen stand und nur dachte: Mensch, das ist genau das, was ich mir vorgestellt habe. "Ich wusste sofort, das ist es", sagt er und lässt die Augen durchs Lokal schweifen - ein Blick, dem man gerne folgt: die holzvertäfelten Wände, das kleine Gams- oder Jagdstüberl, der lange Stammtisch und das Bild, das an der Wand über dem Stammtisch hängt: Johann Burgmeier ist zu sehen. Jener Mann, der ein Wirt war, wie er im Buche steht. Und den man auf einem Foto aus der Hertinger-Chronik wiedererkennt. Mit kleinem Bäuchlein, Mütze und weißer Schürze steht er vor seinem Wirtshaus.

Franz Schmuck und sein Freund und Mitstreiter Thomas Eder richten 2010 in kurzer Zeit den Weinbauern her, werkeln und schrubben. Dann der Tag X: Die Gäste kommen, und Schmuck spürt, wie sehr dieses Wirtshaus von seinen Menschen, seiner Offenheit und seiner Tradition lebt. Allerdings: Nur von den Stammtischgästen allein kann keine Wirtschaft überleben. In der heutigen Zeit schon gar nicht. Den beiden Wirten, und später Schmuck allein, gelingt aber nach einer nicht ganz einfachen Anfangsphase der Spagat: ein bisschen was Neues, ein bisschen nach außen gehen, ein bisschen moderner werden. Aber vor allen Dingen mit den Gästen reden. Und gutes Essen servieren. Stammgast Hans lacht. Und klopft Franz Schmuck auf die Schulter. "Das habt ihr wirklich gut hinbekommen", sagt er. Und schon hat Hans, der "ewige Weinbauer", die nächsten Geschichten parat. Er erinnert sich an ein Hip-Hop-Fest, das die Polizei auflösen musste. Und daran, dass der Geiger und erste Konzertmeister der Münchner Philharmoniker, Lorenz Nasturica-Herschcowici, draußen an den Biertischen mal ein paar Ständchen spielte, Autogramme gab und später, auf Wunsch der Polizei, einfach im Weinbauern weiterspielte. "Da ging es hier rund", sagt Hans und man merkt ihm an, wie glücklich er ist, dass sein zweites Wohnzimmer in guten Händen ist. Damit etwas von dem Geist jener Zeit übrig bleibt, als die Bratwurst noch 3,80 Mark kostete.

"Der Schwabinger Weinbauer ist zum Begriff geworden. Und er gehört zu Schwabing genauso wie der weiß-blaue Himmel zu Bayern oder das Oktoberfest zu München." Mit diesen Worten endet die Chronik der Wirtsleute Hertinger. Die Einschätzung hat unter Franz Schmuck ihre Gültigkeit bewahrt.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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