Süddeutsche Zeitung

Zwischennutzung in München:Gasteig kann zum "größten Subkulturzentrum Europas" werden

Das Gebäude soll bis zum Beginn seiner Sanierung Anfang 2024 nicht nutzlos herumstehen. Was vier große Münchner Kulturmacher mit "dem Riesentrumm" vorhaben.

Von Michael Zirnstein, München

Nach der Besichtigung des schon weitgehend geräumten Gasteigs stand für die vier Interessenten fest: Die Größe, das inspirierende Umfeld, die zentrale Lage, diese Möglichkeiten - hier wollten sie etwas erschaffen. "Wenn die Stadt das nicht macht, besetzen wir's", sagte der eine, Michi Kern, im Scherz zu den anderen, also zu Till Hofmann, Nepomuk Schessl und Peter Fleming. Letzterer staunte: 1500 Räume, das seien mehr als im Schloss Versailles. Spätestens damals, im Juli 2022, stand für diese vier Münchner Kulturgrößen fest, sie würden gemeinsam das größte Kulturzentrum Europas übernehmen und zum "größten Subkulturzentrum Europas" umfunktionieren, solange es bis zum Beginn seiner Sanierung Anfang 2024 nutzlos herumsteht. Unbedingt, aber nicht bedingungslos.

Nun müsste man annehmen, dass der Stadtrat genau so eine potente Betreibergemeinschaft im Sinn hatte, als er Ende Juni beschloss, sein bereits seit acht Monaten im Trockendock liegendes Kulturflaggschiff zur Zwischennutzung auszuschreiben: Um "Raum für spartenübergreifende Kreativität im urbanen Kontext" zu schaffen. Einen soliden Finanz-, Personal- und Müllplan sollten die Kandidaten mitbringen, einschlägige Erfahrung und eine weltoffene, fast schon karitative Einstellung.

Nun, bitte: Till Hofmann ist der Kleinkunstkönig Münchens (Lustspielhaus, Milla, Eulenspiegel Concerts), Nepomuk Schessl vertritt Münchenmusik, den hiesigen Klassik-Marktführer, Michi Kern ist der Zwischennutzungsexperte schlechthin (Sugar Mountain, Lovelace), und Peter Fleming schmeißt das Harry Klein, den sozial korrekten Renommier-Club der Stadt. Wer sollte das "Riesentrumm" (so nennen es die Vier) sonst stemmen? Wer sollte so weite Ideen, Interessen, Knowhow, Personalkontakte und Mitspieler einbringen können?

Wenige Kandidaten kamen zum Besichtigungstermin, noch weniger Bewerbungen gingen ein, von denen passte auf die Ausschreibung: keine. Die Großen vier hoben erst gar nicht den Finger. Sie schickten eine Absage - mit einem Gegenvorschlag. Denn die vom Wirtschafts- und Kulturreferat ausgetüftelten Vorgaben waren wohl gut gemeint, vor allem um Stadtsäckel und Gasteig GmbH vor Belastungen zu bewahren und die freie Szene ins Spiel zu bringen. Aber sie wären wohl nur von einer zwielichtigen Organisation mit dringendem Bedarf für Geldwäsche interessant gewesen.

283 000 Euro Monatsmiete waren aufgerufen (7 Euro plus 3,54 Euro Nebenkosten pro Quadratmeter), bis Ende 2023 also mehr als vier Millionen Euro, plus 150 000 Euro monatlich für die eventuell bespielbare Philharmonie. So weit, so happig. Zumal die Verdienstmöglichkeiten sehr beschränkt waren, denn an der Gastronomie wollte die Stadt beteiligt werden, und das Angebot sollte "einen möglichst großen Anteil von kostenlosen oder kostengünstigen kulturellen Nutzungen" enthalten und keinesfalls anderen Kulturorten (speziell dem Gasteig-Interim HP8) Konkurrenz machen.

Die Summe sei gerade in der freien Kulturbranche nicht zu erwirtschaften, entgegneten die Vier. Sie schlugen eine Umsatzpacht vor, in der Höhe angepasst an die jeweilige Art der Bespielung. Zum Beispiel 3000 Euro pro Tag für den Carl-Orff-Saal bei kommerzieller Nutzung, wie für Firmen-Events; 250 bis 800 Euro bei Kulturveranstaltungen; und weniger bis gar nichts bei sozialer Belegung. Tatsächlich brachte der Stadtrat daraufhin im Feriensenat eine erneute Ausschreibung auf den Weg mit einer Ergänzung: "alternative Umsatzpacht". Darauf "kann man aufbauen", sagt Till Hofmann. Und so hat das Quartett am Donnerstag, dem letzten Tag der Frist, seine Bewerbung abgegeben.

Mehrseitig listen sie auf, wie und mit wem sie den Leerraum von Frühjahr 2023 an mit Leben füllen könnten: Schon draußen würde Michi Kern gerne alles umgraben für Skaterbahn, Kletterwand (mit dem DAV), Tischtennis, Boule-Bahnen, Basketball, Trampolins und Kinderspielplätze, damit sich "für alle Generationen von früh bis spät was rührt". In den vielen Räumen und Sälen von VHS und Musikhochschule könnten Bands, einzelne Musiker, Chöre und Schauspieler proben, teils gefördert vom Kulturreferat. Der Bedarf nach Arbeits- und Übungsräumen sei riesig, bei der Staatsoper ebenso wie bei der Circus Academy, weiß Kern, der gerade das Jewish Chamber Orchestra über die ganze Stadt verteilen musste.

Der Zwischen-Gasteig könnte Spielstätte von städtischen wie freien Festivals von Spielart, Filmfest und Rodeo bis zum geplanten "Flinta"-Ereignis bleiben oder werden. Es soll Vortragsräume geben, Ausstellungen zusammen mit Partnern wie Stroke Art, Messen wie die Yoga World, Floh- und Design-Märkte oder Kongresse wie die Mixcon. Bei der Vermietung von Büros an die Kreativwirtschaft würde man mit dem Netzwerk-Paten Marco Eisenack von Mucbook Clubhouses kooperieren; die Dachterrasse der Bibliothek würde man als Zweit-Hauptmieter Thomas Manglkammer für sein Autarkie-Konzept mit Kultur, Gastronomie (mit Dach-Beeten) und Energie (Windrädern) gerne überlassen.

Auch die Jugend- und Clubkultur soll ihren Platz haben, nicht nur in der coolen Black Box. Routiniers wie World League, Digitalanalog oder Puls sollen sich ebenso einnisten wie die freien Techno-Kollektive der Stadt. "50 Prozent soll soziokulturell sein, es geht um die Entwicklung der Stadt", sagt Fleming. Hofmann denkt an die Off-Theater, die könnten hier wochenlang üben und aufführen, auch Stücke oder "neue Musicalformen", die die (Raum-)Probleme Münchens verhandeln. "Es soll ein Debattenort werden: Welche Stadt wollen wir sein?", sagt Hofmann, "wir müssen die Räume anders denken, alles gegen den Strich bürsten." Kern nennt es "Inkubator, Experimentierfeld, Schnellkochtopf."

Zur Finanzierung sollen auch rentable Veranstaltungen stattfinden. Nichts, womit Münchenmusik sich selbst und andere etwa im HP8 selbst kannibalisieren würde, beteuert Schessl. Er denkt an "hochkarätige Laienchöre" oder den Circus Roncalli, die hier proben und dann länger en suite spielen könnten. "Aber das wenigste wird von uns Vieren selbst kommen, wir wollen andere motivieren, etwas anzubieten", sagt er. Ein Knackpunkt ist die Bespielung der Philharmonie. Die ist für Schessl "wesentlich", zur Finanzierung, aber auch als "Test, ob die Stadt später drei, vier große Konzertsäle" trage (auch ein Test für die Zukunft des HP8, und des Gasteigs). Noch allerdings belegt das Impfzentrum das Foyer und verhindert so eine publikumsintensive Bespielung des 2500-Plätze-Saals.

Diese Probleme, wie auch beim engen Zeitplan, beim Gebäudebetrieb durch die Gasteig-GmbH oder beim Brandschutz, werde man gemeinsam lösen, so sind sie nach vielen Gesprächen bis in die Bürgermeisterzimmer zuversichtlich. "Der Wille ist da", sagt Hofmann. Auf beiden Seiten. Ob sich dann die Jury mit Vertretern von Gasteig und den Referaten am 6. Oktober für die vier entscheidet? Auf jeden Fall hat die Stadt jetzt ein Angebot, das sie schwer ablehnen kann, wenn es ihr ernst ist.

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