Mein Gefühl im ersten Lockdown war das eines Déjà-vu. Nicht weil ich so etwas schon mal erlebt oder geträumt, sondern weil ich eine ähnliche Situation in einer Filminstallation inszeniert hatte. 2017 hatte ich vor dem Münchener Gasteig einen Bunker aufgestellt, in dessen Innerem man eine Familie beobachten konnte, die sich freiwillig von der Außenwelt abgeschottet hatte, um völlig autonom zu leben. In einer Zeit, in der es zunehmend um Individualisierung statt um Gemeinschaft geht, sollte diese Intervention stören, aufrütteln und provozieren. Das tat sie auch und sie wirkte damals wie eine absurde Dystopie. Es ist ein beunruhigendes Gefühl, dass, wenn auch unfreiwillig, vieles davon heute Wirklichkeit geworden ist.
Als bildende Künstlerin verbringt man viel Zeit allein im Atelier und so empfand ich die Reduktion der Kontakte anfangs als nicht so schwerwiegend. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob ich, gestrandet auf einer einsamen Insel, weiter Kunst machen würde. Ich hatte sie immer mit einem klaren Ja beantwortet, weil ich mir ein Leben ohne Kunst nicht vorstellen kann.
Kurz vor dem ersten Lockdown hatte ich einen neuen Film abgedreht, so dass ich wie geplant in eine digitale Klausur, bestehend aus Schnitt und Postproduktion, ging. Der Film heißt "Last Generation" und handelt von zwei Frauen, die mit hedonistischer Haltung durch die menschenleere Natur streifen und davon singen, dass sie die letzte Generation sind, für die diese Erde noch halten wird. Ich hoffe sehr, dass dieser Film nicht Realität wird!
Als das Projekt fertig war, veranstaltete ich eine Online-Premiere. Zuerst hatte ich Bedenken, eine neue Arbeit digital zu "verschleudern", merkte aber, dass die Aufmerksamkeit groß war, dass viele Kurator*innen und Künstler*innen das Projekt verlinkten. Vielleicht liegt in der Krise ja die Chance, dass wir Künstler uns wieder stärker alleine organisieren? Jedenfalls schlägt momentan die Stunde derer, die autonom arbeiten können.
So entschied ich mich in der Abgeschiedenheit meines Ateliers dazu, das nächste Filmkunstprojekt ganz allein durchzuziehen. Wie schon bei "Last Generation" nahm ich einen Song meiner Band zum Ausgangspunkt: "Dirt as a Pet". In diesem Lied geht es um den Streit eines Paares um die Haushaltspflichten. Beide fühlen sich im Nachteil und beide führen das auf ihre Rolle als Frau beziehungsweise Mann zurück. Ich spielte beide Rollen, die der Frau und die des Mannes, so dass das Gespräch zu einem inneren Dialog wird. Der Film ist vor dem Greenscreen gedreht und später in ein Puppenhaus verlegt.
Diesmal gab es eine echte Premiere in einer Outdoorausstellung des Kunstvereins Pfaffenhofen. Der Kurator und Autor Steffen Kopetzky erzählte mir, dass er jeden Abend den Projektor ausschaltet und "Dirt as a Pet" pfeifend nach Hause schlendert. Meine Freude über diesen kleinen, feinen Kommentar zeigt mir, wie sehr wir analoge Ausstellungen und ein Publikum brauchen. Die Frage mit der einsamen Insel kann ich deshalb nicht mehr so eindeutig beantworten.
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