Süddeutsche Zeitung

Ergebnisse von Vogel-Zähl-Aktion:So haben sich die Vogelwelten in München verändert

Viele Vogelfreunde haben bei der "Stunde der Gartenvögel" mitgezählt. Am meisten überrascht sind Experten aber nicht von den Tierbeständen - sondern von den Menschen.

Von Thomas Anlauf

Die Mauersegler sind zurück. Vor wenigen Tagen kehrten die ersten Schwärme aus Afrika nach München heim und wurden über dem Baldeplatz und der Reichenbachbrücke gesichtet. Nachdem im Frühjahr 2013 die Hälfte der Langstreckenflieger wegen extrem schlechter Witterung bei ihrem Flug nach Norden zugrunde gegangen waren, hat sich die Population offenbar wieder erholt. "Seither kommen sie später hier an", sagt Heinz Sedlmeier, Geschäftsführer des Landesbund für Vogelschutz in München.

Bis zu dem Massensterben vor sieben Jahren waren die Mauersegler regelmäßig um den 20. April aus ihren Winterquartieren in der Subsahara in München angekommen, nun sind es drei Wochen später. Doch sie kamen pünktlich, um von Hobby-Ornithologen gesichtet zu werden. Knapp 1200 Mauersegler wurden bei der "Stunde der Gartenvögel" gezählt. Zu der rufen jährlich der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) und der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) auf.

Auffällig für Sedlmeier ist, wie viele Menschen sich bei der diesjährigen Zählung beteiligt haben. Mehr als 1500 Vogelfreunde meldeten dem LBV insgesamt 20 560 Vögel, die sie innerhalb einer Stunde in ihren Gärten, vom Balkon oder Fenster aus gesehen hatten. Am häufigsten entdeckten die Münchner Kohlmeisen, obwohl es im Vergleich zum Vorjahr fünf Prozent weniger waren. In nahezu allen Münchner Gärten oder Grünanlagen fanden die Münchner Amseln. Auf Platz drei in der Rangliste der häufigsten Vögel in München kam in diesem Jahr die Rabenkrähe. Sie ist deutlich häufiger gesehen worden als vor einem Jahr, die Krähen-Sichtungen stiegen um 24 Prozent.

Überrascht war Vogel-Experte Sedlmeier über den starken Rückgang der Blaumeisen in München. Zwar sterben in diesem Frühjahr auffällig viele Blaumeisen an einem Bakterium, das eine Lungenentzündung auslöst, doch die Krankheit breitete sich vor allem am Mittelrhein und in Norddeutschland aus. Und bislang hatte der LBV praktisch keine Meldungen von kranken oder toten Blaumeisen in München. "Trotzdem sind fast ein Fünftel der Vögel weg. Damit hatte ich nicht gerechnet", so Sedlmeier. Andererseits gibt es auch Erfolge beim Vogelschutz zu verzeichnen. So hat sich der Bestand an Haussperlingen, die in der Großstadt immer weniger Platz zum Nisten finden, etwas erholt. In den vergangenen Jahren haben LBV und die Stadt große Anstrengungen unternommen, die letzten Spatzenkolonien in München zu retten. So wurden mehrere Spatzentürme errichtet, in denen sich die Vögel wohl fühlen, an Schulen und sogar am Einkaufszentrum Pep in Neuperlach gibt es spezielle Nistkästen für die Vögel. Sperlinge sind sehr ortstreu und bleiben im Umkreis von ein paar Dutzend Metern ihrer Nistplätze.

Am Bestand des Haussperlings lässt sich auch eine erstaunliche Entwicklung ablesen. Der Spatz, der ein echter Kulturfolger des Menschen ist, siedelt sich seit einigen Jahren immer häufiger in Dörfern an, während er in Großstädten seltener wird. "Der Haussperling ist ein typischer Landvogel geworden", sagt Sedlmeier. Auch die Rauch- und Mehlschwalben, die früher häufig in München anzutreffen waren, haben sich aufs Land zurückgezogen. Dafür besiedeln nun Waldvögel wie Eichelhäher und Ringeltaube, die vor 15 Jahren so gut wie gar nicht in der Stadt gesichtet wurden, mittlerweile weite Teile Münchens. "Zwischen den kleineren Städten und der Großstadt bilden sich ganz unterschiedliche Vogelwelten aus", so Sedlmeier.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Vogelzählung sind für den Biologen jedoch nicht die Tiere, es sind die Menschen. Dieses Mal beteiligten sich deutlich mehr an der Zählung. "Die Leute interessieren sich jetzt viel mehr für die Natur vor der Haustür."

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SZ vom 14.05.2020/aner
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