Süddeutsche Zeitung

Ausstellungen:Jung, frisch, frech

Die einen ziehen den "Joker", die anderen entfalten einen Naturkosmos, eine herbstliche Elegie lädt zum Cocooning ein, und zwei Ausstellungen beschäftigen sich mit Heimat, Nähe und Identität - ein Rundgang durch Münchner Galerien

Von Evelyn Vogel

Seit zwei Wochen vibriert die Kunstszene Münchens wieder. Mit der Open Art und Various Others hat die Herbstsaison auch in den Galerien begonnen. Zu den vielen sehenswerten Ausstellungen gehört "Joker", mit der ein Teil von Jahn & Jahn am Präsentationsformat Various Others teilnimmt. Dazu hat man sich die Thomas Dane Gallery aus London und die García Galería aus Madrid eingeladen - letztere stellt im Untergeschoß eine Werkschau von Ludovica Carbotta unter dem Titel "Die Telamonen" aus. Der andere Teil von Jahn & Jahn hat mit ebenfalls ganz wunderbaren neuen malerischen Arbeiten von Friedrich G. Scheuer im Rahmen der Open Art eröffnet und konzentriert sich ganz auf dessen Mikrokosmos. Doch die poetisch-ironische "Joker"-Schau mit Werken der vier Künstler Marcel Broodthaers, Rasmus Nilausen, Caragh Thuring und Troels Wörsel, die gemeinsam ein ganzes Jahrhundert überspannen, ist eine aufregende Entdeckungsreise durch eine vielfältige Bild-Text-Welt, die begeistert. Jung, frisch, frech - einfach herrlich.

Galerie Jahn und Jahn, Baaderstraße 56 B und C, beide bis 10. Oktober

Ein Naturkosmos entfaltet sich in den Galerien von Sabine Knust mit dem Ableger Knust Kunz, wo man sich Pace Prints aus New York als Partnergalerie zu Various Others eingeladen hat. "Restless" heißt der Werkzyklus auf Papier von Shara Hughes in der Ludwigstraße, der in der Strichführung der Landschaftsgrafik teils fast symbolistisch anmutet. Den knalligen Gegenpol setzt Austin Eddy mit seiner Malerei zu "The Poet And The Muse", mit der er den kleinen Projektraum in der Theresienstraße gleichsam in eine Voliere verwandelt, so viele gemalte Vögel bevölkern dort die Wände in kraftvollen Farben. Zwei junge amerikanische Positionen sind hier also zu entdecken, zumal es für beide auch ihre erste Einzelausstellung in Deutschland ist.

Knust Kunz Gallery Editions, Ludwigstr. 7 und Theresienstr. 48, beide bis 10. Oktober

Auf eine Spurensuche durch zarte Bildwelten kann man sich bei Nagel Draxler begeben. Die Galerie betreibt neben ihren Hauptstandorten in Köln und Berlin erst seit einem Jahr einen Miniaturableger in einem Ladengeschäft in der Maxvorstadt, wo sie mit einem Versicherungsbüro eine Kooperation eingegangen ist. Dass Nagel Draxler München dennoch ein ernst zu nehmender Ausstellungsraum ist, beweist die Einladung von Various Others. Gemeinsam mit der Berliner Galerie Lars Friedrich sind nun Werke des deutschen Malers Stefan Müller und des südkoreanischen Künstlers Min Yoon zu sehen. Und besonders die Bilder des aus Frankfurt stammenden Bayrle-Schülers füllen den kleinen Ausstellungsraum mit einem beinahe verzweifelt schreienden Mal-Gestus. Die wie einsame, der Vergänglichkeit überlassenen skulpturalen Blätter aus zartem Leder Min Yoons machen aus der Präsentation eine tief traurige Elegie, die Mitte September, bei der sonnigen Eröffnung, irritierend wirkte. Nun aber in diesen frühherbstlichen Tagen wie eine wohlige Cocooning-Einladung anmutet.

Galerie Nagel Draxler, Türkenstr. 43, verlängert bis 5. Dezember

Eine einmalige Chance, wenigstens einen Einblick in vier private deutsche Kunstsammlungen zu erhalten, bietet sich im Rahmen von Various Others im Breiterhof. In einer derzeit leer stehenden Büroetage hat der Künstler Paul Hutchinson die umfangreich Ausstellung "The Place - Once Called Home" kuratiert. Dabei hat er sich einerseits aus den Beständen der vier Sammlungen bedient, die in Berlin, Düsseldorf, München und Stuttgart beheimatet sind. Hat eigene Werke hinzugefügt und an vereinzelten Stellen Münchner Künstler hinzugeladen. Entstanden ist eine wirklich aufregende Schau, die sehr vielfältig mit dem Thema Heimat, Nähe und Identität umgeht. Absolut sehenswert.

Art'Us Collectors' Collective at Breiterhof, Zweibrückenstr. 5-7, 1. Stock, bis 30. September

Vom Thema Heimat und Identität handelt auch die Ausstellung "Holz Bau Stadt München" in der Architekturgalerie. Sie widmet sich auf sehr anschauliche Weise der neuen ökologischen Mustersiedlung Prinz Eugen Park auf dem ehemaligen Kasernengelände im Norden der Landeshauptstadt. Etwas mehr als zehn Jahre nach Beginn ziehen nun die ersten Bewohner in Deutschlands größte Holzbausiedlung mit 600 Wohnungen ein. Die Holzstelen, die, mit Bildmaterial, Daten und Fakten beklebt, die kleinen Galerieräume füllen, wirken selbst wie Bäume und laden ein zum informativen Lustwandeln im Architekturwald. Wer mehr über die ökologische Mustersiedlung wissen will, am Donnerstag, 8. Oktober, findet um 19 Uhr die Diskussion "Holz Bau Stadt München 2030/2050" in den Räumen des BDA in der Türkenstraße 34 statt.

Architekturgalerie, Türkenstr. 30, bis 10. Oktober

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SZ vom 26.09.2020
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