Münchner Kunstmarkt:Karin Sachs schließt ihre Galerie

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Zum Abschied ein leises Servus, wie es immer ihre Art war: Karin Sachs vor ihrer Galerie in der Augustenstraße. (Foto: Robert Haas)

Sie gehörte zu den Leisen im Kunstbetrieb. Und kümmerte sich wenig darum, was auf dem Markt gut ankommt.

Von Martina Scherf

Die Räume sind leer, die Wände frisch getüncht. Karin Sachs steht in ihrer Galerie in der Münchner Augustenstraße und atmet tief durch. Fast 40 Jahre lang hat sie mit der Kunst gelebt. Jetzt ist Schluss. Der Abschied fällt ihr nicht leicht, das ist zu spüren. Ihre schwarzen Haare stehen immer noch ein bisschen wild am Kopf, ihre blauen Augen sind wach wie eh und je. Die 84 Lebensjahre sieht man ihr wahrlich nicht an. „Doch, es ist leider so, ich werde alt“, sagt Karin Sachs und rückt sich auf dem letzten verbliebenen Stuhl gerade.

Eine der letzten Ausstellungen war dem Belgier Joost Colpaert gewidmet (hier sein Acrylbild Sacrifice von 2022). Karin Sachs mag gerne die reduzierte Kunst, das Rätselhafte. (Foto: Robert Haas)

Zeit, zurückzuschauen. Der Galeristin lag eher die rätselhafte, reduzierte Kunst als das Expressive, sie mochte lieber Zeichnungen als Malerei, aber auch Comic, Mangas, Fotografie, Installationen. Sie kümmerte sich nicht darum, was auf dem Markt gut ankommt – „dann hätte ich ja auch eine Boutique aufmachen können.“ Sie machte ihr eigenes Ding. Fuhr zur Documenta und lud Künstler ein, die sie spannend fand, wie den gebürtigen Dresdner Via Lewandowsky. Die vieldeutigen Flusslandschaften des Belgiers Joost Colpaert stellte sie zuletzt aus, und die flüchtig hingeworfenen Zeichnungen des Münchners Samuel Rachl. Den Münchner Michael Hirschbichler mit seinen mythologisch aufgeladenen Fotografien und Zeichnungen. Oder den portugiesischen Bildhauer Rui Chafes, der die Räume mit seinen verstörenden schwarzen Stahlskulpturen bestückte.

Am liebsten präsentierte sie Werke, die sich erst auf den zweiten oder dritten Blick erschließen, wie die Papierarbeiten von Daphna Weinstein. Die Israelin schnitt mit einem Messer Schicht für Schicht immer tiefer in das weiße, mehrlagige Papier. Diese Scherenschnitte wirkten erst harmlos – bis man begriff, dass „The Search for Kosovo“ (2012) ein Massengrab andeutet. Mit manchen Künstlerinnen wie der gebürtigen Iranerin Parastou Forouhar entstand eine enge Verbindung. Die Künstlerin lebt seit 1991 in Deutschland, ihre freidenkerischen Eltern wurden vom Mullah-Regime ermordet. Mit subtiler Ästhetik verbindet sie die Magie und Schönheit persischer Kalligrafie mit den Schrecken der Diktatur. „Ich bin immer am Zittern, wenn sie wieder nach Iran fährt“, erzählt Karin Sachs. Briefe und Gedanken, die Forouhar an ihre Galeristin schickt, erreichen dann regelmäßig einen großen Verteiler.

Neues, Fremdes entdecken, das trieb Karin Sachs immer an. Das war auch der Anfang ihrer Beschäftigung mit Kunst. Mit ihrem Mann war sie damals von Darmstadt nach München gezogen. Sie war gelernte physikalisch-technische Assistentin, hatte zwei Kinder und studierte Innenarchitektur. Eigentlich genug, um den Tag zu füllen. Aber im Möbelhaus zu arbeiten oder reichen Münchnern die Villa durchzustylen, das war nichts für sie. „Ich wollte etwas Eigenes“. Sie begann, durch Museen und Galerien zu stromern, immer öfter, immer intensiver. „Ich habe alles aufgesaugt wie ein Schwamm“, erzählt sie. Sie arbeitete eine Weile bei zwei japanischen Antiquitätenhändlern. Und irgendwann war dann die Idee da: Eine eigene Galerie, das wär’s.

Freunde und ihr Mann redeten ihr gut zu, da überwand sie all ihre Hemmungen und eröffnete 1986 einen Ausstellungsraum an der Buttermelcherstraße im Gärtnerplatzviertel. „Ich hab’ ziemlich naiv angefangen“, sagt sie und lächelt, manches würde sie heute anders machen. Aber sie hatte Mut gefasst, das bestärkte sie. 2007 zog sie in die Augustenstraße um, näher am Kunstareal, in die Räume einer ehemaligen Wäscherei. Die großen Schaufenster waren ideal, um Menschen von der Straße anzulocken.

Das große Geld hat sie nicht verdient mit der Kunst

Großes Geld hat sie nie verdient mit der Kunst, aber das interessierte sie auch nicht. Es ging immer gerade so auf. Büro, Abrechnungen, Kommunikation, Einladungen verschicken, alles machte sie selbst. Sie stand auch nie gerne im Rampenlicht. Stattdessen stellte sie Werke aus, die sie selbst berührten. Als die Kinder erwachsen waren, reiste sie immer wieder mal allein in ferne Länder, Iran, Äthiopien, Usbekistan. Nach dem Arabischen Frühling zeigte sie die „Cairo-Stories“ der US-Amerikanerin Judith Barry, die 2011 erstmals bei der Sharjah Biennale in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu sehen waren - eine Video-Serie mit 15 Frauen, die erzählen, wie sie die Revolution auf dem Tahrir-Platz erlebten.

Aber nicht nur geografisch begab Karin Sachs sich auf fremde Spuren. Sie hat sich auch früh für Computerkunst interessiert. 1993 realisierte sie in der städtischen Galerie in der Lothringer Straße eine Schau mit Künstlern, die heute große Namen sind und die damals mit neuen Medien experimentierten – Thomas Bayrle, Rosemarie Trockel. Eine der letzten Ausstellungen in der Augustenstraße bestritt die Österreicherin Michaela Konrad. Sie präsentierte den Garten Eden als Comic, Adam und Eva standen im Paradies, aber ihre Unterleiber waren miteinander verkabelt, auf ihren Nasen trugen sie Cyberbrillen. Und wenn man einen QR-Code scannte, wurden die Bilder dank Augmented Reality lebendig, dann purzelten Äpfel vom Baum.

Computerkunst – da wäre noch viel zu entdecken

„Wenn ich weiter machen würde, würde ich Comics und Computerkunst zeigen“, sagt Karin Sachs und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Da wäre natürlich noch viel zu entdecken, wo es jetzt mit der Künstlichen Intelligenz erst so richtig losgeht. „Das interessiert mich sehr.“ Von NFTs (Non-Fungible-Tokens), digitale Werke, die auf dem virtuellen Kunstmarkt gehandelt werden, hält sie allerdings überhaupt nichts. „Das ist ja alles nur Spekulation.“ Aber welche visuellen Visionen mit KI umzusetzen sind, das findet sie spannend.

„Die Kunst war ein wichtiger Teil meines Lebens“, sagt sie jetzt rückblickend, „vielleicht hat sie mich gerettet, auf jeden Fall erfüllt.“ Deshalb fürchtet sie jetzt auch ein bisschen, in ein Loch zu fallen. Aber nur zu Hause auf dem Sofa zu sitzen, „das geht gar nicht.“ Sie will sich ein Ehrenamt suchen, etwas Karitatives, anderen Menschen und Ideen begegnen, auch ohne Galerie. 

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