Oper:Vom Leichten verweht

Oper: Verlegt in die Achtzigerjahre: Tom Rakewell (Gyula Rab) wächst zwischen Heuballen auf. An seiner Seite Ann Trulove (Mária Celeng).

Verlegt in die Achtzigerjahre: Tom Rakewell (Gyula Rab) wächst zwischen Heuballen auf. An seiner Seite Ann Trulove (Mária Celeng).

(Foto: Jean-Marc Turmes)

Das Gärtnerplatztheater eröffnet die Saison mit Igor Strawinskys "The Rake's Progress". Dirigent Rubén Dubrovsky, künftiger Chef am Pult, müsste die Oper liegen. Eigentlich.

Von Michael Stallknecht, München

Eigentlich wird Rubén Dubrovsky erst ab der kommenden Spielzeit Chefdirigent des Gärtnerplatztheaters sein. Dafür ist er in dieser schon erstaunlich präsent, leitet die erste wie die letzte Premiere. "The Rake's Progress", die Oper von Igor Strawinsky über den moralisch zweifelhaften Aufstieg und rapiden Absturz eines Jungspunds im London des 18. Jahrhunderts, sollte ihm liegen. Schließlich orientiert sich der Neoklassizismus der Partitur an Vorbildern aus der Barockmusik, in der Dubrovsky viel Erfahrung hat. Umso mehr enttäuscht, wie blass sein Dirigat in der ersten Spielzeitpremiere ausfällt: Dubrovsky schlägt rhythmisch präzis, findet aber zu wenig Varianten in Artikulation und Phrasierung. Vor allem verpasst er die Lust am Spiel mit den Stilen, das ironische, parodistische, auch exaltierte Moment, das eine solche Rückschau aus dem Jahr 1951 beinhaltet. In der kammermusikalischen Textur könnten vor allem die Bläser des Gärtnerplatzorchesters solistischer aufspielen, wozu sie ein künftiger Chefdirigent animieren, ihnen den Raum schaffen müsste. Doch dafür fallen schon die Tempi oft zu rasch, manchmal auch einfach nur flüchtig aus, die wohl vor allem den leichteren Sängerstimmen am Haus helfen sollen.

Oper: Berührt erst, wenn er in die dünne Luft des Wahnsinns gleitet: Tenor Gyula Rab als Tom Rakewell.

Berührt erst, wenn er in die dünne Luft des Wahnsinns gleitet: Tenor Gyula Rab als Tom Rakewell.

(Foto: Jean-Marc Turmes)

Zu leicht für die Titelpartie ist definitiv die von Gyula Rab: Sein feiner, aber auch schmaler Tenor berührt, wenn Tom Rakewell am Schluss in die dünne Luft des Wahnsinns gleitet. Für das lustvoll Draufgängerische der ersten beiden Akte fehlt es ihm an Farben, schlicht auch Durchschlagskraft. Stilsicher dagegen Mária Celeng, die ihm als Ann Trulove bis zuletzt treu bleibt: Ihr Sopran ist flexibel und schillert doch, bewegt sich souverän durch die hohen technischen Anforderungen und gewinnt ihnen zugleich Expressivität ab, trifft den mädchenhaften, aber entschlossenen Charakter der Figur. Ansonsten scheint das Gärtnerplatztheater, oft zu Recht stolz auf seine Ensemblekultur, die Oper kaum rollendeckend besetzen zu können: Matija Meić, der als teuflischer Nick Shadow den Titelheld auf die schiefe Bahn bringen müsste, kompensiert mit Kraft, was ihm an Dämonie abgeht. Und für die schräge, zwischen den Geschlechtern changierende Türkenbaba verfügt Anna Agathonos nicht an genügend Leichtigkeit in raschen Textpassagen. Wie alle Beteiligten überhaupt so wenig Sprachlust am (neo)klassischen Englisch entwickeln, dass man auch gleich auf Deutsch hätte spielen können. In kleineren Rollen retten immerhin Ann-Katrin Naidu (Mother Goose) und Juan Carlos Falcón mit einem pointierten Auftritt als Sellem die Ensembleehre.

Adam Cooper, am Haus vielfach als Choreograf aktiv, als Regisseur bereits mit seiner fluffigen Inszenierung von "Candide" hervorgetreten, verlegt die Oper ins London der 1980er-Jahre: Tom Rakewell wächst auf ländlichen Heuballen mit der Gitarre in der Hand auf, schafft in der Großstadt den Aufstieg zum Popstar. Gemeinsam mit der Türkenbaba bestreitet er eine eigene Show, die Hochzeit mit ihr schießt ihn zusätzlich in den Aufmerksamkeitshimmel. Inhaltlich stimmt dieses Setting, ästhetisch ist es ein Problem. Denn all die Punks, Mods und Goths in den Kostümen von Alfred Mayerhofer sehen aus, als seien sie einer damals sicher aufregenden Stadttheaterinszenierung der Achtziger entstiegen. Wo die Oper sich beim Pop bedient, bringt sie sich schnell in Verdacht, cool wirken zu wollen - was sie zuverlässig uncool macht. Dass dieser Abend rockt, wäre jedenfalls eindeutig zu viel behauptet.

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