50 Jahre nach seinem Bau befindet sich das sogenannte Schweizer Viertel in Fürstenried-West im Wandel. So sind kürzlich die Arbeiten für eine umfassende Nachverdichtung in dem Quartier am südwestlichen Stadtrand angelaufen. In den nächsten Jahren will die Bayerische Versorgungskammer (BVK) als Eigentümerin hier durch Aufstockungen und Anbauten die Zahl der Mietwohnungen von derzeit 1500 auf 2150 erhöhen.
Neben diesen ambitionierten Plänen treibt viele Menschen im Viertel aber noch ein zweites Thema um – und das sind ihre Nebenkostenabrechnungen. Sie sind aus Sicht etlicher Mieterinnen und Mieter zu hoch ausgefallen und obendrein undurchsichtig, weshalb sich nun 400 von ihnen zusammengetan haben, um gemeinsam gegen ihre Vermieterin vorzugehen – die Quartier Fürstenried West GmbH, ein Ableger der BVK. „Unserer Kenntnis nach ist das die bundesweit drittgrößte Aktion“, sagt Maximilian Rathke von der Mietergewerkschaft Deutschland, die der Mietergemeinschaft in Fürstenried-West zur Seite steht.
Der Zorn vieler Mieterinnen und Mieter richtet sich dabei auf die Firma Ackermann, die seit 2021 mit der Verwaltung des Quartiers betraut ist. „Und damit hat das Fiasko begonnen“, sagt Marita Reim. Die Rentnerin hat einst selbst für die BVK gearbeitet und lebt seit mehr als 20 Jahren im Schweizer Viertel. Mit den Nebenkostenabrechnungen habe es nie Probleme gegeben, sagt sie – bis sie die erstmals von der Firma Ackermann erstellte Bilanz für 2021 erhielt. Diese habe nicht nur eine Nachforderung über mehrere Hundert Euro enthalten, sondern auch Fehler und Unstimmigkeiten, sagt Marita Reim. Und damit war sie nicht allein: Wegen drastischer Preissprünge hätten Mieter hohe Nachzahlungen leisten müssten, teils bis zu 2000 Euro. Auf ihre Reklamationen hin habe es zunächst keine Rückmeldung gegeben, sagt Marita Reim. Erst nach längerem Hin und Her hätten sich Mieter und Hausverwaltung auf einen Vergleich geeinigt, wonach die Nebenkosten in mehreren Bereichen wie Wasser und Abwasser pauschal reduziert worden seien.
„Allerdings haben nur 50 Mietparteien Geld zurückbekommen, die Widerspruch gegen die Abrechnung eingelegt hatten“, sagt Marita Reim. „Das fand ich unglaublich ungerecht.“ Im Folgejahr erlebte sie dann ein Déjà-vu: Auch ihre Nebenkostenabrechnung für 2022 enthielt laut Marita Reim eine hohe Nachforderung und war undurchsichtig. „Da habe ich mir gedacht: Hoppla, das läuft ja genau wie im Jahr davor.“ In der Folge habe sie versucht, „diesmal eine größere Gruppe ins Boot zu holen“, sagt Marita Reim. Und tatsächlich schlossen sich ihrer Mietergemeinschaft mehr als 400 Menschen aus dem Viertel an, die sich fortan gemeinsam wehrten.
Sie forderten von der Firma Ackermann eine Belegeinsicht, die allen Mieter zustehe, sagt Maximilian Rathke von der Mietergewerkschaft. Zwar habe die Hausverwaltung dieser Forderung entsprochen, jedoch seien die vorgelegten Unterlagen unvollständig gewesen, kritisiert Marita Reim. „Die wichtigsten Belege haben gefehlt.“ Als Reaktion darauf stoppten viele Mitglieder der Mietergemeinschaft ihre Zahlungen zur Betriebs- und Heizkostenabrechnung. Dieses sogenannte Zurückbehaltungsrecht sei bis zu einer Vorlage aller Belege rechtens, sagt Maximilian Rathke. „Das weiß auch die Vermieterseite.“ Und dennoch habe die Hausverwaltung Mahnungen an jene Mieter verschickt, die von diesem Recht Gebrauch machten. „Es wurde versucht, die Bewohner einzuschüchtern“, ist Marita Reim überzeugt. „Und ich kenne viele, gerade Ältere, die daraufhin bezahlt haben. Weil sie Angst hatten, dass sie auf irgendeine Weise ihre Wohnung verlieren könnten.“
Dass Mahnschreiben an Mieter verschickt wurden, obwohl sie Widerspruch gegen die Abrechnung eingelegt hatten, bestätigt auch die Firma Ackermann und macht dafür einen „technischen Fehler“ verantwortlich. Über diesen habe man die Mieter sogleich unterrichtet und „ebenso um Verzeihung gebeten“. Generell hätten Preissteigerungen zu deutlich erhöhten Nebenkosten im Jahr 2022 geführt, teilt die Hausverwaltung mit. Zur Kritik an der Belegeinsicht heißt es, dass im Herbst ein weiterer Termin geplant sei. Dann werde man den Mietern detailliertere Unterlagen vorlegen – „in der Hoffnung, damit wirklich alle Fragen zu beantworten“.
Allein daran will Marita Reim nicht glauben. Sie kritisiert auch ihren früheren Arbeitgeber, die BVK, an die sie sich ebenfalls gewandt habe. „Doch da beißt man auf Granit“, ärgert sich die Rentnerin. Diesen Vorwurf weist ein Sprecher der Behörde zurück. Ihm zufolge begleitet die BVK die Situation „sehr eng“ und setzt dabei „auf Transparenz und offene Kommunikation“. Die Forderung der Mieter nach einer detaillierten Aufstellung samt Einzelrechnungen erfordere einen großen Zeit- und Personalaufwand, sagt der Sprecher. Man sei jedoch zuversichtlich, dass bei der Belegeinsicht im Herbst alle Fragen geklärt würden.
Eine ganz andere Prognose gibt Maximilian Rathke ab. Da er nicht mehr von einer zufriedenstellenden Belegeinsicht ausgehe, könne es entweder – wie schon bei der Abrechnung 2021 – zu einem Kompromiss mit „saftigen Abschlägen“ für die Mieter kommen. Oder aber die Konfrontation spitze sich weiter zu, sagt Rathke. „Dann könnten die Mieter gezwungen sein, die Abrechnungen selbst zu korrigieren.“