ArtenschutzDas Leben zwischen den Toten

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Auch Rehe fühlen sich auf den Münchner Friedhöfen wohl.
Auch Rehe fühlen sich auf den Münchner Friedhöfen wohl. (Foto: Stefan Masur/LBV)

In Großstädten wie München sind Friedhöfe für viele Tierarten ein wichtiger Rückzugsort. Warum sich Rehe, Füchse und seltene Vögel dort oft wohler fühlen als in großen Parks.

Interview von Patrik Stäbler

Am Donnerstag ist der Internationale Tag der Artenvielfalt, doch um selbige steht es vielerorts in München schlecht. Stadtweit ist fast die Hälfte aller Flächen versiegelt; viele der 40 000 hier heimischen Tier- und Pflanzenarten sind daher auf Biotope angewiesen. Und doch gibt es in München Hotspots der Biodiversität – auch dort, wo man sie nicht erwartet. Zum Beispiel auf Friedhöfen, sagt Ornithologin Isabel Rohde vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz. Sie erklärt im Interview, wieso es ausgerechnet am Ort der ewigen Ruhe so viel Leben gibt.

Frau Rohde, am Friedhof herrscht ewige Ruhe – oder nicht?

Isabel Rohde: Auf die Menschen trifft das sicher zu, auf Tiere und Pflanzen jedoch nicht. Für sie sind Friedhöfe oft ein sehr lebendiger Ort – insbesondere in einer Stadt wie München, wo es anders als auf dem Land nur vergleichsweise wenige Grünflächen gibt. Hier stellen die Friedhöfe einen wichtigen Rückzugsort für viele Tier- und Pflanzenarten dar.

Die Ornithologin Isabel Rohde vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz geht auch auf Friedhöfe zur Vogelbeobachtung.
Die Ornithologin Isabel Rohde vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz geht auch auf Friedhöfe zur Vogelbeobachtung. (Foto: Johannes Simon)

Wieso das?

Das hat mehrere Gründe. Ein wichtiger Faktor ist, dass in Friedhöfen die Menschen in der Regel auf den Wegen bleiben und die Tiere so seltener stören. Es wird weder gegrillt noch gepicknickt, man darf nicht querfeldein joggen oder radfahren, und auch die Lichtverschmutzung ist wegen der spärlichen Beleuchtung oft geringer. Gerade nachts, wenn eine Störung für viele Tiere noch fataler ist, sind Friedhöfe meistens abgesperrt. Insgesamt ist der Freizeitdruck durch Menschen dort einfach geringer. Zumal Hunde auf dem Friedhof angeleint sind, sodass gerade Vögel bei der Brut nicht aufgeschreckt werden.

Also ist ein Friedhof für viele Tierarten eine wesentlich ruhigere Heimat als etwa der Englische Garten?

Ja, absolut. Wenn Menschen im Englischen Garten über die Wiesen laufen, dort spielen und picknicken, dann stört das nicht nur viele Tiere, sondern verhindert auch das Gedeihen der Pflanzen. In der Folge gibt es weniger Insekten und damit auch weniger Nahrung für Vögel. Außerdem können Bodenbrüter dort keine Nester anlegen. Darüber hinaus bieten Friedhöfe mehr unterschiedliche Strukturen, auch weil sie oft über Jahrhunderte hinweg gewachsen sind. Da gibt es alte Bäume, Unterholz und heimische Gewächse, aber auch Sträucher und Hecken, wo Vögel wie Meisen oder Kleiber ihre Nester bauen können.

Ein Habicht hat sich auf einem Grabstein niedergelassen.
Ein Habicht hat sich auf einem Grabstein niedergelassen. (Foto: Herbert Henderkes/LBV)

Welche Tiere findet man denn konkret auf Münchens Friedhöfen?

Füchse, Steinmarder und Haselmäuse leben dort, aber auch Rehe und Igel sieht man häufig. Dazu kommen viele verschiedene Vogelarten – sogar seltene und gefährdete wie der Gartenrotschwanz und der Trauerschnäpper. Sie werden auf den Münchner Friedhöfen auch durch spezielle Nistkästen im Rahmen eines Artenhilfsprogramms des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz mit Unterstützung der Stadt München gefördert.

Gehen Sie als Ornithologin mitunter auch auf den Friedhof zur Vogelbeobachtung?

Ja, und wenn ich von Menschen gefragt werde, wo man in München hingehen kann, um Vögel zu beobachten, dann empfehle ich oft den Waldfriedhof in Hadern. Das ist eine echte Oase der Artenvielfalt in der Stadt. Am besten kommt man schon frühmorgens, um dem Gesang der Vögel zu lauschen. Wer sich da ruhig verhält, der kann im Waldfriedhof eine richtig schöne Vogelwelt beobachten – mitten in München.

Mit Blick auf die Artenvielfalt in ganz München: Was können die Stadt, aber auch private Gartenbesitzer von Friedhöfen lernen?

Dass man öffentliche Grünflächen, aber auch private Gärten möglichst naturnah gestaltet und auf Pestizide verzichtet – so wie es auch die meisten Friedhöfe tun. Außerdem sollte man auf heimische Pflanzen setzen und möglichst verschiedene Strukturen anbieten, vom Baum über die Hecke bis zum Totholzhaufen. Artenvielfalt ist ja eine Verkettung in sich: Wenn mehr und die richtigen Pflanzen wachsen, dann steigt der Insektenreichtum. Und das führt wiederum dazu, dass Vögel mehr Futter haben und ihre Zahl und Vielfalt zunimmt.

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