Demonstrationen in München:Gegen den Krieg, aber nicht gemeinsam

Lesezeit: 3 Min.

Auf dem Königsplatz demonstrierten vor allem linke Gruppen und Gewerkschaften gegen Krieg und Faschismus. (Foto: Stephan Rumpf)

Zum Antikriegstag am 1. September demonstrieren zwei ganz unterschiedliche Lager für Frieden: Gewerkschaften und linke Gruppen auf dem Königsplatz, die „Querdenker“-Szene auf dem Marienplatz.

Von Martin Bernstein, Bernd Kastner

Der Künstler Günter Wangerin hat einen Soldaten aus Holz gebaut. Er lässt ihn auf dem Königsplatz mechanisch marschieren, und das auf einem Podest, das große Fotos zeigt von Berlin 1945, von Auschwitz und Belgrad 1999. Das sind die Folgen, lautet seine Botschaft, wenn Soldaten anfangen zu marschieren. Auch ein Foto von Polen 1939 ist zu sehen, in Erinnerung an den Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf sein Nachbarland. Der 1. September wird von Gewerkschaften als Antikriegstag begangen. Zur selben Zeit nutzen 85 Jahre nach dem deutschen Überfall auch sogenannte „Querdenker“ den traditionellen Gewerkschaftstag für eine Kundgebung auf dem Marienplatz.

Eine Holzfigur des Künstlers Günter Wangerin marschiert auf der Friedensdemo auf dem Königsplatz. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein weiterer Künstler, Walter Kuhn, hat den Veranstaltern auf dem Königsplatz riesige Mohnblumen aus seiner Installation „Never again“ zur Verfügung gestellt; mit ihr sollte an die Opfer aller Kriege gedacht werden. Jetzt stecken einige der Blumen im Rasen und laden geradezu zum Pflücken ein. So werden sie an diesem heißen Sonntagnachmittag zu improvisierten Sonnenschirmen bei der Kundgebung der Gewerkschaft Verdi. „Nie wieder Faschismus und Krieg“ lautet die Forderung, ein paar Hundert Menschen sind vor die Glyptothek gekommen. Viele Teilnehmenden gehören linken und sehr linken Gruppen und Institutionen an, andere Gewerkschaften und der Friedensbewegung. Der Anteil von Seniorinnen und Senioren ist auffällig hoch.

Sie hören eine Ansprache von Konstantin Wecker. Der Münchner Liedermacher wehrt sich energisch gegen ein bayerisches Gesetz, das die Kooperation der Bundeswehr mit staatlichen Schulen und Hochschulen erleichtern soll. Wecker ruft zu zivilem Ungehorsam auf, um Unis und andere Bildungsstätten wieder auf einen rein zivilen Pfad zu bringen. Den Applaus hört Wecker nicht, er ist wegen seiner Tournee nicht persönlich da; seine Rede kommt vom Band.

Horst Schmitthenner ist Hauptredner beim Antikriegstag. Er saß früher im Bundesvorstand der IG Metall und wird vorgestellt als „Kind des Krieges, er weiß, wovon er spricht“. Geboren ist er im Juli 1941, kurz nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Schmitthenner kritisiert die deutsche Rüstung und die Rüstungsexporte. Er fordert, aus der Rüstung auszusteigen und das für das Militär vorgesehene Geld so einzusetzen, dass die soziale Spaltung in Deutschland gemindert werde. „Es ist vor allem die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, in Oben und Unten, die die Wahlerfolge der AfD ausmacht.“ Wer dies bekämpfen wolle, der müsse nicht das Asylrecht zugrunde richten, „er muss Sicherheit wiederherstellen, und zwar soziale Sicherheit für alle“.

Ähnliche Parolen würde man auch auf dem Marienplatz erwarten. Auch hier Picassos Friedenstaube in vielerlei Variationen. Und bestimmt manche Menschen, denen es um dasselbe geht, wie den auf dem Königsplatz versammelten: Frieden.

Auf dem Marienplatz versammelten sich mehrere Tausend Menschen. (Foto: Stephan Rumpf)

Doch die Plakate, mit denen sie begrüßt werden, schlagen einen anderen Ton an. „Weg mit den Vollidioten der Regierung“, steht da zum Beispiel in riesigen Lettern. Zahlreiche Plakate und Fahnen zeigen die Farben Russlands. Parteien werden – wie tags zuvor beim Treffen der Reichsbürger – als Wurzel allen Übels diffamiert. Nicht alle freilich: Die Querdenker-Partei „Basis“ ist massiv vertreten. Ein „Frieden!“-Plakat der AfD wird hochgehalten. Mehrere Fahnen der deutsch-russischen Druschba-Initiative, mitbegründet vom heutigen AfD-Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß aus Lindau, wehen direkt vor der Bühne.

Unter die Friedensfreunde mischen sich Reichsbürger, die tags zuvor noch gegen die Bundesrepublik und für das Kaiserreich demonstriert haben. Ein Ordner trägt ein T-Shirt der rechtsextremen „Identitären“ und war früher nach Angaben des Informationsportals „Endstation Rechts“ Aktivist der Münchner Pegida.

Die Veranstaltung sollte lange dauern. Kurz nach 18 Uhr trat der Dresdner Schauspieler Uwe Steimle auf, der seit Jahren zwischen rechten und linken Positionen irrlichtert. Zur gleichen Zeit also, zu der die ersten Wahlergebnisse aus Steimles Heimat veröffentlicht wurden. Dass die CDU in Sachsen nach ersten Prognosen stärkste Partei geworden sein könnte, bezeichnete Steimle als „betreutes Wählen“. Er sprach von einem zusammenbrechenden System und verglich die CDU indirekt mit der einstigen SED.

Zuvor waren die nach Polizeiangaben 3500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Trommelklängen durch die Altstadt und das Gärtnerplatzviertel marschiert.

Auf der Querdenker-Bühne hatte zu Beginn der Veranstaltung die Publizistin Ulrike Guérot dem Westen die Schuld gegeben, dass der Krieg in der Ukraine nicht endet – den Regierungen „und hinter ihnen die Börse und die Presse“. Eine regelrechte „Kriegseuphorie“ werde erzeugt, behauptete die ehemalige Professorin der Uni Bonn. Putins Russland kommt in ihrer Rede kaum vor – jedenfalls nicht als Aggressor. Russland sei „systematisch schlecht geschrieben“ und „Putins ausgestreckte Hand“ nicht ergriffen worden. Als Guérot sagt: „Die Frage ist nicht mehr, wer den Krieg in der Ukraine begonnen hat, sondern wer ihn beendet“, ist der Jubel groß auf dem Marienplatz. Am 1. September, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen.

Transparenzhinweis: In einer früheren Version des Textes hieß es, Horst Schmitthenner sei im Bundesvorstand von Verdi gewesen; tatsächlich war er auf diesem Posten bei der IG Metall. Wir haben die Stelle korrigiert.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ExklusivEventlocation "Weitblick"
:Rechte auf dem Rooftop: Wie ein Münchner Tagungsort zum Szene-Treffpunkt wurde

Eine Veranstaltungs-Location am Olympiapark hat sich über Jahre zu einem Sammelplatz von "Querdenkern", Verschwörungstheoretikern und AfD-Politikern entwickelt. Nun reagieren die Betreiber.

SZ PlusVon Bernd Kastner, Sebastian Krass und Leon Lindenberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: