Süddeutsche Zeitung

Klimastreik auf dem Königsplatz:"Kämpft weiter!"

Die Klimakrise bringt auch in München die Menschen massenweise auf die Straße: Zehntausende machen ihrem Ärger über die Politik der Bundesregierung Luft. Ein Kabarettist ruft den Satirenotstand aus.

Von Jakob Wetzel

Claus von Wagner weiß nicht weiter. Der Kabarettist und Satiriker ("Die Anstalt") steht auf einer Bühne am Münchner Königsplatz und blickt auf viele alte und junge Gesichter, die dort für mehr Klimaschutz demonstrieren. Wagner soll jetzt eine satirische Rede halten. Doch das könne er nicht, sagt er. "Satire arbeitet mit Übertreibung. Aber was soll ich hier noch dazu erfinden?" Die politische Welt persifliere sich selbst. "Sie sagen, sie wollen individuelle Mobilität teurer machen - und erhöhen die Pendlerpauschale." Und sie würden von einer Klimareligion sprechen, wenn man wissenschaftliche Fakten nenne - "und hoffen auf die unsichtbare Hand des Marktes!" Die Satire könne da nicht mithalten, sagt von Wagner. "Ich rufe hiermit den Satirenotstand aus!" Und er macht den Demonstranten Mut, ganz ohne Satire: "Kämpft weiter!"

Klimaschutz-Aktivistinnen und -Aktivisten haben für diesen Freitag zum vierten internationalen Klimastreik aufgerufen. Laut "Fridays for Future" gingen alleine in Deutschland 630 000 Menschen an mehr als 520 Orten auf die Straße. In München kamen der Bewegung zufolge 33 000 Menschen auf dem Königsplatz zusammen, trotz Nieselregens und lediglich sieben Grad Celsius. Die Polizei sprach von 18 000 Teilnehmern.

Die Bundesregierung habe ihnen mit ihrem Klimapaket eine Botschaft geschickt, rief Antonia Messerschmitt von "Fridays for Future" zu Beginn ins Mikrofon: "Nämlich dass es ihr egal ist, was mit unserer Zukunft geschieht. Heute senden wir auch eine Botschaft, die so laut ist, dass man sie auch in Berlin noch hören kann!" Welche Botschaft das sei? "Dass man sich vor Veränderungen nicht drücken kann", erklärt Messerschmitt später. "Sie ist schon da, sie ist hier auf der Straße."

Der Zug hat sich da bereits in Bewegung gesetzt, die Demonstranten laufen, Messerschmitt vorneweg, durch die Schellingstraße - oder besser: Sie hüpfen, denn auf einem von Aktivisten gezogenen, ausgemusterten Feuerwehrwagen spielt die Berliner Band "Brass Riot", die Straße ist eine Tanzfläche, Anwohner stehen filmend auf Balkonen, und an der Grundschule an der Türkenstraße gucken Schulkinder neugierig über die Mauer des Schulhofs.

Neben Schülern demonstrieren Eltern, Wissenschaftler - und Bibliotheken

Andere Schüler demonstrieren mit, doch "Fridays for Future" ist längst mehr als der Unterrichtsboykott, als der die Bewegung angefangen hat. Das Bündnis "München muss handeln" etwa, in dem Firmen und Vereine zusammengekommen sind, verteilt auf dem Königsplatz in Handarbeit hergestellte Fahnen, um die Kommunalwahl im März 2020 zur "Klimawahl" zu machen. Diese Flaggen könne man an Balkone hängen, sagt Jürgen Müller von "München muss handeln". 1000 Stück hätten sie schon hergestellt. Zur Demo gekommen sind neben Eltern, Wissenschaftlern und Studenten diesmal auch die "Libraries for Future". Bibliotheken seien wichtige gesellschaftliche Akteure, sie gäben Werkzeuge an die Hand, um mit Fakten umzugehen, sagen sie.

In der Nähe demonstriert Genet Beyene mit zwei Kollegen und neun Kleinkindern in Warnwesten; sie ist Erzieherin im Sendlinger Kindergarten "Chocolate Butterflies", die Kinder seien ihre Vorschulgruppe, sagt sie. Fast drei Wochen hätten sie sich vorbereitet, alles organisiert und aus Altpapier Schilder gebastelt. Die Kinder halten sie so hoch sie können; was darauf steht, haben sie selbst formuliert. "Wasser verschwenden verboten", steht da etwa, "Tiere töten verboten" oder auch: "Zu viel Flugzeug fliegen verboten".

Und ganz vorne im Demozug läuft Lou Jaworski mit, im Arm trägt er eine Topfpflanze. Womöglich ist sie der erste echte Baum auf einer "Fridays for Future"-Demonstration. "Das ist mein Ficus", sagt Jaworski. Er habe ihn zum Geburtstag geschenkt bekommen. Weil er in der Nähe wohne, habe er ihn mitgebracht. Nun muss er ihn eben schleppen, aber vom Gewicht her gehe das schon. "Die Kids haben angeboten, mir zu helfen."

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SZ vom 30.11.2019/infu
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