Süddeutsche Zeitung

Klima-Protest:"Fridays for Future" sagt Demo in München ab

Lesezeit: 4 min

Weltweit sind Kundgebungen in mehr als 2500 Städten geplant, in München wegen der hohen Corona-Zahlen allerdings nicht mehr. Stattdessen soll es nun eine kleinere Zusammenkunft geben.

Von Jakob Wetzel

Es ist still geworden um "Fridays for Future" in München, und so wird es wohl vorerst auch bleiben - dabei hätte sich das an diesem Freitag eigentlich ändern sollen. Von 14 Uhr an wollte die Klimaschutzbewegung auf der Theresienwiese demonstrieren, 1000 Teilnehmer hatten sich dazu angemeldet. Das sind weit weniger als bei den großen Demonstrationszügen im vergangenen Jahr, aber eben so viele, wie es den Aktivistinnen und Aktivisten in Zeiten von Corona vertretbar schien. Es sollte ihre erste große Kundgebung in der Stadt seit Beginn der Pandemie sein, mit Bühne, mit Reden, Musik und mit vielen Gleichgesinnten in anderen Städten: "Fridays for Future" hat für diesen Freitag weltweit zum sechsten "globalen Klimastreik" aufgerufen. Doch bereits am Mittwoch haben sich die Münchner entschieden, ihre große Demonstration abzusagen. Der Grund: das Virus.

"Das trifft uns als Fridays for Future München sehr hart", sagte am Donnerstag Sprecherin Aurelia Spehr bei einer wegen des Coronavirus über das Internet übertragenen Pressekonferenz. "Wir haben sehr viel vorbereitet für diesen Streik, haben in den letzten Wochen sehr viel organisiert. Auch mit den Corona-Hygieneregeln mussten wir vieles noch einmal umdenken und umplanen."

Am Ende hätten die Sicherheits- und Hygienekonzepte alle Anforderungen erfüllt, heißt es vom Kreisverwaltungsreferat. Die Veranstalter wären aber nicht nur für das Geschehen auf der Theresienwiese verantwortlich gewesen, sondern auch für die Anreise und Abreise der Demonstranten, sagt Spehr. Dass sich dabei niemand infiziert, hätten sie nicht garantieren können. Sie hätten lange gerungen. Am Ende entschieden sie sich, kein Risiko einzugehen: Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz oberhalb der Schwelle von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner sei es für eine große Kundgebung "nicht sicher genug", so Spehr. Der Inzidenz-Wert freilich schwankt: Am Mittwoch lag er bei 51,04, am Donnerstag nur noch bei 45,12 - also unterhalb der Schwelle. Doch es bleibt bei der Absage. "Was will man machen? So ist das in der Pandemie", sagt Spehr.

Bitter ist die Absage für die Klimaschutz-Aktivisten auch deshalb, weil es nicht das erste Mal ist, dass das Coronavirus ihre Pläne durchkreuzt. Bereits im März hatten die Münchner Organisatoren kurzfristig eine lange geplante, große Demonstration zur Kommunalwahl absagen müssen. Stattdessen setzten sie auf Mahnwachen und virtuelle Streiks im Internet, die sich nach wie vor in den sozialen Medien etwa unter dem Hashtag "Netzstreik" betrachten lassen, die aber naturgemäß vor allem von denen wahrgenommen werden, die sie suchen.

Seit Mai gibt es wieder kleinere Kundgebungen; zuletzt lagerten Demonstranten in einem "Klima-Camp" vor der Siemens-Zentrale in der Maxvorstadt, um dagegen zu protestieren, dass der Konzern Technik für Kohlekraftwerke in Indonesien liefere. Daneben treffen sich immer wieder Vertreter von "Fridays for Future" mit Politikern im Münchner Rathaus oder im Bayerischen Landtag. Verpufft ist ihr Engagement insofern nicht - die Wucht des vergangenen Jahres aber entfaltete die Bewegung in Zeiten von Covid-19 nicht mehr.

Von Januar 2019 an war in München über ein Jahr lang kein Freitag vergangen ohne Klimastreik, der Klimawandel hatte vielfach die Debatte an den Schulen und auch daheim an den Frühstückstischen geprägt. Am 20. September 2019 waren alleine in München laut Polizei 40 000 Demonstranten mit "Fridays for Future" auf die Straße gegangen; die Organisatoren sprachen von 60 000. Es waren so viele, dass sie kurzfristig die Route ändern mussten, damit alle auf die Straße passten.

Doch nach einem Jahr kam zunächst bei einigen Aktivisten Erschöpfung auf - und dann kam die Corona-Pandemie und verdrängte nicht nur "Fridays for Future", sondern auch die Klimakrise aus den Schlagzeilen. Dabei sei diese so drängend wie zuvor, sagt Christian Schulz vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität, der sich bei "Health for Future" engagiert, einer von mehreren Gruppen, in denen Ältere die Schülerinnen und Schüler von "Fridays for Future" unterstützen.

Der Wandel müsse jetzt kommen, man könne nicht warten, "die Zeit haben wir nicht". Und auch wenn nun etwa der Umweltausschuss im Europäischen Parlament dafür gestimmt habe, bis 2030 statt bislang 40 Prozent CO₂-Emissionen 60 Prozent einsparen zu wollen, dann reiche das immer noch nicht aus, um das in Paris 2015 vereinbarte Ziel zu erreichen, die globale Erwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, sagt Lukas Maggioni von "Fridays for Future München". "Wir fragen uns schon, wie weit die Bundesregierung ihr selbstgesetztes Ziel eigentlich noch aus den Augen verlieren kann." Statt auf eine globale Erwärmung um 1,5 Grad bewege sich die Welt auf eine Erwärmung um vier Grad zu.

Doch in Zeiten von Corona werde die Klimakrise weniger ernst genommen, klagt Maggioni: "Wir leben in zwei Krisen." Eigentlich müsste sich die Politik um beide sorgen, die eine aber werde offenbar für normal gehalten. Deshalb werde viel Geld ausgegeben, um die Corona-Pandemie zu bewältigen - aber viel zu wenig fließe in den Klimaschutz. "Was hier als Zurück zum Normalen verkauft wird, ist ein Zurück in die Krise."

Die Münchner Aktivisten schauen nach vorne: "Wir werden auf keinen Fall aufhören", sagt Maggioni. Sobald es wieder verantwortbar ist, wollen sie wieder auf die Straße. Am Freitag geschieht das vor allem anderswo. Weltweit sind Demos in mehr als 2500 Städten geplant, in Deutschland an mehr als 400 Orten. Und die meisten sollen stattfinden. Bis Donnerstagnachmittag hatten nur vier Ortsgruppen ihre Kundgebungen abgesagt: Burglengenfeld, Cloppenburg, Wertheim und München. Hier haben die Aktivisten auf die Schnelle eine kleinere Alternative organisiert: Bis zu 500 Leute sollen um 14 Uhr nach einer Online-Anmeldung zur Theresienwiese kommen, sagt Maggioni. Dort würden sie mit einer Art Menschenkette auf Abstand einen Schriftzug formen. Auch um die Gruppen in den anderen Städten zu unterstützen.

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SZ vom 25.09.2020
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