Sie sind nicht mehr allein. Seit Monaten boykottieren weltweit Tausende Schülerinnen und Schüler immer freitags den Unterricht, um für mehr Klimaschutz auf die Straße zu gehen. Auch in München ziehen sie seit Januar unter dem Banner von "Fridays for future" durch die Straßen. Doch längst sind daneben auch andere Plakate zu sehen: "Teachers for future" steht auf ihnen etwa, "Omas for future" oder "Künstler for future". Auf der Demonstration am vergangenen Freitag auf der Theresienwiese gab es gar ein Schild der "mittelalten weißen Männer for future". Häufig stehen dahinter Einzelne, die ihre Solidarität zeigen. Andere aber haben sich organisiert, um die Schüler dauerhaft zu unterstützen, darunter Eltern, Wissenschaftler und Ärzte. Ein Besuch bei den Erwachsenen auf dem Schulstreik.
Parents for future
"Unsere Kinder haben vorgelegt", sagt Winfried Wahl. "Und wir Eltern müssen zeigen, dass wir hinter ihnen stehen. Wir dürfen sie nicht alleine lassen." Seit Februar gehen mit den Jugendlichen auch die "Parents for future" auf die Straße. Bei der Kundgebung auf der Theresienwiese haben sie sich am Rand aufgestellt, wo es weniger eng ist. Angefangen hätten die Eltern in Berlin, sagt Wahl. Dann seien die Kölner gefolgt. Er selbst gründete daraufhin eine Ortsgruppe in München. Und diese hat sich planmäßig organisiert.
Die "Parents for future München" haben zuletzt selbst mit zu Demonstrationen aufgerufen, aber sie kommen nicht nur zu Kundgebungen. Etwa 20 Aktive treffen alle zwei Wochen zusammen; in Arbeitsgruppen diskutieren sie etwa über ihre Strategie oder über Kooperationen mit anderen Gruppen. Ihr Chat-Verteiler umfasst derzeit etwa 180 Mütter und Väter. Über Delegierte stimmen sich die Ortsgruppen untereinander ab. Bundesweit betreuen die Eltern Infostände. Eine von ihnen initiierte Petition für ein Klimaschutzgesetz haben mehr als 70 000 Bürger unterzeichnet. Dabei ähnelt nicht nur das Logo der Eltern dem der Schüler. "Fridays for future" sei ihr Vorbild, sagt Petra Böhnisch, die Delegierte der Münchner Ortsgruppe. "Wir lernen von den Schülern. Die sind fantastisch organisiert."
Für sie selbst habe es mit dem heißen Sommer von 2018 angefangen, erzählt Böhnisch. Sie und ihr Mann hätten sich daraufhin in Klimafragen eingelesen. "Wir waren sehr beunruhigt", sagt Böhnisch. Am Ende habe sie selbst eine Demonstration organisieren wollen - da kam Greta Thunberg mit "Fridays for future". Seitdem sei sie immer dabei, sagt Böhnisch, sogar im Urlaub. "Ich kann nicht verstehen, dass Politiker zwar über viele Gutachten und Expertenaussagen verfügen, aber trotzdem business as usual machen. Für mich hat sich alles verändert." Seit Februar habe sie nur in einer einzigen Woche gefehlt. Wenn sie etwas bei Ebay verkaufe, packe sie immer einen Flyer von "Parents for future" dazu.
Böhnisch engagiert sich nebenher: Sie arbeitet in Vollzeit, ebenso wie Tina Bonertz, die bei der Demo neben ihr steht. Sie sei dabei, seit ihre drei Kinder demonstrieren gehen wollten, die Schulen aber sagten, sie dürften nicht, erzählt sie. "Die haben den Kindern Angst gemacht. Das geht nicht!" Ihre Arbeit für das Klima bestreiken, so wie es die Schüler mit der Schule tun, können die beiden Mütter nicht. Sie nehmen sich frei oder nutzen die Gleitzeit.
Scientists for future
Michael Stöhr ist Physiker. "Wir Wissenschaftler sind hier, um zu zeigen: Was die Schülerinnen und Schüler sagen, ist richtig", erläutert er. "Es ist auch nicht übermäßig dramatisiert. Die Situation ist dramatisch, deshalb müssen wir zu radikalen Maßnahmen greifen." Stöhr läuft gerade mit etwa 3000 Demonstranten den Münchner Bavariaring entlang. Auf seinem Schild prangt ein Kreis mit blauen und roten Streifen, sie stehen für den Temperaturanstieg auf der Erde. Es ist das Logo der "Scientists for future". Etwa 70 Wissenschaftler sind in deren Münchner Ortsgruppe aktiv, vom Klimaforscher bis zum Kommunikationswissenschaftler. Stöhr ist einer ihrer Koordinatoren. "Ich bin als Wissenschaftler hier politisch dabei", das sei kein Widerspruch, sagt er. "Es gibt Situationen, in denen Wissenschaftler nicht schweigen dürfen." Die Atomrüstung sei eine solche gewesen, der Klimawandel sei es auch.
In München beteiligen sich die Wissenschaftler seit Mitte März regelmäßig an den Klimaschutz-Demonstrationen. Einen wichtigen Anstoß dazu habe schon im Oktober 2018 ein alarmierender Bericht des Weltklimarats gegeben, sagt Stöhr. Dann kam "Fridays for future". Und dann kam Christian Lindner. Der FDP-Chef sagte im März in einem Interview, man könne von Kindern und Jugendlichen nicht erwarten, dass sie globale Zusammenhänge sähen, das sei "eine Sache für Profis". In ganz Deutschland stellten sich daraufhin eben solche Profis demonstrativ hinter die Schüler, auch in München. Das Maß sei voll gewesen, sagt Stöhr.
Seine Münchner Gruppe beteiligt sich seither nicht nur an Demonstrationen. Die Wissenschaftler helfen den Schülern auch bei fachlichen Fragen. Als Redner versuchen sie, wissenschaftliche Erkenntnisse weiterzugeben. Und sie suchen den Kontakt zur Politik, um etwa mit den Fraktionen im Landtag zu überlegen, was der Freistaat tun kann, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Er selber arbeite seit 27 Jahren an der Erforschung erneuerbarer Energien, sagt Stöhr. Er könne kompetent sagen, dass die vollständige Umstellung auf jene Energien möglich sei.
Widerspruch und Diskussionen scheut Stöhr nicht; das sei normal, sagt er. Wissenschaft schreite ja gerade in der fachlichen Auseinandersetzung voran. Und wenn einer sagt, es gebe gar keinen Klimawandel? Mit dem könne man auch diskutieren, sagt Stöhr. Das sei wissenschaftlich interessant. Nur kämen aus dieser Ecke seit Jahrzehnten immer dieselben Argumente. "Der Erkenntnisgewinn ist hier gering."
Health for future
"Sie finden uns ganz hinten, wir sind der weiße Block", sagt Martin Herrmann am Telefon. Und tatsächlich: Während vorne vor der Bühne viele Minderjährige ihre Plakate entrollen, versammeln sich weiter hinten, hinter einem Transparent mit der Aufschrift "Klimawandel ist tödlich", mehr als ein Dutzend Medizinstudenten, Ärzte und Pflegekräfte in weißen Kitteln. "Health for future" nennen sie ihre Initiative; dahinter steht die "Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit", ein bundesweites Netzwerk von etwa 100 Aktiven aus den Gesundheitsberufen. Viele von ihnen leben in Berlin und München. Herrmann, selber Arzt, ist ihr Sprecher. Die Allianz gebe es seit 2017, sagt er. "Fridays for future" habe ihre Themen aber nun mit Fulminanz in die Öffentlichkeit getragen.
Sich als Mediziner für den Klimaschutz einzusetzen, sei konsequent, findet Herrmann. Denn der Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit sei eng. Zum einen sei es ja ungesund, den eigenen Planeten zu zerstören. Zum anderen mache derselbe Lebensstil, der für den Klimawandel verantwortlich sei, die Menschen krank: das viele Autofahren, die Luftverschmutzung, die fleischlastige Ernährung, der Stress. "Wenn wir umsetzen, was für den Klimaschutz notwendig sind, tun wir zugleich das Beste für die Gesundheit."
Was das konkret bedeutet, erklärt Claudia Schnupp. Die 28-Jährige studiert Medizin an der Technischen Universität und gehört zu den Organisatoren von "Health for future". "Wenn alle mehr Rad fahren, dann gehen auch die Herz-Kreislauf-Krankheiten zurück", sagt sie zum Beispiel. "Und wenn wir weniger Kohle verfeuern, dann gibt es auch weniger Feinstaub und weniger Lungenkranke."
Jeden Freitag geht "Health for future" nicht auf die Straße. An der TU gebe es freitags zwar oft keine Lehrveranstaltungen, sagt Schnupp. Doch im Beruf könne man sich nicht einfach so freinehmen. "Heute Morgen habe ich mit einem Freund gesprochen, der wollte kommen. Aber er war 24 Stunden im Dienst und jetzt zu müde." Die Stimme der Gesundheitsprofis sei aber wichtig, findet Martin Herrmann. Ärzte genössen schließlich eine hohe Glaubwürdigkeit. Und sie hätten Erfahrung mit schweren Krisen. "Wenn die Diagnose schwer ist, dann ist nichts mehr wie vorher", sagt Herrmann. Das gelte auch für die Klimakrise. Man müsse handeln, statt die Interessen der Wirtschaft vorzuschieben. Ein Patient käme ja auch nicht auf die Idee, eine lebensnotwendige Operation aufzuschieben, weil er lieber arbeiten wolle.