Theater:Gut ist, was gefällt?

Theater: Wie wird ein Theaterabend, über den abgestimmt wird? "Die apokalyptischen Tänzer:innen" probieren das in "The Most Consumable Show on Earth" aus.

Wie wird ein Theaterabend, über den abgestimmt wird? "Die apokalyptischen Tänzer:innen" probieren das in "The Most Consumable Show on Earth" aus.

(Foto: Horst Wackerbarth)

Die freie Theaterszene trifft sich auf zwei miteinander verbundenen Festivals in München. Das hat Höhen und Tiefen.

Von Rita Argauer und Yvonne Poppek, München

Noch vor Kurzem wurde im Theater ausschließlich lautlos geklatscht. Das war, als das Publikum nur daheim vor dem Bildschirm sitzen konnte und kleine Applaus-Sticker versendete, wenn ihm etwas gefiel. Das ist nun zum Glück anders, Beifall lässt sich in den Theatern wieder hören. Dafür wird jetzt darüber debattiert, was denn auf der Bühne zu sehen sein sollte, damit wieder möglichst viele Zuschauer kommen, die dann auch klatschen. Applaus als Zustimmungs- und Steuerungselement, sollte man darüber nicht nachdenken? Und dann - wie im Pop über verschiedene Testprozesse - eine absolut massentaugliche Inszenierung kreieren? Die junge Performancegruppe "Die apokalyptischen Tänzerin*nen" hat dies getan. Oder besser hat dies ad absurdum geführt. Ein Try Out ihrer Performance "The Most Consumable Show on Earth" haben sie nun beim Festival "Freischwimmen meets Rodeo" gezeigt.

Das Festival der freien Szene, das am vergangenen Freitag begonnen hat und noch bis zum 15. Oktober läuft, hat dieses Jahr den etwas sperrigeren Auftritt eines Doppelfestivals. Einerseits trifft sich die Münchner Szene bei "Rodeo", andererseits kommen Nachwuchsperformer aus dem deutschsprachigem Raum, die zuletzt an bestimmten Häusern der freien Szene gefördert wurden, zu "Freischwimmen". Das ergibt eine Mischung, die routinierte Arbeiten langjähriger Performer mit frischen, teils noch in der Probierphase befindlichen Auftritten des Nachwuchses kreuzt. Das Niveau ist schwankend, wobei die Grenzlinie nicht zwischen jungen und etablierteren Künstlern verläuft. Grundsätzlich scheint die Szene frei davon, sich einem Applaus-Diktat unterwerfen zu wollen. Sie macht in bekannter Manier das, was ihr wichtig erscheint. Oft ist das ein Segen. Und das Publikum kommt auch.

Theater: Rosalie Wanka (li.) und Kassandra Wedel treten mit "Visual Vibrations" auf dem Max-Joseph-Platz auf.

Rosalie Wanka (li.) und Kassandra Wedel treten mit "Visual Vibrations" auf dem Max-Joseph-Platz auf.

(Foto: Inge Engel)

Da wären etwa Rosalie Wanka und Kassandra Wedel. Sie stehen auf zwei Bass-Boxen am Rand des Max-Joseph-Platz. Beats wie ein Herzschlag. Wie üblich bei Aufführungen im öffentlichen Raum gibt es eine automatische Kontextualisierung mit der Umgebung, lockeres, sich mehr oder weniger spontan eingefundenes Publikum. Rosalie Wanka ist in der Münchner Tanzszene herausstechend. Einfach weil sie die herkömmlichen Codes der Szene ignoriert oder auch bewusst bricht: Glitzerkleidchen statt lässige Trainingsklamotten. Stöckelschuhe statt Sneakers. So auch diesmal in "Visual Vibrations".

Es ist eine gestische Überagitation statt Bedeutungs-Understatement. Die beiden Tänzerinnen bewegen sich nicht weg von ihren Lautsprecher-Podien und gebärden Begriffe, die auf einer Leuchtschrifttafel zwischen ihnen auftauchen. Angst / Tanze / Freiheit / Allein. Irgendwann läuft das alles auf die Pandemie zu, und das steht dann auch da: Corona / Virus. Doch der größte Coup gelingt am Ende: Erst da erkennt man, dass Kassandra Wedel gehörlos ist. Dass die körperliche Sprache, die die beiden hier sprechen, auch eine Alltagssprache ist. Dass die Bass-Boxen auch ein physischer Musikvermittler sind. Dass sich Aussage, Kunst und Politik abseits der Kategorien zu einem gesellschaftsrelevanten Ereignis vermischen können.

Viele, zu viele Ideen gibt es zur Luft

Gesellschaftsrelevant, das hätte auch das Thema "Luft" sein können. Vor der Pandemie positiv besetzt, ist Luft plötzlich etwas Bedrohliches. Überall diese Partikelchen, die darin herumschwirren. Eine Münchner Gruppe hatte sich jedenfalls mit "Luft!!" auseinandergesetzt und allerlei Ideen gesammelt. So wedeln sie im Mucca ein zerknülltes Papier mit Kartonplatten über die Bühne, tauchen ab unter Fallschirmseide, blasen in Instrumente oder blubbern in Seifenwasser. Irgendwann haben sich die "Hard Art Workers" dann ausgetobt. Dafür braucht das Publikum eher einen langen Atem.

Dass man nach "Luft!!" an die vermutlich eher schwierigen Zustimmungswerte denkt, liegt allerdings nicht an den "Hard Art Workers". Vielmehr liegt das an den "Apokalyptischen Tänzerin*nen", die zuvor im Pathos ihre Show abgezogen haben. Das junge Stuttgarter Kollektiv ist dabei noch in der Probenphase, "The Most Consumable Show on Earth" hat erst im Dezember Premiere. In München gibt es deshalb ein "Try Out". Die Idee ist: Ein Performer zeigt eine Szene, das Publikum klatscht. Je nachdem, wie der Applaus ausfällt - über Bildschirme und Prozentangaben wird hier eine Pseudowissenschaftlichkeit behauptet -, wird mit ihr weitergearbeitet oder nicht. Die Idee ist wunderbar, selbst, wenn die Arbeit noch lange nicht rund läuft. Aber wenn man sieht, was für eine Gemurkse bei Publikumsabstimmungen herauskommt, wirkt eine Debatte rund um Gefälligkeitsproduktionen seltsam verschoben.

Theater: Herausstechende Arbeit: Lea Ralfs' und Jan Geigers "Innuendo".

Herausstechende Arbeit: Lea Ralfs' und Jan Geigers "Innuendo".

(Foto: Michael Mönnich)

Die Veranstalter des Festivals, das Theater Hoch X, die etwa dem jungen Kollektiv um Lau Lukkarila und ihrer Befindlichkeitssuche die Bühne bieten, haben auch herausstechende Arbeiten wie "Innuendo" von Lea Ralfs und Jan Geiger eingeladen. Die Münchner Produktion, die im Schwere Reiter zu sehen ist, ist eine Auseinandersetzung mit dem Opa Hans Ralfs, erst Nazi, Soldat, dann Linker, offen Homosexueller, der schließlich am HIV-Virus stirbt. Da für Lea Ralfs der Opa und Freddie Mercury irgendwie eine Einheit waren, spielen Michael Gumpinger und Oliver Mirwaldt Queen-Songs ein, während Mara Widmann, Olaf Becker und Max Wagner sich von einem berührenden Tableau zum anderen arbeiten. Das Thema Homosexualität und Aids, das auf den großen Bühnen derzeit sehr präsent ist, findet hier sein intimeres, wahrhaftes Pendant. Dieser Abend ist wichtig, und er ist großartig. Aber hätte man dem Thema vorher zustimmend applaudiert?

Freischwimmen meets Rodeo, noch bis 15. Oktober, www.fmr22.de

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