Politisch sind 58 neue Wohnungen, die bis Herbst 2022 durch die Erweiterung der Vonovia-Siedlung am Kieferngarten entstehen sollen, natürlich willkommen. Ob die Bestandsmieter für anderthalb Jahre Leben auf der Baustelle angemessen entschädigt werden, bleibt aber Gegenstand einer Kontroverse zwischen dem Bochumer Konzern und einer Mietergemeinschaft, deren Sprecher Franz Obst sich mit den bisherigen und den in Aussicht gestellten Minderungen nicht zufrieden geben will.
Die Auseinandersetzung mit Deutschlands größtem Privatvermieter hat Obst schon vor knapp fünf Jahren nicht gescheut, als er gegen möglicherweise überhöhte Nebenkostenabrechnungen klagte und auf dem bisherigen Instanzenweg großteils Recht bekam. Das Verfahren gilt als Musterprozess und liegt mittlerweile beim Bundesgerichtshof.
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Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Rechtsstreits hat die Vonovia in Freimann eine Art Charmeoffensive gestartet und informiert in einem gedruckten "Quartiersboten", per Website und in einem Büro ("Infobox") an Ort und Stelle über den Stand des Projekts. Außerdem steht ein "Quartiersmanager" als Ansprechpartner bereit. Für Obst und viele seiner Nachbarn kaum mehr als Kosmetik, auch wenn oder gerade weil eine Einigung eigentlich schon zustande gekommen war, aber nicht hielt: Aufgrund der erwartbaren Belastungen durch Lärm, Staub und Baustellenverkehr hatte die Mietergemeinschaft Anfang Juli mit Vonovia-Anwalt Holger Weiß eine Regelung vereinbart, der zufolge die Mieter für die gesamte Zeit der Beeinträchtigungen Nachlässe von zehn bis 20 Prozent der Nettokaltmiete erhalten sollten, gestaffelt je nachdem, wie stark die jeweilige Wohnung durch die Aufstockungs- und Neubauarbeiten beeinträchtigt wird. Darüber wiederum, entscheidet meist die Lage: Die drei quer zur Bauernfeind- und Burmesterstraße stehenden Riegel werden um je ein Geschoss aufgestockt, auf den dazwischen liegenden Rasenflächen und dem südlichen Parkplatz entstehen außerdem drei Punkthäuser.
Insgesamt mutet das Projekt den Bewohnern der Querbauten also mehr zu als denen der Blöcke an der Burmesterstraße. Auf die Absprache hin verschickten die in der Gemeinschaft organisierten Mieter über Obst 212 Schreiben, um die Minderung im jeweiligen Einzelfall fix zu machen - und erlebten bald darauf zwei Überraschungen. Die erste erfolgte gleich am Samstag, 10. Juli, dem Tag nach dem Versand, als laut Mieter die Bautrupps in der Früh um sieben lautstark mit Presslufthammer und Bohrer loslegten, nachdem sie zuvor nur unter der Woche gearbeitet hatten, was auch der Minderungs-Vereinbarung zugrunde lag.
Dass der Samstag zwischen 7 und 20 Uhr als Werktag gilt, bestreitet Obst natürlich nicht, er findet den Hinweis des Vermieters aufs Bundesurlaubsgesetz aber doch etwas "billig". Die Samstagsarbeiten dienen, wie Vonovia-Sprecher Matthias Wulff betont, der Beschleunigung des Projekts. Für entnervte Mieter ein schwacher Trost, zumal die Baufirmen bei der Stadt von August an 60 Arbeitssamstage angemeldet haben, also eine Sechstagewoche bis Ende September 2022. Dass die Vorgaben des städtischen Merkblatts zum Schutz gegen Baulärm eingehalten werden, bestreitet die Mietergemeinschaft. Die dortige 50-Dezibel-Grenze sei nach ihren eigenen Messungen jedenfalls mehrmals gerissen worden.
Eine zweite Überraschung flatterte Obst am 6. August ins Haus, als Vonovia-Regionalleiter Carsten Baurigk die Vereinbarung aufkündigte, da die "von Ihnen gegenüber Herrn Weiß geschilderte allgemeine Beeinträchtigung nicht der tatsächlichen Situation vor Ort entspricht", insbesondere hätten "keine durchgehenden lärmintensiven Bauarbeiten" stattgefunden - all dies hätten Ortsbegehungen gezeigt, von deren Ergebnis Weiß seine Zusage abhängig machte. Für Obst ein, laut BGB, rechtlich unwirksamer Vorbehalt, gegen den er Widerspruch eingelegt hat. Ersatzweise gewährt die Vonovia allen Mietern pauschal eine Minderung von 15 Prozent für die Monate April bis September.
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Die Linie 23 wird um dreieinhalb Kilometer verlängert: über die Bayernkaserne bis zum Kieferngarten in Freimann. Voraussichtlich sechs Haltestellen sollen entstehen - und eine neue Brücke.
Der Kundenservice schreibt dazu: "Das Großartige ist: Sie müssen nichts weiter unternehmen. Wir bereiten eine entsprechende Gutschrift bereits vor". Weitere Minderungen will der Konzern wieder im Einzelfall aushandeln und geht davon aus, dass die lärmintensiven Arbeiten bis Ende Juli schon großteils gelaufen seien - zu Obsts großem Erstaunen. Der Betonausguss einer Tiefgarage beispielsweise habe Ende August, Anfang September schon rein technisch nicht so leise ablaufen können, wie es sich die Bauregie vielleicht vorstelle, hält er entgegen und erinnert an die - laut Firmensprecher Wulff zu dieser Zeit längst abgeschlossenen - Rüttelarbeiten zum Glätten der Betonplatte. Auch bei vermeintlich geräuscharmen Maurerarbeiten komme zwangsläufig eine Steinsäge zum Einsatz, so Obst.
Die Witterung hat dabei nicht nur die Arbeiten insgesamt in die Länge gezogen, sondern seit Anfang August unter den Dachbaustellen auch immer wieder Wasserschäden verursacht. Über den Umgang damit gehen die Darstellungen einmal mehr weit auseinander. Während Obst von ergebnislosen Gesprächen und lapidaren Telefonauskünften nach halbstündigem Ausharren in der Warteschleife berichtet, kann Wulff Derartiges "überhaupt nicht bestätigen". In einem der Fälle sei beispielsweise der zuständige Bauleiter noch um 22 Uhr am Samstagabend in einer Wohnung tätig geworden.
Insgesamt spricht Wulff von einem "sehr positiven Feedback" auf die Bauarbeiten und die Kommunikation, mit der sich die "von Herrn Obst vertretene Meinung" einfach nicht decke. Viel Raum für Auslegungen also. "Ich bekomme nicht jeden Tag 92 Anrufe, aber die Beschwerden ziehen sich quer durch" beharrt der Mietersprecher. Dabei gehe es nicht nur um Lärm, sondern neuerdings auch um andere Minderungsgründe, wie etwa die Verdunkelung durch Staubschutzmatten. In der Anlage würden halt auch viele ältere Mieter leben, nicht jeder davon habe "mein Durchsetzungsvermögen und meine große Klappe", fügt er hinzu. Beschwerden in der Sache zurückziehen - oder Beweise schuldig bleiben, musste die Mietergemeinschaft bisher jedenfalls nie, sagt Obst mit Blick auf das seit 2018 laufende Nebenkosten-Verfahren.