Süddeutsche Zeitung

1200 leerstehende Wohnheimplätze:Stillstand in der Geisterstadt

Wann werden die großen Wohnheime in der Studentenstadt saniert? Niemand weiß es. Das Studentenwerk fordert 24,5 Millionen Euro vom Freistaat, Wissenschaftsminister Blume nennt das "völlig utopisch" - und schlägt Mieterhöhungen vor.

Von Bernd Kastner

Noch einige Jahre lang wird ein großer Teil der Studentenstadt eine Geisterstadt bleiben. Wann die mehr als 1200 leerstehenden Wohnheimplätze wieder bezogen werden, weiß niemand zu sagen. Derweil streiten Studentenwerk und Staatsregierung ums Geld. Das Studentenwerk als Eigentümer fordert vom Freistaat einen Sonderzuschuss von 24,5 Millionen Euro noch in diesem Herbst, um die konkrete Sanierungsplanung zu starten. Als "völlig utopisch" lehnt Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) das ab. Stattdessen solle das Studentenwerk darüber nachdenken, ob es nicht Grundstücke verkaufen oder die Miete erhöhen könne.

Je länger der Leerstand in Deutschlands größter Studierendensiedlung, der Stusta, andauert, desto angespannter wirkt die Stimmung zwischen Wissenschaftsminister und Studentenwerkspitze. Jede Seite schiebt der anderen die Verantwortung zu, dass jetzt endlich etwas vorangehen müsse. Leidtragende sind die Münchner Studierenden. Viele sind auf einen günstigen Wohnheimplatz angewiesen; in der Stusta kostet ein Apartment durchschnittlich knapp 300 Euro Warmmiete. Die Zahl der Personen auf der Warteliste für die insgesamt rund 11 000 Plätze des Studentenwerks hat sich zuletzt stark erhöht, in drei Jahren um mehr als 40 Prozent auf gut 13 000.

Vor eineinhalb Jahren, im Februar 2021, brannte es im Keller von Haus 13. Im Flur des vierten Stocks starb eine Bewohnerin durch Rauchgasvergiftung. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen noch, das Haus mit 180 Plätzen ist seit dem Feuer unbewohnbar. Das Studentenwerk ließ die anderen Häuser brandschutztechnisch untersuchen. Sachverständige und Feuerwehr stellten zwar keine "erhebliche Gefahr" für die Bewohner fest, was eine sofortige Räumung zur Folge gehabt hätte, aber doch gravierende Defizite. Die maroden Häuser 9 und 12 mit gut 1000 Plätzen wurden leergezogen.

Bislang waren die Verantwortlichen des Studentenwerks zumindest öffentlich auffallend zurückhaltend, finanzielle Wünsche an den Freistaat zu formulieren. Nun aber machen Ursula Wurzer-Faßnacht, die Geschäftsführerin, und Paul Siebertz, der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Druck. Im Gespräch mit der SZ betonen beide, dass ohne eine Zusage des Wissenschaftsministeriums für einen Sonderzuschuss nichts vorangehen werde. Konkret brauche man 13 Millionen Euro für Haus 9 (Hanns-Seidel-Haus) und 11,5 Millionen für Haus 12 (Oranges Haus) , um die konkrete Sanierungsplanung beginnen zu können.

Laut Wurzer-Faßnacht benötige das Studentenwerk zum ersten Mal überhaupt einen staatlichen Sonderzuschuss für eine Sanierung. Das angesparte Eigenkapital sei aufgebraucht, weil man in der Pandemie enorme Einnahmeausfälle habe, etwa in den Mensen, und zudem hohe Mietausfälle durch den Leerstand. Erst wenn der Sonderzuschuss gesichert sei, könne man beim Bauministerium die übliche Regelförderung von 40 000 Euro pro Wohnplatz beantragen.

In der Stusta habe sich ein "Klumpenrisiko" verwirklicht, sagt Alexander Uehlein, Chef der Wohnabteilung im Studentenwerk. Alle Gebäude stammen aus derselben Bauzeit, aus den 60er- und 70er-Jahren. Nun seien sie alle fast auf einmal sanierungsreif. Immerhin, kleinere Gebäude im älteren Teil der Siedlung sind bereits modernisiert.

Ein "Riesenproblem" sei die Studentenstadt, sagt Siebertz. Dem Studentenwerk gehört die Siedlung erst seit 2015. Damals übernahm man die Anlage vom Verein Studentenstadt München, der mit der anstehenden Sanierung völlig überfordert gewesen wäre. Die Übernahme sei Wunsch des Wissenschaftsministeriums gewesen, sagt Verwaltungsratschef Siebertz. Man habe das gerne gemacht. Eine Zusicherung der Staatsregierung, dass diese das nötige Geld für die Sanierung zuschieße, habe man nicht verlangt. Er wäre "nie auf die Idee gekommen", so eine Finanzierungsbedingung an die Übernahme zu knüpfen, sagt Siebertz. "Bisher bekamen wir immer die nötige Unterstützung von der Staatsregierung." Die Zusammenarbeit sei gut.

Blume wiederum spielt im Gespräch mit der SZ den Ball zurück: "Im Wissen um den Sanierungsstau hat das Studentenwerk die Studentenstadt übernommen. Man hätte es damals schon wissen können", was auf den Eigentümer zukomme. Zur Forderung des Studentenwerks fragt er: "Wo sollen 24,5 Millionen Euro plötzlich herkommen?" Eine solche Summe müsse der Landtag beschließen.

"Die politisch Verantwortlichen bleiben leider untätig", stellt Siebertz fest. Nur wenn das Geld noch in diesem Herbst zugesagt werde, könne man für Haus 12 mit seinen 440 Plätzen mit der konkreten Planung beginnen. Der Plan sähe dann einen Wiedereinzug in vier Jahren vor, 2026. Dann aber wäre erst ein Gebäude fertig. Die Zeitplanung für Haus 9, das größte Wohnheim mit 616 Plätzen, beginne man erst, wenn die Finanzierung gesichert sei, sagt Wurzer-Faßnacht. Und wann das Brand-Haus (Rotes Haus) saniert werden könne, sei völlig offen, derzeit verhandle man noch mit der Versicherung. Die einzig gute Nachricht aus der Geisterstadt betrifft Haus 11 (Blaues Haus) mit 246 Plätzen: Nach jahrelanger Sanierung solle es im Dezember oder Januar fertig sein.

Wie weiter? Minister Blume fordert: "Die Sanierung der leerstehenden Wohnungen muss schleunigst angegangen werden. Das Studentenwerk München muss dringend seine Hausaufgaben machen!" Dazu gehöre nicht nur die weitere Planung, sondern auch, eigene Vermögenswerte zu prüfen: Könne man beispielsweise nicht benötigte Grundstücke verkaufen? Auch müsse man überlegen, ob sich nicht die Miete erhöhen lasse, jetzt da auch das Bafög steige, oder der Semesterbeitrag, um mehr Einnahmen zu generieren.

In der Staatsregierung denke man auch darüber nach, sagt Blume, ob die Bayernheim als staatliches Immobilienunternehmen in der Stusta einsteige, um Sanierung oder Neubauten zu realisieren. Die Kompetenz fürs Vermieten aber liege eindeutig beim Studentenwerk. Bei diesem erkenne er eine "Anspruchshaltung", und die kritisiert Blume: Der Freistaat fördere schon jedes einzelne Studierenden-Apartment, und es sei nicht seine originäre Aufgabe, "die internen Finanzprobleme des Studentenwerks zu lösen". Dieses sei als Anstalt des öffentlichen Rechts völlig eigenständig und genauso staatsfern wie etwa der Bayerische Rundfunk.

Es streiten sich also die Oberen zweier mächtiger Institutionen, und die eigentlichen Hauptpersonen, die Studierenden in Deutschlands teuerster Stadt, warten und warten. Man muss schon nachfragen und genau hinhören, um eine mögliche Annäherung zu ahnen: Der Freistaat wisse um seine Verantwortung für die Studierenden, sagt Blume, man arbeite mit allen Beteiligten an einer Lösung. "Wir lassen das Studentenwerk nicht im Regen stehen."

Ursula Wurzer-Faßnacht sagt: "Die Angst vor dem Wintersemester ist da." Sie meint die Angst vieler Studierenden angesichts der Wohnungsnot und Inflation; aber auch ihre Sorge, die jungen Frauen und Männer nicht ausreichend unterstützen zu können. "Die bayerischen Studentenwerke sind chronisch unterfinanziert. Wir haben schon immer eine Mangelverwaltung."

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