Süddeutsche Zeitung

Stadtentwicklung in Freiham:"Wir brauchen Lösungen und keine Experimente"

In Freiham entsteht ein neuer Stadtteil für 25 000 Menschen, die Wohnungen werden dringend gebraucht. Doch nun könnten Verkehrsprobleme und protestierende Anwohner die Pläne ins Stocken bringen.

Von Sebastian Krass

Derzeit ist es vor allem weit draußen, zumindest aus innenstädtischer Sicht. Aber wenn alles hinhaut, was die Stadt sich vornimmt, dann wird dieses Freiham einmal ein interessantes und lebenswertes Quartier, womöglich sogar für urban veranlagte Menschen mit ihren recht genau gefassten Vorstellungen vom richtigen Leben. "Eine zukunftsweisende städtebauliche, stadtgestalterische und ökologische Haltung" bei Planung und Umsetzung - so umschreibt die Stadt ihre Ziele für den nächsten Abschnitt des neu entstehenden Stadtteils an ihrem westlichen Rand, in dem einmal mindestens 25 000 Münchnerinnen und Münchner leben sollen. Im Jahr 2035 sollen die letzten Wohnungen fertig gestellt werden.

An diesem Mittwoch soll der Planungsausschuss des Stadtrats zwei grundlegende Beschlüsse dazu fassen: den Aufstellungsbeschluss - also den Einstieg in die detaillierte Planung - für den ersten Bauabschnitt des zweiten Realisierungsabschnitts und die Verabschiedung eines Mobilitätskonzepts für Freiham.

Es ist nicht leicht, bei den ganzen Abschnitten, in denen Freiham entsteht, den Überblick zu behalten. Da ist zunächst die Trennung in Süd und Nord. Freiham-Süd ist ein Gewerbegebiet mit Arbeitsplätzen für 7500 Menschen, das seit einigen Jahren fertig ist. Freiham-Nord wird der eigentliche Stadtteil, auf einer Fläche von 200 Hektar und damit so groß wie der Stadtbezirk Schwanthalerhöhe (Einwohnerzahl dort: etwa 30 000). Rudimente sind schon zu erkennen: der fertige Bildungscampus und allerhand Baustellen. 275 Pioniere wohnen schon in Freiham, verteilt auf 110 Wohnungen. Im Laufe des Jahres sollen weitere 250 Wohnungen entstehen. Sie alle gehören zum ersten Realisierungsabschnitt, der in acht bis zehn Jahren fertig werden soll und 4400 Wohnungen umfassen wird. Der zweite Abschnitt, der mit mindestens 6000 Wohnungen dichter geplant wird, ist in zwei Bereiche unterteilt. Um den ersten davon mit etwa 3000 Wohnungen geht es nun im Stadtrat. Teil von Freiham-Nord ist auch ein 58 Hektar großer Landschaftspark, der den Stadtteil im Westen von der A99 abgrenzen soll.

Erste Ideen für eine Besiedlung dort gab es in den Sechzigerjahren. Damals wurde das weitgehend aus Ackerflächen bestehende Freiham neben Perlach und Oberschleißheim als "Entlastungsstadt" eingeplant. Die Stadt begann, Grundstücke zu kaufen, um sie der Spekulation zu entziehen. Es entstand dann zunächst Neuperlach, die Pläne für Oberschleißheim zerschlugen sich, dafür kam die Messestadt Riem hinzu. Die Vergleiche zeigen die historische Bedeutung des Projekts Freiham, und sie schüren die Erwartung an die Stadtplanung, aus den Erfahrungen zu lernen.

Das Konzept des Landschaftsparks etwa hat sich in der Messestadt Riem bewährt, er ist dort 200 Hektar groß, so dass auch Platz für einen Badesee war. Das geht in Freiham nicht. Die Stadt prüft aber, ob westlich der Autobahn ein Badesee realisierbar wäre - oder ob ein Schwimmbad machbar ist. Was in Freiham besser werden soll als in Riem, ist die urbane Dichte. Die Messestadt bietet Wohnraum für 18 000 Menschen. Dort wäre aus heutiger Sicht nicht nur mehr Wohnraum wünschenswert, mehr Dichte würde auch belebtere Straßen und mehr Geschäfte und Gastronomie in den Erdgeschossen ermöglichen. In Freiham soll das klappen - auch durch den Verzicht auf ein zentrales Einkaufszentrum.

Weil die Flächen in Freiham überwiegend in kommunaler Hand sind, tut sich die Stadt dort vergleichsweise leicht, Baurecht und vor allem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen - viel leichter etwa als in den letzten zwei dann noch übrigen potenziellen Siedlungsgebieten im Nordosten und im Norden Münchens, wo die Eigentümerstruktur heterogen ist und die Stadt mit einer Gemengelage aus grundsätzlichem Widerstand und Bodenspekulation zu kämpfen hat. Politische Diskussionen über Freiham könnte es aber noch bei der Zahl der Wohnungen geben. Denn das Konsortium von Architekten und Landschaftsarchitekten (Hild und K aus München, Sergison Bates aus London sowie Ballmoos Krucker und Studio Vulkan, beide aus Zürich), das den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen hat und nun mit der weiteren Planung beauftragt werden soll, schlägt 7000 Wohnungen vor, 1000 mehr als vorgegeben. "Verträglich", findet das Planungsreferat und will das genauer prüfen.

Das noch größere Thema aber ist die Verkehrserschließung. Zwar gibt es mit der S8 im Süden (Haltestelle Freiham) und der S4 im Norden (Aubing) zwei Bahnstationen und zudem das nun vorliegende Mobilitätskonzept. Aber die vom Stadtrat schon beschlossene Verlängerung der U5 über Pasing bis nach Freiham soll nach derzeitiger Planung nicht vor 2035, also frühestens mit Fertigstellung der letzten Wohnungen, in Betrieb gehen. Der Bezirksausschuss (BA) Aubing, Lochhausen, Langwied leistet erbitterten Widerstand gegen den Bebauungsplan. "Ich fordere vom Münchner Stadtrat (...), unserem Votum zu folgen und die Arbeit an die Stadtverwaltung zurückzugeben", erklärt der BA-Vorsitzende Sebastian Kriesel (CSU). Erst müssten der Ausbau von A99 und U-Bahn gesichert sein. "Wir brauchen Lösungen und keine Experimente."

Am Dienstag meldete sich Manuel Pretzl, CSU-Fraktionschef im Stadtrat, zu Wort: "Um den absehbaren Verkehrskollaps in Freiham zu verhindern, muss hier gelten: Wohnungsbau synchron zu U-Bahnbau." Das würde bedeuten: Wenn es bei der U-Bahn nach Freiham Verzögerungen gibt, etwa wegen der noch ungeklärten Finanzierung von geschätzt mindestens 750 Millionen Euro von Pasing bis Freiham, müsste auch der Wohnungsbau gebremst werden. Die CSU will das andersherum verstanden wissen: Man müsse die U-Bahn schneller bauen als geplant.

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SZ vom 12.02.2020
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