Freiham:Vorbild Schwabing

Im neuen Stadtteil im Westen der Stadt läuft die Vorbereitung des nächsten Bauabschnitts. Die Architekten orientieren sich an Theodor Fischer und planen Wohn-Karrees mit großen Innenhöfen. Die Bürger befürchten Probleme mit dem Luftaustausch. Und sie haben Angst vor einer Verkehrslawine

Von Ellen Draxel, Freiham

Ein Viertel, das "Vielfalt und Offenheit für künftige Entwicklungen" gewährleistet und die "Lebensqualität der Menschen" ins Zentrum stellt - so stellen sich die Münchner Freiham vor, ihren neuen Stadtteil im Westen. Jetzt, da sich der erste Realisierungsabschnitt Freiham-Nord bereits in der Umsetzung befindet, schon rund tausend Menschen im Quartier leben, im Bildungscampus an der Bodenseestraße seit fast zwei Jahren unterrichtet wird und das Grünband an der Grenze zu Neuaubing längst zu einem beliebten Treffpunkt geworden ist, können solche Wünsche im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung für den zweiten Realisierungsabschnitt wieder einmal offiziell vorgebracht werden.

"Nichts geht verloren, wir werden alle Anregungen behandeln und bearbeiten", versprach Sabine Steger vom Planungsreferat den Bürgern beim Live-Chat am Montagabend. Im Fokus der Planer steht inzwischen der erste Bauabschnitt des zweiten Realisierungsabschnitts - ein 26 Hektar großes Areal zwischen Annemarie-Renger-Straße, Aubinger Allee, Hörweg und dem künftigen Landschaftspark. Dort sollen 3000 Wohnungen, ein zweiter Schulcampus mit einer Grund- und einer Mittelschule sowie zehn Kindertagesstätten entstehen. Strukturell basiert das Konzept auf dem gemeinschaftlichen Entwurf der vier Büros Hild und K Architekten (München), Sergison Bates Architects (London), von Ballmoos Krucker Architekten (Zürich) und Studio Vulkan Landschaftsarchitekten (Zürich): Weil sich die Wettbewerbssieger an den Theodor-Fischer-Bauten in Schwabing orientiert haben, sind die Gebäude im zweiten Realisierungsabschnitt als lange Wohn-Karrees mit großen, grünen Innenhöfen geplant. Die Häuser seien als "bewegte Silhouette" konzipiert, mit Höhenvorsprüngen zur Auflockerung - "sehr malerisch", wie Steger findet.

Die Meinungen der Bürger zur Architektur indes sind gespalten: Während die einen eine zu dichte Bebauung befürchten, plädieren andere für höhere Bauwerke bis zu zehn Etagen statt maximal acht. "Die Blockrandbebauung ohne Unterbrechung an den Hauptverkehrsstraßen", kritisierte ein Teilnehmer mit Verweis auf den Klimaschutz, "verhindert den Luftaustausch aus den Block-Innenbereichen". Das Thema, versprach Annette Timmermann von der Grünplanung, werde "sehr intensiv berücksichtigt". Die Fläche Freihams sei ein Kaltluft-Entstehungsgebiet, es gebe ein Grünband in Nord-Süd- und Grünfinger in Ost-West-Richtung für die Durchlüftung.

Die Gestaltung des öffentlichen Raums lehnt sich ebenfalls an das Modell Schwabing an. Drei Quartiersplätze finden sich im ersten Bauabschnitt, ergänzend sind "kleinräumige Momente im Straßenraum" vorgesehen, die die langen Bauflächen auflockern sollen - die Architekten nennen sie "Dreiecksplätze". Diese Öffnungen sollen dazu einladen, nach draußen zu gehen, um mal Federball zu spielen oder einen Tisch rauszustellen. "Toll", kommentierte ein Chat-Besucher. "Das steigert den Wohnwert." Vorgesehen ist zudem, Dachflächen zu begrünen, sie mit Photovoltaik auszustatten oder als Dachgärten gemeinschaftlich nutzbar zu machen.

Bleibt das im Stadtbezirk dominierende Thema Verkehr. Dass vorgesehen ist, quer durch den ersten Bauabschnitt einen Zubringer zum Autobahnring A 99 zu platzieren, ist Hauptkritikpunkt der Nachbarn. Viele sind der Meinung, es sollte nur eine Einfahrt aus Freiham auf die A 99 geben. Eine Ausfahrt ins Quartier hinein dagegen müsse "unterbunden werden", da sie "enorme Durchfahrts- und Umweg-Verkehre" nach sich ziehe. Als "zu spät" moniert wird der für 2035 prognostizierte Startzeitpunkt der U-Bahn - trotz der Zusicherung Klaus Possets vom Baureferat, man "arbeite mit Nachdruck" am Bau. Die U 5 wird unter dem Autobahn-Zubringer verlaufen, die archäologischen Untersuchungen sollen bereits im Sommer und die Rohbauten für Vorhaltemaßnahmen 2023 beginnen.

Auch sind nicht wenige der Ansicht, die komplette Anbindung des öffentlichen Nahverkehrs sei "unterdimensioniert". Die S 4, erklärte ein Bürger, sei schon "jetzt immer überfüllt, die Bodenseestraße sowieso und auch alle Straßen in Altaubing. Wenn so viele Menschen hinzukommen, reichen Busse nicht aus. Und U-Bahn und Tram dauern noch..." Selbst das heiße Eisen einer Anbindung Freihams an Aubing kam zur Sprache, dazu wird es im Herbst aber eine eigene Bürgerbeteiligung geben. Freiham, fasste Robert Adam vom Mobilitätsreferat das Verkehrsthema zusammen, sei als "kompakte Stadt" kreiert, wo man fast alles zu Fuß oder mit dem Rad erledigen könne. "Wir tun alles, um den Autoverkehr auf 25 Prozent zu begrenzen."

Aber, diese Frage stellten sich die Chat-Gäste, ist dafür auch die Infrastruktur vorhanden? Gibt es ausreichend Ärzte, Freizeitangebote, Restaurants, Einrichtungen für Senioren, Theater, Museen, Kirchen und Schulen? Den Bildungscampus halten viele schon jetzt für "zu klein". Eine "Schlafstadt", erklärte dazu Freihams Projektleiterin Merle Bald, werde der neue Stadtteil "sicher nicht werden", sondern ein "gut durchmischtes Quartier". Von Herbst an stehe der Interimssupermarkt zu Verfügung, bis die Nahversorger kämen. Ein Seniorenwohnheim soll bereits 2024 fertig sein, neben der Autobahn wird ein Badesee entstehen und im Gut Freiham ein Ausflugsziel mit großem Biergarten. Dazu kommen drei Nachbarschaftstreffs, viele soziale Anlaufstellen und ein Kulturzentrum an der Ecke Grete-Weil-Straße/Aubinger Allee.

Zur Ausgestaltung des ersten Bauabschnitts im zweiten Realisierungsabschnitt können die Bürger noch bis 8. Juni Stellung nehmen, die Unterlagen liegen im Planungsreferat an der Blumenstraße 28 b oder bei der Bezirksinspektion West an der Landsberger Straße 486 nach Terminvereinbarung (Telefon 233-465 50) aus. Ende 2023 ist eine zweite Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen, bevor der Bebauungsplan voraussichtlich Anfang 2024 vom Stadtrat beschlossen wird.

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