Mitten in Jeanne-Marie Ehbauers Rede nähert sich im Rücken der städtischen Baureferentin ein Radfahrer. Verdutzt blickt der ältere Mann auf den Pulk an Rathausbeschäftigten und Presseleuten, die sich hier hinter dem Freihamer Stadtteilzentrum am Straßenrand versammelt haben. Wenige Meter vor der Menschenmenge will der Radfahrer nun bremsen und absteigen, doch kaum ist sie des Mannes Gewahr geworden, winkt Ehbauer ihn durch und ruft: „Hier haben Fahrräder Vorfahrt!“
Was einen direkt zum Anlass bringt, dessentwegen die Baureferentin, Münchens dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) und Mobilitätsreferent Georg Dunkel an diesem Vormittag in den stetig wachsenden Stadtteil Freiham gekommen sind. Dieses Trio eröffnet hier nahe dem S-Bahnhof die erste reine Fahrradstraße in München. Dazu muss man wissen: Zwar gibt es stadtweit aktuell 95 Fahrradstraßen mit einer Gesamtlänge von gut 44 Kilometern – ein Spitzenwert im deutschlandweiten Vergleich. Doch weil sie allesamt mit dem Zusatzschild „Kraftfahrzeuge frei“ oder „Anlieger frei“ versehen sind, dürfen dort auch Autos, Lastwagen und Motorräder verkehren, wenngleich der Radfahrende stets Vorrang hat.
Anders sieht es nun auf jenem Weg in Freiham aus, der vom Stadtteilzentrum am Mahatma-Gandhi-Platz durch das neu entstehende Wohngebiet hindurch und bis zur Otto-Meitinger-Straße führt. Denn diese Verbindung ist für Autos, Motorräder und Co. tabu; hier dürfen ausschließlich Radfahrer und Fußgänger unterwegs sein. „Die neue Fahrradstraße ist ein städtebauliches Novum in München“, betont Ehbauer. „Sie ermöglicht eine klimafreundliche und sichere Nahmobilität.“ Neben einem drei Meter breiten Gehweg gibt es entlang der knapp 850 Meter langen Verbindung einen vier Meter breiten Zweirichtungsradweg, der an sämtlichen Kreuzungen rot markiert ist. Für die Autofahrer bedeutet das: Sie müssen an diesen Stellen Fahrrädern und Fußgängern Vorrang gewähren. Und um sie zu schützen, so die Baureferentin, habe man die querenden Straßen an den Kreuzungen auf 4,50 Meter verengt.
„Ich hoffe, dass diese Fahrradstraße zu einem leuchtenden Vorbild wird“, sagt Bürgermeisterin Dietl. Sie verweist darauf, dass in Freiham nicht nur dringend benötigter Wohnraum entstehe – im Endausbau sollen in dem Viertel im Münchner Westen einmal mehr als 25 000 Menschen leben. Sondern darüber hinaus schaffe die Stadt dort „guten Lebensraum“, wozu wiederum eine durchdachte Infrastruktur gehöre – wie die nun eröffnete Fahrradstraße. Diese Nahverkehrstrasse sei „ein echter Mehrwert für Freiham“, findet Dietl. Schließlich führt sie nicht nur vom S-Bahnhof zu zahlreichen Wohnhäusern, sondern auch zu Kitas, Spielplätzen und sozialen Einrichtungen in den Stadtteil.
Zudem, und darauf weist Ehbauer hin, sind beidseits der Fahrradstraße großzügige Grünflächen geplant, unter anderem durch Blühwiesen und mehr als 80 neue Bäume. Die Gesamtkosten für die Gestaltung dieser Anlagen, der Plätze und der Straße selbst liegt laut der Baureferentin bei 8,65 Millionen Euro. „Hier ist eine tolle Achse bis zum S-Bahnhof und abseits des Autoverkehrs entstanden“, lobt auch Mobilitätsreferent Dunkel die neue Verbindung. Sie leiste einen Beitrag dazu, dass in Freiham „die viel besprochene Verkehrswende“ umgesetzt und erlebbar werde.
Was noch fehlt: eine „richtige Anbindung“ der Fahrradstraße
Angesichts all dieser Lobeshymnen auf die mit Pollern abgesperrte Fahrradstraße bleibt es an diesem Vormittag einem Lokalpolitiker vorbehalten, etwas Wasser in den Wein zu kippen. „Es stimmt, wir haben hier jetzt eine Nord-Süd-Verbindung“, meldet sich Wolfgang Bösing (Grüne) zu Wort, der Radwege-Beauftragte des Bezirksausschusses Aubing-Lochhausen-Langwied. „Doch zurzeit ist sie noch ohne richtige Anbindung.“ Dies müsse sich vor allem in Richtung des 2019 eröffneten Bildungscampus schleunigst ändern, fordert er. „Das liegt uns vom Bezirksausschuss sehr am Herzen.“
Tatsächlich ist auch am S-Bahnhof die Anbindung der Fahrradstraße bislang nicht optimal. So muss der Radverkehr dort aufgrund der angrenzenden Baustelle derzeit die Busspur in der Amalie-Nacken-Straße nehmen, um zur neuen Trasse zu gelangen. Vom Frühjahr 2025 an soll es dann eine direkte Verbindung vom Mahatma-Gandhi-Platz geben. Ob diese jedoch – wie aktuell der gesamte Platz – als Fußgängerzone ausgewiesen wird, ist dem Rathaus zufolge noch offen. „Wir sind hier noch nicht fertig“, betont Baureferentin Ehbauer in Replik auf die Kritik des Lokalpolitikers. Doch in Freiham sei man nun mal „immer abhängig vom Hochbau“.
Um die Menschen vor Ort über die Entwicklungen in ihrem Stadtteil zu informieren, habe man an der Bushaltestelle in der Amalie-Nacken-Straße einen neuen digitalen Infopoint geschaffen, ergänzt Ehbauer. Dort werde künftig auf drei großen Bildschirmen unter anderem über Bauvorhaben und Kulturveranstaltungen im Viertel informiert. Die XXL-Displays lösen die Infostelen in der Bahnhofsunterführung ab, die sich der Baureferentin zufolge nicht bewährt haben, da sie wiederholt demoliert wurden.