Stimmung in Münchens Freibädern: 95 Prozent Lebensfreude, fünf Prozent Aggression

Stimmung in Münchens Freibädern: Die Aktion des Rathauses hätte besser vorbereitet werden müssen.

Die Aktion des Rathauses hätte besser vorbereitet werden müssen.

(Foto: Robert Haas)

In einem Freibad, noch dazu in Neuperlach, ballen sich die sozialen Konflikte. Die Stadt hätte das vorhersehen können.

Kommentar von Julian Hans

Es gibt kaum einen zweiten Ort in der Stadt, der über so lange Zeit so viele Glücksgefühle auslöst wie das Freibad. Das Kreischen der Mädchen, der Schauder unter der kalten Dusche, die Angstlust auf dem Fünfmeterturm, der Geschwindigkeitsrausch auf der Wasserrutsche. Freibäder sind 95 Prozent pure Lebensfreude. Aber sie sind auch fünf Prozent Aggression. Wenn es eng wird, können Emotionen ansteckend sein. Schöne, aber auch gefährliche.

Es gibt wohl keinen zweiten Ort in der Stadt, an dem sich unterschiedliche sozialen Milieus so direkt begegnen. Die Schulen trennen die Kinder des Ingenieurs und der Näherin aus der türkischen Änderungsschneiderei spätestens nach der vierten Klasse. Die Chance, dass sie sich hinterher im Freundeskreis begegnen, ist gering. Aber im Strudelbecken des Freibades kommen sich alle wieder bis zum Hautkontakt nahe.

Jugendlichen unter 18 Jahren kostenlosen Eintritt zu diesem zauberhaften Ort zu gewähren, war deshalb eine gute Idee. Nur leider war sie viel zu kurz gedacht. Es ist eben nicht nur eine Frage für Kämmerer, ob die Stadt es sich leisten kann, auf die 3,20 Euro zu verzichten, die sechs- bis 14-Jährige sonst bezahlen mussten. Man muss sich auch überlegen, was die Jugendlichen dann machen, wenn sie in den Ferien zu Tausenden dicht gedrängt ganze Tage verbringen. Das gilt für Viertel wie Neuperlach ganz besonders, in dem die Menschen nicht nur ein gutes Buch und ihre Lateinvokabeln mitbringen, sondern auch soziale Konflikte.

Drei Wochen vor der ersten Freibadöffnung hatte das Rathaus die frohe Botschaft verkündet, ohne vorher einen Plan entwickelt zu haben, wie das Pilotprojekt umgesetzt werden sollte. Die Bäderleitung wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und musste sich schnell etwas einfallen lassen, wie sie den Ansturm bewältigen sollte. Für tiefer gehende Überlegungen war keine Zeit. Nach den Zwischenfällen im Michaelibad ist nun mit einem Mal ein halbes Dutzend Organisationen involviert: Die Streetworker des Jugendamts, die Polizei, die Stadtwerke selbst natürlich und sogar private Sicherheitsleute. Wer letztere bezahlen soll, ist auch noch nicht geklärt.

Was hätte aus der schönen Idee werden können, wären diese Stellen (und weitere) von Anfang an mit einbezogen worden. Hätte man im Rathaus mehr Verständnis für die soziale Funktion der öffentlichen Bäder gehabt. Vielleicht klappt es ja dann im nächsten Jahr.

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