Süddeutsche Zeitung

Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt:"Wir wurden überrumpelt"

Die Geschäftsleute an der Fraunhoferstraße wehren sich gegen die beiden Radspuren, denen 130 Parkplätze zum Opfer fallen sollen. Sie befürchten große Schwierigkeiten bei der Anlieferung und erhebliche finanzielle Einbußen.

Von Birgit Lotze

Den Kurswechsel in der Verkehrspolitik hat der Stadtrat nicht erst am Mittwoch mit der Übernahme der Forderungen des Bündnisses Radentscheid eingeleitet, sondern bereits Ende Januar. "Wenn wir einen Radweg für wichtig erachten, dann bauen wir ihn halt. Auch wenn dafür Parkplätze wegfallen", so gab Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) damals die Richtung vor. Eine erste Entscheidung fiel für die Fraunhoferstraße: Sämtliche Parkplätze - insgesamt 130 - sollen abgeschafft, stattdessen beidseitig rote Radstreifen markiert werden. Dagegen haben sich am Dienstagabend etwa 15 Geschäftsleute aus der Fraunhoferstraße im Bezirksausschuss (BA) gewehrt.

"Wir wurden überrumpelt", sagte die Inhaberin eines Reisebüros an der Ecke Fraunhofer- und Klenzestraße. Bei kleineren Umgestaltungen seien sie als Anwohner gefragt worden, diesmal, wo ihnen sämtliche Parkplätze und Anliefermöglichkeiten genommen würden, habe es bislang keinen Dialog gegeben. Stattdessen seien sie informiert worden, dass die Markierungen für die Radspuren bereits in der kommenden Woche angelegt würden.

Der Vorsitzende des Bezirksausschusses Andreas Klose (Rosa Liste) gab zu bedenken, dass die Umgestaltung auf die Anwohner selbst zurückgehe. Bei der Bürgerversammlung im November habe sich eine deutliche Mehrheit für die roten Radspuren ausgesprochen. "Und der Platz ist halt nur einmal da." Von der Schnelligkeit, mit der der Beschluss dann durchgesetzt wurde, seien allerdings alle überrascht gewesen - auch der Bezirksausschuss.

Arne Brach (Die Grünen) merkte an, dass Projekte dieser Art sich nicht mit langwierigen Dialogen durchsetzen ließen. Immer wieder heiße es: "Natürlich bin ich dafür. Aber bitte nicht vor meiner Haustür." Nicht einmal zehn Meter Radweg gebe es bislang in der Fraunhoferstraße. "Wenn es um etwas Konzeptionelles geht, dann kann das keine Flickschusterei sein."

Das Projekt ist für ein Jahr auf Probe geplant. Die Fraunhoferstraße soll umgebaut werden, das steht fest, nur wie, noch nicht. Jetzt sollen sich auf Probe Autos und Tram die mittleren Spuren teilen, daneben wird der Radweg abmarkiert. Der Gehweg, derzeit sehr schmal, soll nach Möglichkeit etwas verbreitert werden. Paul Bickelbacher (Grüne), auch Stadtrat, machte deutlich, dass die Verwaltung vor einer Einführung einen Termin für eine öffentliche Erörterung ansetzen werde. Der BA hatte deshalb bereits vor vier Wochen die Stadt aufgefordert, die Geschäftsleute vor einer langfristigen Umsetzung anzuhören. Zunächst würden allerdings Erfahrungen gesammelt. "Ein Versuch ist ein Versuch. Da werde nicht zwei Jahre vorher geplant, sondern parallel, sagte Bickelbacher. Man erhoffe sich durch das neue Konzept mehr Sicherheit für Radler, mehr Platz für Fußgänger. "Auch Begrünen wäre schön."

Bei den Geschäftsleuten stießen diese Argumente allerdings nicht auf Zustimmung. Sie befürchten, dass der Probebetrieb, sind die Parkplätze erst einmal weg, zum Normalbetrieb wird. Der Inhaber eines Familienbetriebes legte dar, wie er künftig wohl aus neu anzulegenden Ladezonen in der Reichenbachstraße sechs Meter lange Stahlstangen über der Schulter bis zu seinem Betrieb tragen wird, ein zweiter, wie er Material und Maschinen für die Baustelle zu seinem Fahrzeug transportiert. Der Wirt des Fraunhofer-Wirtshauses sprach Probleme für Musiker und Bierfahrer an. Und es gehe nicht nur ums Geschäft, sagte er, sondern auch um die kleinen Auswirkungen. Er selbst müsse dann wohl seinen Hof, der seit Jahrzehnten als Kinderspielplatz genutzt werde, wieder für Autos öffnen.

Der Inhaber des Lotto-Toto-Ladens sagte, nicht nur die Ladenbesitzer, auch Ärzte und Apotheker hätten Existenzängste. Ein Gewerbetreibender bezweifelte, dass der Verkehr durch die Entzerrung besser fließe, ein anderer befürchtete, der fließende Verkehr hinterlasse keinen Cent in den Kassen der Geschäftstreibenden. "Eine Straße hat doch nicht die Funktion, dass der Verkehr durchgeht, sondern auch, dass alle Anwohner bedient werden." Die Geschäftsführerin des Reisebüros wehrte sich gegen Helga Solfranks (Grüne) Anmerkung, dass auch die Geschäftsleute der Kaufingerstraße sich gegen eine Fußgängerzone gewehrt haben - "und jetzt ist es ein Erfolgsrezept". Ein Erfolgsrezept sei sie für große Ketten, entgegnete die Reisebüro-Chefin. Es gebe dort keine kleinen Geschäfte mehr. "Ihr macht den Mittelstand kaputt."

Nach Meinung von Martin Ruckert (CSU) werden die Parkplätze zu schnell abgeschafft, geht die Veränderung viel zu schnell. "Da macht man Sachen kaputt", das könne Geschäftsleute essenziell schädigen. "Jetzt haben wir den Salat." Die Rathaus-CSU lehne das Projekt ab. Die Wähler könnten ja bestimmen, welche Mehrheiten künftig im Stadtrat das Sagen hätten, sagte er bereits voll im Wahlkampfmodus.

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SZ vom 25.07.2019/pvn
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