Süddeutsche Zeitung

Frauenklinik in der Maistraße:Umzug, ganz vorsichtig

Wohl jeder Münchner kennt jemanden, der in der Maistraße geboren wurde - wenn er nicht gleich selbst dort zur Welt kam. Nun aber ist die Frauenklinik ins neue Innenstadt-Klinikum gewechselt. Mit kostbarstem Gut.

Von Stephan Handel

Morgens um zehn liegt Felia in ihrem Bettchen und weiß nichts von der historischen Rolle, in die sie wenige Stunden zuvor im wahrsten Sinne des Wortes hineingeboren wurde. Felias Mutter Patrizia Miller hat gerade gefrühstückt, jetzt schaut sie auf ihr Kind mit diesem ungläubigen Glück junger Mütter in den Augen. Felia ist am Montag 13 Minuten vor Mitternacht zur Welt gekommen, 50 Zentimeter groß, 3450 Gramm schwer, zwei Stunden nur musste Patrizia Miller sich im Kreißsaal anstrengen, dann war das Baby da. Felia, und das ist das historische an ihrer Geburt, wird aller Voraussicht nach das letzte Kind sein, das das Licht der Welt in der Frauenklinik an der Maistraße erblickt.

Denn an diesem Dienstag ist Umzugstag. Die berühmte Frauen- und Geburtsklinik in der Isarvorstadt zieht um, 105 Jahre nach ihrer Einweihung. Künftig werden Wöchnerinnen ihre Kinder in der neuen Portalklinik der Universität bekommen, dem so genannten Innenstadt-Klinikum, nur ein paar Schritte entfernt an der Ecke von Nußbaum- und Ziemssenstraße. Doch dass ein gesunder Mensch den Weg vom Alten ins Neue in fünf Minuten locker bewältigen kann, heißt nicht, dass der Tag des Umzugs kein komplizierter wäre.

Um sieben Uhr früh ist Sven Mahner in die Maistraße gekommen. Er ist der Direktor der Klinik und berichtet, dass sie schon in den letzten Tagen und Wochen die Zahl der Patienten reduziert und Neuaufnahmen gleich nach Großhadern geschickt haben, dem zweiten Standort der Frauenheilkunde am LMU-Klinikum. Am Dienstag, dem Tag X, sind nur noch rund 20 Betten belegt, in Spitzenzeiten waren es fast 300.

Bevor Mahner zu seinem neuen Krankenhaus hinüberläuft - um 9 Uhr wird mit einem kleinen Festakt eröffnet - gibt es noch die Morgenbesprechung, zeitgemäß per Videokonferenz. Sachlich und professionell tragen die Ärzte vor, was während der Nacht und am Morgen passiert ist, nur als von einer neuen Patientin berichtet wird, es fallen die Wörter "multimorbide" und "Karzinom", dazwischen eine ganze Reihe äußerst hässlich klingender Fachbegriffe, nur in diesem Moment verzieht Mahner kurz das Gesicht - das klingt nicht gut, soll das wohl heißen.

Die Maistraße ist nicht die größte Geburtsklinik in München - da liegt die Taxisklinik in Gern vorne, mit 4000 Entbindungen pro Jahr. Die städtische München Klinik entbindet pro Jahr 6000 Frauen, allerdings an drei Standorten. Im Klinikum Dritter Orden kommen gut 2500 Kinder zur Welt - dann erst kommt die Maistraße mit 2300 im Jahr, dazu 1700 in Großhadern. Dennoch umgibt das ehrwürdige Gebäude, das sich jetzt langsam leert, ein Mythos. Wohl jeder Münchner kennt jemanden, der in der Maistraße geboren wurde, wenn es ihm nicht gleich selber passiert ist.

Sven Mahner, der Direktor, begründet das mit dem von ihm diagnostizierten "Geist der Maistraße", was kein Spuk sein soll, sondern ein besonderer Zusammenhalt der Beschäftigten. An diesem Dienstag zum Beispiel hat die Leitende Hebamme Geburtstag, da haben sie ihr natürlich ein Ständchen gesungen, Umzugstag hin, Umzugstag her. Und am Abend, wenn alles rum ist, dann wollen sie sich auf dem Dach ihres neuen Arbeitsplatzes treffen - "Party" will Mahner das nicht nennen, vielleicht ist es ja auch eher ein Abschied.

Ein schwangere Frau haben sie schon mal losgeschickt, "Patientin null", sagt Mahner. Sieben Mitarbeiter der Johanniter Unfallhilfe erledigen Einladen und Rüberfahren, und auch wenn das ja ein Krankentransport ist wie viele - ein bisschen angespannt wirken auch sie. Neugeborene kommen im Tragesitz in den Krankenwagen, warum auch nicht: Anders wird's ja auch nicht sein, wenn sie in ein paar Tagen nach Hause dürfen. Schwieriger wird's bei den Patienten der Neonatologie - die Frühgeburten. Sie müssen in einen Transport-Inkubator gelegt werden, und dabei darf keiner der Schläuche, keine der Elektroden, der Tuben verloren gehen, die alle zusammen versuchen, ein Leben zu erhalten, das gerade erst begonnen hat. Drei bis vier Stunden dauert es, ein Frühchen für den Transport fertig zu machen. Aber auch das ist für Ärztinnen und Pflegerinnen nichts Neues: An der LMU werden die frühesten Frühchen versorgt, die schweren Fälle; und sie kommen das ganze Jahr über, im Krankenwagen, mit dem Hubschrauber. Für die Beschreibung der Vorgaben für den Transport wählt Mahner die zärtlichsten Worte: "Sanftest" werde vorgegangen, denn es sei "fragiles kostbares Gut."

Es ist mittlerweile schon sehr ruhig in den Gängen, und so bleibt Platz, die schönen Details des klassizistischen Gebäudes zu betrachten: stukkierte Wanduhren, Ölgemälde an den Wänden, die kaum jünger sein dürften als das Haus selbst, die Wegweiser von Hand an die Wände gepinselt. Unten am Eingang wo in anderen Häusern schlicht der Pförtner sitzt, residiert hier laut Marmor-Inschrift der "Torwart". Und natürlich der wundervolle Innenhof, eine grüne, blühende Pracht in der Sonne.

Bei den Mitarbeitern ist Nostalgie zu spüren, auch wenn sie viel zu beschäftigt sind, sich ihr hinzugeben. Karl-Walter Jauch ist eingetroffen, er war bis vor kurzem Ärztlicher Direktor des gesamten LMU-Klinikums und hat dessen Umbau maßgeblich in die Wege geleitet. Aber was heißt Umbau: Es ist eine Revolution, über kurz oder lang sollen praktisch alle Häuser aus der Innenstadt nach Großhadern verlegt werden; bleiben würde nur die neue Portalklinik, in der die Patienten entweder akut versorgt werden - oder eben in die entsprechende Abteilung am Großklinikum verlegt werden. Das wirft nicht nur Fragen der medizinischen Versorgung auf - die Gebäude im Klinikviertel gehören alle dem Freistaat Bayern, stehen großteils unter Denkmalschutz, außerdem schreibt eine städtische Satzung vor, sie auch weiterhin für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen.

Für die Maistraße ist das gesichert: Hier wird die Fakultät für Mathematik einziehen, Informatiker und Statistiker; das gefällt Karl-Walter Jauch, der über die Disziplinen hinausdenkt und meint, menschliche und maschinelle Rechner könnten seiner Medizin ja durchaus behilflich sein. Aber das dauert noch ein bisschen, die ambulante Gynäkologie bleibt bis Ende des Jahres da, auch andere Dinge werden erst im Lauf der Zeit transportiert; einige teure Spezialgeräte, zwei OP-Tische, die nur drei Jahre alt sind. Das meiste andere an Mobiliar und Gerätschaft am neuen Standort ist neu.

Und Felia, Felia ist ja auch neu, noch keine zwölf Stunden alt. Sie kommt auch noch rüber, die erste Reise des Lebens für das letzte Baby aus der Maistraße.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5323010
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.06.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.