Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Scharf gestellt":Es geht um Größeres als das Foto

Sima Dehgani fotografiert dort, wo sich Diskrepanzen oder Missverhältnisse auftun. In Flüchtlingsheimen, in der Produktion teurer Perserteppiche, auf den Spuren der Zwangsarbeiter. Mit ihren Bildern will sie Menschen helfen, denen es nicht so gut geht wie ihr selbst.

Von Christoph Leischwitz, München

Das Beirutbeirut in der Lindenschmitstraße hält dem Münchner Herbstregen gerade ein Schild entgegen: "Blumenkohl mit Bio-Rind in Granatapfelsoße". Es duftet nach Tee, und es dürfte kein Zufall sein, dass Sima Dehgani ausgerechnet hierher eingeladen hat. Klar, die Frau aus Sendling wohnt gleich hier um die Ecke, aber sie vereint eben auch beides: orientalische Gemütlichkeit und mitteleuropäische Tristesse. Eine Herzlichkeit wie in einer iranischen Dorffamilie und die Akribie einer bayerischen Schwäbin. Hm, oder vielleicht umgekehrt? Aber genau darum soll es ja gehen: Die Suche nach sozialen Phänomenen, in sich selbst und draußen in der Welt. Dehgani hat für sich einen Weg gefunden, dass selbst dort, wo kulturelle Trennschärfe einmal fehlt, zumindest Tiefenschärfe zum Einsatz kommt. Sie stellt dort scharf, wo sich Diskrepanzen oder Missverhältnisse auftun. "Der Wille, sich künstlerisch zu verwirklichen, war zuerst da", sagt sie. Schon als Kind habe sie viel gemalt. Die sozialen Themen wiederum, die sie behandelt, haben oft mit ihrer Familiengeschichte zu tun.

Eigentlich hört sich schon der Alltag der 36-Jährigen recht bewegt an: Florian Henckel von Donnersmarck für das art Magazin; Termine mit Fußballstars; eine Bilderstrecke über schwimmende Krankenhäuser in Bangladesch. "Das war es, was ich immer wollte", sagt Dehgani, raus in die Welt und gute Geschichten erzählen. Sie ist spezialisiert auf Porträts, Reportagen und Dokumentationen, und ihr Sinn für Ästhetik, neben anderen Talenten, beschert ihr immer wieder gute Aufträge. Doch das ist lediglich die Auftragsarbeit. "Da bin ich auch mal Businessfrau, die Honorare verhandeln muss", sagt sie, das Leben der jungen Familienmutter muss ja bezahlt werden.

Doch es gibt eben auch noch die Leidenschaft, die künstlerische Verwirklichung, die sie antreibt. Der Teil der Arbeit, der sich nicht in Geld bemessen lässt, und das auch nicht soll. "Dort, wo es mir darum geht, inhaltlich etwas zu erzählen, da achte ich nicht aufs Geld", sagt sie. Vielleicht würde sich das dann auch ein bisschen falsch anfühlen. Denn wenn sie ein freies Projekt ins Auge fasst, geht es meist um Menschen, denen es nicht so gut geht wie ihr selbst, die nicht das Glück hatten, im privilegierten München aufzuwachsen mit bodenständigen Eltern, die alles dafür taten, dass die Tochter das Abi machen kann.

Manchmal muss man München dafür gar nicht verlassen. 2015, als viele Flüchtlinge am Hauptbahnhof ankamen und die Stimmung zum Thema sich allmählich aufheizte, da stand sie tagsüber auch am Bahnhof. Und saß abends vor den Nachrichten und dachte sich: Viele begreifen nicht, aus welchen Beweggründen diese Menschen fliehen, man muss ihre Geschichte erzählen.

Porträtfotos der Angekommenen empfand sie aber schon früh als stigmatisierend. Und so verschaffte sie sich die Genehmigung, in Flüchtlingsheime zu gehen, unter anderem auf dem Osram-Gelände in Untergiesing, baute dort ein kleines Studio auf - und bat die Geflüchteten eben nicht um ein Porträtfoto, sondern um einen Gegenstand. Einen, den sie mitgerettet haben, an dem sie hängen, der sie an etwas erinnert.

Heraus kam ein Bildband, der dem Drama der Flucht durchaus ein bisschen näherkommt. Darin zu sehen ist etwa der Stofffetzen eines jungen Äthiopiers, der Rest seiner alten Hose. Darauf hatte er im Lager in Libyen mit Kuli Telefonnummern von Menschen geschrieben, denen er letztlich seine Flucht, also sein Leben zu verdanken hat. Oder ein Paar abgewetzte Schuhe, die ein Afghane auf der gesamten Reise trug. Die kleine Puppe einer zehnjährigen Kurdin. Sim-Karten mit codierten Familienkontakten, damit Schleuser sie nicht mithilfe der Nummern erpressen können. Dehgani hofft, dass diese Bilder vielleicht ein bisschen beigetragen haben, dass die plötzlich polarisierende Debatte über Flüchtlinge ein wenig menschlicher geführt wird.

Ihre freien Projekte sind angetrieben von ihrer Sensibilität für benachteiligte Menschen. Diese hat sie nicht nur, aber vor allem in Iran entwickelt. Ihr Vater war schon Anfang der Siebzigerjahre geflohen. Und als er 23 Jahre später erstmals wieder zur Verwandtschaft reiste, nahm er seine achtjährige Tochter mit. "Ein einschneidendes, sehr emotionales Erlebnis", sagt diese. Und der Eintritt in eine andere Welt, die vor allem durch die vielen Cousinen bald ein wenig vertrauter war. Ihre Abschlussarbeit an der Kunstakademie führte sie dann auch nach Iran, somit war letztlich auch die Entscheidung, überhaupt Fotografin zu werden, ein Stück weit im Heimatland des Vaters gefallen.

Sie begleitete eine Frau, deren Vita sich in München recht banal anhören würde, die in Iran aber eine Außenseiterin ist: einfach, weil sie sich von ihrem Mann scheiden ließ und nun alleine lebt. Dehganis Bilder aus ihrem Leben drücken Einsamkeit aus, auf Kosten von Freiheit. "Mich interessiert die Rolle der Frau in der iranischen Gesellschaft", sagt Dehgani.

Einige Jahre später dokumentierte Dehgani die Produktion von Perserteppichen. Vom Kochen der Seidenkokons über die entlegenen Bergdörfer mit ihren Weber-Familien bis hin zum Verkäufer in Teheran, dort, wo das glamouröse Leben des in mühsamer, jahrelanger Kleinarbeit gefertigten Teppichs beginnt. Gekauft werden sie von Superreichen, nicht selten zu einem sechsstelligen Betrag, und damit ist der Werdegang in Dehganis Bildern von der echten Arbeiter-Welt hin zur 1001-Nacht-Romantik komplett.

Dehgani ist relativ spät zur Fotografie gekommen. Sie kam ja nicht, wie viele andere, von der Fotoschule, sondern sozusagen als Spät-Quereinsteigerin von der Kunstakademie. Und doch, oder vielleicht deshalb, hat sie mehr Geschichten zu erzählen als so manch andere. Weil sie selbst in einem Spannungsverhältnis aufgewachsen ist, das älter ist als ihr eigenes Leben. Die Mutter kommt aus dem eher ländlich geprägten Aichach - und deren Eltern beschimpften die Tochter erst einmal, als sie sich mit dem iranischen Einwanderer einließ. Gleichzeitig hätte sich der Papa sicherlich ein anderes Studium für die Tochter gewünscht, Medizin oder Jura, nicht irgendwas mit Kunst!

Da ist auch noch ein anderes Hindernis, das Dehgani überwinden musste. Wenn man ihr zuhört, wie sie über ihren Werdegang spricht, scheint dieses Problem in ihrer Branche bisweilen gar tiefer zu sitzen als der Umgang mit der kulturellen Herkunft: die soziale Herkunft. "Ich musste mein Taschengeld selbst verdienen und während des Studiums arbeiten", sagt sie. Der Vater war lange Taxifahrer, doch der Tochter sollte auf jeden Fall der Abschluss ermöglicht werden am Käthe-Kollwitz-Gymnasium. "Das freie Arbeiten, das können sich oft nur Leute leisten, die finanziell abgesichert sind", sagt sie. "In einer kreativen Blase wie in der Mode, dem Design oder der Kunst bewegt man sich in einer glamourösen Welt, in der nicht gerne über finanzielle Mittel gesprochen wird. Lange habe es gedauert, bis sie verstanden habe, "dass ich mich gar nicht mit Leuten vergleichen kann, die nicht darauf angewiesen sind, Geld verdienen zu müssen".

Manchmal finden Auftrag und Passion auch zusammen, "das ist dann natürlich genial", sagt sie. Für Greenpeace fotografierte sie zum Thema Öko-Islam, darüber also, wie in Moschee-Gemeinden in München oder Dortmund Plastik vermieden oder Energie gespart wird. "Das schlägt Brücken zu einem ganz biodeutschen Thema", sagt sie und lacht.

Ihre Arbeit führt sie aber auch zu den allertiefsten menschlichen Abgründen. Anfang kommenden Jahres wird das Münchner NS-Dokumentationszentrum eine Arbeit über Zwangsarbeiter veröffentlichen. Dehgani reiste dafür in ein ukrainisches Dorf, aus dem damals sämtliche Bewohner nach Deutschland deportiert wurden. Die Frauen wurden in der Zwangsarbeit nicht selten schwanger. Die unerwünschten Kinder wurden in Sterbelager gebracht, auch wenn diese nicht so genannt wurden. Es gibt immer noch Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland das Grab ihres Bruders oder ihrer Schwester suchen. Dehgani hat sich vorgenommen, ergreifende Geschichten zu erzählen. Und sie geht dabei sehr konsequente Wege.

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