Süddeutsche Zeitung

Fotografie:Die Nacht im Fokus

Andere Lichtverhältnisse, längere Belichtungszeiten: Fotografieren bei Nacht ist anders als am Tag. In speziellen Kursen bringt Fototrainer Andreas Wening den Teilnehmern bei, was man beachten muss.

Von Linus Freymark

Er erinnert fast an einen Jäger, wie er da kniet und sein Ziel anvisiert. Bereit für den perfekten Schuss. Nicht mit dem Gewehr allerdings, sondern mit der Kamera. Thorsten Renoth stellt die Blende ein, auf 3,3, und den Iso-Wert, 16 000. Ein letztes Mal justiert er nach und drückt dann auf den Auslöser, genau wie die anderen fünf um ihn herum, die mit ihren Kameras Position auf der Mariannenbrücke bezogen und ihre Objektive auf die im Abendlicht glänzenden Türme der Lukaskirche gerichtet haben.

"Das sieht doch ganz gut aus." Thorsten Renoth hat sich Zeit genommen für die Einstellungen, jetzt ist er zufrieden mit dem Ergebnis. Im Dunkeln sei es halt schwieriger zu fotografieren, sagt er, andere Lichtverhältnisse, andere Motive. Bisher habe er immer nur bei Tageslicht fotografiert, jetzt will er lernen, was man bei Dunkelheit beachten muss. Und deshalb steht Renoth an diesem kalten Samstagabend im November auf der Brücke und lauscht den Tipps von Andreas Wening.

Seit knapp einem Jahr ist Wening ausgebildeter Coach für Fotokurse bei der Firma Fotokursus GmbH. Unter der Woche arbeitet er als Informatiker, die Fotografie allein würde für seinen Lebensunterhalt nicht reichen. An den Wochenenden fotografiert er selbst hobbymäßig oder er gibt Kurse: Tagsüber vermittelt er Grundlagen oder bietet Aufbau- und Intensivkurse an, wenn es dunkel wird, geht er mit den Nachtfotografen los. Die meisten Teilnehmer sind wie Thorsten Renoth Hobbyfotografen, manche mehr, manche weniger professionell. Maximal zu acht sind sie in dem vierstündigen Kurs, so kann sich Wening, ein Hamburger, der gerne redet und weiß, wie man die Gruppe bei Laune hält, für jeden Einzelnen Zeit nehmen. Mitbringen müssen die Teilnehmer nur ein Stativ, eine Kamera und wetterfeste Kleidung. Treffpunkt ist an der Mariannenbrücke, von dort geht es mit mehreren Stopps die Isar hinab, vorbei an der Ludwigsbrücke und am Maximilaneum.

Bei jeder Station gibt Wening der Gruppe eine Aufgabe. Zuerst sollen die Fotografen vor allem auf die Tiefenschärfe achten, dann auf Belichtung und Bildaufteilung, und bei der nächsten Station erklärt er, wie man einen korrekten Weißabgleich durchführt. Auch Wening findet, dass das Fotografieren im Dunklen etwas anderes ist als bei Tageslicht. "Die Nacht blendet die Defizite aus", sagt er. Triste Einkaufspassagen, die am Tage kaum die Aufmerksamkeit eines Fotografen erwecken würden, könnten nach Einbruch der Dunkelheit spannend werden. Überhaupt alle Orte, an denen es leuchtet und funkelt, würden ihr Potenzial für die Fotografie erst nachts entfalten. Wening ist schon vor den Kursen häufig privat losgezogen und hat die Stadt im Dunkeln fotografiert, die Route für den Kurs hat er bewusst ausgesucht. Ob die Türme der Lukaskirche, das dunkle Flussufer oder der Steg unter der Ludwigsbrücke: Jede Station bietet ihre eigenen Herausforderungen für die Teilnehmer des Fotokurses.

Bis zu 20 Minuten Zeit gibt Wening seiner Gruppe an den einzelnen Orten. Manche nutzen diese für ein einziges Motiv. "Ein gutes Foto braucht Zeit", erklärt Wening. Besonders lange dauert die Übung mit dem Weißabgleich. Wening macht sie nicht mit jeder Gruppe, aber die Teilnehmer heute Abend sind schon relativ weit, da baut er die Übung dann gerne ein. Den Weißabgleich nutze man, "wenn man besonders präzise mit den Farben sein will", erläutert er. Moderne Kameras könnten sich zwar mittlerweile automatisch an die Lichtverhältnisse gewöhnen, aber manchmal muss man den Abgleich mit einem Blatt Papier oder einem speziellen Kärtchen, wie es Wening dabei hat, nach wie vor manuell vornehmen. Bis man die richtigen Farbeinstellungen gefunden hat, ist schnell mal eine Viertelstunde vergangen, ändert man die Position, muss man den Abgleich erneut vornehmen.

Thorsten Renoth hat im Urlaub mit dem Fotografieren angefangen, in Island zum Beispiel. Aber im Dunkeln ist er noch nie losgezogen, deshalb dachte er sich, der Kurs könnte was für ihn sein, als er auf Facebook davon gelesen hat. Und ja, sagt er jetzt am Isarufer, der Kurs macht ihm tatsächlich Spaß. "Man lernt auf jeden Fall noch einmal was dazu." Der gleichen Meinung sind auch die anderen Teilnehmer, zwei junge Männer und ein Vater, der mit seinem Sohn gekommen ist. "Die Kamera bietet so viele Möglichkeiten", sagt der Vater, "aber die meisten vergisst man direkt wieder, nachdem man sie gehört hat." Der Kurs helfe, sich diese wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Leuchtende Beispiele

In den kommenden Tagen eröffnen die Christkindlmärkte in und um München. Und neben Glühwein und Süßkram bieten diese Märkte mit ihren glitzernden Buden und funkelnden Lichterketten auch eine spannende Kulisse für Nachtfotografen. Ob auf dem Tollwood auf der Theresienwiese, den Märkten am Marienplatz oder an der Münchner Freiheit - wo immer es leuchtet, lassen sich besonders gut Bilder bei Dunkelheit aufnehmen.

Solche Orte in München, die ihr Potenzial für die Fotografie erst nach Tagesende entfalten, gibt es viele. Oft seien dies Lokalitäten, die auf den ersten Blick völlig unscheinbar erscheinen, sagt Fototrainer Andreas Wening. Die Fußgängerzone etwa, mit ihren vielen Leuchtwerbetafeln und beleuchteten Passagen. Die Fünf Höfe würden sich beispielsweise anbieten, findet Wening. Enge Durchgänge, viel Reklame, für Nachtfotografen sind diese Bedingungen ideal.

Ebenfalls ein spannendes Motiv gibt der Straßenverkehr ab, etwa von einer der zahlreichen Brücken über den Mittleren Ring fotografiert: Im Vordergrund die bunten Lichter der Fahrzeuge und Straßenlaternen, im Hintergrund das Schwarz der Nacht. Genau solche Kontraste sind für Wening und andere Fotografen, die ihre Bilder nach Einbruch der Dunkelheit aufnehmen möchten, essenziell. Hinzu kommt beim Verkehr die Bewegung der Autos, die ebenfalls interessante Lichtreflexe hervorrufen können.

Auch aus der Vogelperspektive lassen sich bei Nacht eindrucksvolle Totalaufnahmen von der schlafenden Stadt machen, die von oben herab gar nicht so schläfrig wirkt. Wenings Tipp: Bei Dunkelheit auf den Alten Peter steigen, sein Objektiv auf den Marienplatz richten und die dahinterliegende Innenstadt im Hintergrund mitnehmen.

Und schließlich bieten sich selbstverständlich immer auch imposante Gebäude mit einer eindrucksvollen Beleuchtung an. Der Klassiker: die Allianz Arena. Aber auch das Olympiastadion oder die BMW-Welt eignen sich laut Wening hervorragend für Aufnahmen bei Nacht. frey

Die Gruppe hat hinter der Ludwigsbrücke am Flussufer Halt gemacht. Andreas Wening verteilt Taschenlampen. Lichtmalen heißt die Übung, möglich macht sie eine besonders lange Belichtungszeit. In Zweierteams huschen die Kursteilnehmer über die Kiesfläche und positionieren sich, einer vor, einer hinter der Kamera. Auf Kommando beginnt der im Bild, die Taschenlampe hin- und herzuschwenken. Nach einer Belichtungszeit von zehn, 15 oder auch 20 Sekunden werden auf den Displays der Kameras die Bewegungen der Lichtkegel als Standbilder sichtbar. "Hallo", steht dann in Leuchtschrift auf dem pechschwarzen Hintergrund der Umgebung, "München", "Foto" oder einfach wilde Schlangen- und Kreislinien. Gegen 19 Uhr zieht die Gruppe zur letzten Station. Wer sich von der Bezeichnung "Nachtfotografiekurs" hat abschrecken lassen, kann beruhigt sein: Im Winter beginnt der Workshop um 15.45 Uhr, zu Ende ist er bereits um kurz vor acht.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2019/lfr
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