Umweltschutz:Der Kies des Anstoßes

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Wo heute Zehntausende alte Bäume stehen, könnte irgendwann ein Krater klaffen. Und bis junge Bäume nachwachsen, dauert es Jahre. (Foto: Catherina Hess)

Münchens Bannwald ist bedroht: Im Forst Kasten soll eine Waldfläche für Schotterabbau gerodet werden. Vor einigen Jahren stimmten diesem Beschluss viele Stadträte zu - und bereuen das nun.

Von Thomas Anlauf und Annette Jäger

Er ist ein Baum von einem Mann. Zwei Meter groß eilt Peter Rubin mit weiten Schritten durch den Forst. Es ist kaum möglich, dem Mann mit der pechschwarzen Mähne zu folgen und nebenbei Notizen zu machen. Peter Rubin hat ein Ziel vor Augen, das er dem Reporter unbedingt zeigen will: einen Krater mitten im Wald. Es ist eine riesige Kiesgrube, die eine nahegelegene Firma in den Forst Kasten gefressen hat. Wie der Biss eines Riesen klafft zwischen hohen Tannen das tiefe Loch. Peter Rubin, der Schlagersänger, sagt: Schauen Sie sich das an. Dagegen kämpfen wir.

Es ist ein heißer Sommertag im Jahr 1994, als Rubin durch den Wald stapft. Der im Gautinger Ortsteil Stockdorf lebende Sänger ist der prominente Sprecher einer von mehreren Bürgerinitiativen aus dem Würmtal, die den seit Jahrzehnten andauernden Kiesabbau und damit die Rodung des Bannwaldes vor den Toren Münchens beenden wollen.

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Vor ihm setzte sich der Volksschauspieler Gustl Bayrhammer aus Krailling jahrelang dafür ein, dass nicht mehr Hunderte Kieslaster durchs Würmtal rumpeln und später wiederum andere, die die tiefen Löcher mit Bauschutt verfüllen. Der Kampf um den Kies tobt mittlerweile seit sechs Jahrzehnten. Und nun sitzt der Münchner Stadtrat inmitten dieses Dilemmas zwischen Umweltschutz und handfesten wirtschaftlichen Interessen.

Denn wieder einmal wie in den vergangenen 60 Jahren soll im Forst Kasten eine Waldfläche gerodet werden, um aus dem Untergrund eine etwa zwei Dutzend Meter mächtige Kiesschicht der Schotterebene zu baggern. Es geht derzeit um etwa 9,5 Hektar, weitere 35 Hektar stehen später womöglich zur Disposition. Eigentümerin ist die Heiliggeistspital-Stiftung, mit mehr als 800 Jahren die älteste Stiftung der Stadt. Die Bewirtschaftung des mehr als 840 Hektar großen Waldes im Südwesten Münchens soll die Stiftungsarbeit weitgehend finanzieren, vor allem den Unterhalt und Betrieb des Altenheims am Dom-Pedro-Platz in Neuhausen sichern. Verwaltet wird die Stiftung vom Oberbürgermeister und vom Stadtrat.

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In der Vergangenheit stimmte der Stadtrat üblicherweise dafür, dass Teile des Waldes gerodet werden. In den Jahren 2014 und 2017 signalisierte der Stadtrat noch in nichtöffentlichen Sitzungen, dass in dem Waldstück grundsätzlich Kiesabbau stattfinden könne. Es gab eine Ausschreibung, das Neurieder Unternehmen Gebrüder Huber Bodenrecycling GmbH unterbreitete offenbar das beste Angebot. Doch viele Stadträte bereuen längst die Zustimmung für eine Rodung: "Es liegt uns sehr am Herzen, da noch rauszufinden", sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anna Hanusch. Auch die SPD hatte in der Vergangenheit beim Oberbürgermeister und dem zuständigen Sozialreferat angefragt, ob es möglich wäre, dass nun doch nicht abgeholzt und ausgekiest wird.

Schließlich hat der Stadtrat 2019 den Klimanotstand ausgerufen, das Kommunalreferat pflanzt jährlich 100 000 Bäume, um ein Zeichen gegen den Klimawandel zu setzen. Und es gibt noch weitere Gründe gegen einen Kiesabbau: Die Abbaufläche liegt im Landschaftsschutzgebiet und ist ein schützenswerter Bannwald. Das Bayerische Waldgesetz bezeichnet einen Bannwald als Wald, der vor allem in Verdichtungsräumen und waldarmen Gebieten "unersetzlich ist und deshalb in seiner Flächensubstanz erhalten werden muss".

"Es gibt niemanden, der uns sagen kann, wie hoch der Bedarf an Kies in Bayern überhaupt ist"

Auf der anderen Seite ist das Waldgebiet vom Regionalen Planungsverband als sogenanntes Vorranggebiet ausgewiesen. Das bedeutet, dass hier auch Kies abgebaut werden könnte, wenn der Bedarf da ist. Doch Christian Hierneis bezweifelt genau das. "Es gibt niemanden, der uns sagen kann, wie hoch der Bedarf an Kies in Bayern überhaupt ist", sagt der Vorsitzende des Bundes Naturschutz in München. Es gebe bayernweit mehr als eintausendzweihundert Kiesabbauflächen, wann diese wieder verfüllt werden können, sei völlig offen. Doch zumindest im Forst Kasten soll auf der ehemaligen Kiesgrube wieder einmal Wald wachsen. Neben Bedenken zum Umweltschutz - Zehntausende alte Bäume würden gefällt und erst viele Jahre später die Brachfläche mit Jungbäumen aufgeforstet, zudem gilt ein über Jahrhunderte gewachsener Waldboden als ungleich wertvoller als eine wieder aufgeschüttete Fläche - argumentiert Hierneis auch mit einem Passus aus dem Waldgesetz. Demnach dürfte im Bannwald nur gerodet werden, wenn daneben ein ganz neuer Wald gegründet würde.

Trotz der Bedenken hält die Regierung von Oberbayern als Stiftungsaufsicht auch für die Heiliggeistspital-Stiftung daran fest, dass der Münchner Stadtrat von den grundsätzlichen Beschlüssen nicht einfach zurücktreten könne. Zum einen sei die Stiftung bereits mit Probebohrungen, Gutachten und Anwaltskosten in Vorleistung, auch das Neurieder Kiesunternehmen, das eine SZ-Anfrage am Mittwoch nicht beantwortete, mache Ansprüche geltend. Der Bieter hat offenbar gegenüber der Stiftung erklärt, dass er im Fall eines Nichtzuschlags Schadenersatz verlangen werde. Das zuständige Sozialreferat hat deshalb bislang dafür plädiert, dass der Stadtrat nun nach mehrmaligem Vertagen grünes Licht für den Kiesabbau geben soll.

Lässt sich die Abholzung noch absagen?

Doch noch suchen die Stadträte einen Ausweg. Denn im schlimmsten Fall könnte es passieren, dass die Stadträte persönlich für etwaige finanzielle Schäden aufkommen müssten - das könnten mehrere Tausend Euro pro Person sein, heißt es im Stadtrat hinter vorgehaltener Hand. Deshalb sind verschiedene Gutachten in Auftrag gegeben worden, um zu prüfen, wie der Kiesabbau ohne Entschädigungszahlungen verhindert werden könnte.

Ein erstes Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, argumentiert damit, dass es keine Pflicht zur Zuschlagserteilung gebe. Zudem gebe es schwerwiegende Gründe, dass das Vergabeverfahren aufgehoben werden könnte. Im Dezember 2019 rief der Stadtrat den Klimanotstand aus, zudem habe der Freistaat auch die bayerische Klimaschutzoffensive ausgerufen, die den Erhalt der Wälder als Kohlenstoff-Speicher zum Ziel hat. Ein anderes Gutachten, das noch nicht vorliegt, könnte auf die Frage abzielen, ob Kiesabbau überhaupt als Bereich der Forstwirtschaft im Forst Kasten angesehen werden kann.

Eine, die die nächste Abstimmung im Stadtrat zum Kiesabbau Ende April mit Skepsis verfolgt, ist Astrid Pfeiffer aus Planegg. Sie engagiert sich in einem Bündnis von Initiativen zur Rettung des Münchner und Würmtaler Bannwald-Gürtels. Pfeiffer würde sich wünschen, dass die Stadträte rein nach ihrem Gewissen abstimmen könnten und nicht mit dem "Damoklesschwert" einer Schadenersatzforderung. Sie kann sich sogar eine Sammelaktion durch die Zivilgesellschaft vorstellen, um die Summe eines möglichen Schadenersatzes aufzubringen. Aber ob so etwas überhaupt rechtlich möglich ist, sei ungewiss. "Wir hoffen auf Kreativität und maximal guten Willen aller Verantwortlichen, aus dieser Fehlentwicklung rauszukommen", sagt Pfeiffer. Christian Müller ist da skeptisch. "Wir werden noch mal diskutieren, aber es sieht eher schlecht aus", befürchtet der SPD-Fraktionschef im Stadtrat.

© SZ vom 01.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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