Süddeutsche Zeitung

Forschung:Ein Wettbewerb für den Weltraum

Bei "Code4Space" präsentieren Münchner Schülerinnen eigene Erfindungen für Raumfahrer.

Von Jakob Wetzel

"Jetzt wird's ernst", sagt Chiara. Die Zehnjährige besucht die vierte Klasse der privaten Jules-Verne-Grundschule in Perlach, an diesem Donnerstag aber hat sie sich in einem Konferenzraum des Hauptquartiers der Fraunhofer-Gesellschaft aufgebaut, neben ihr ihre Mitschülerinnen Gesa, Jessica und Sofia. Alissa gehöre auch dazu, sagen die Mädchen, die sei aber heute krank. Dann turnen die Kinder vor. Eben haben sie 20 Kniebeugen gemacht, jetzt ist der Yoga-Baum dran. Danach geht Gesa in den Unterarmstütz, und ihre Mitschülerinnen legen ihr einen handtellergroßen Rechner auf den Rücken - er kontrolliert, ob sich das Mädchen auch wirklich gerade hält.

Den Mini-Computer haben die Schülerinnen selbst programmiert: Er biete ein Sportprogramm für Astronauten, sagen sie. Der Rechner ist es auch, weswegen die vier in die Münchner Zentrale der Forschungsgesellschaft gekommen sind. Das Fraunhofer-Institut für intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) in Sankt Augustin bei Bonn hat mit der Stiftung "Erste Deutsche Astronautin" einen Wettbewerb ausgerufen. Grundschülerinnen und Grundschüler ab der dritten Jahrgangsstufe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen mit solchen Rechnern und der online verfügbaren Programmier-Plattform "Open Roberta" Experimente für den Weltraum programmieren.

Der Auftritt der Münchner Schülerinnen ist der Startschuss. Für Lehrer gibt es kostenlose Fortbildungen. Bis September können die Kinder Beiträge einreichen. Im November werden bis zu acht Teams zum Finale nach München geladen. Der Hauptpreis ist dann eine Reise in die Erdumlaufbahn: Die Sieger selber bleiben zwar auf der Erde, ihr Experiment aber soll Mitte 2021 zur Internationalen Raumstation fliegen. Dort werden die Astronauten in der Schwerelosigkeit ausprobieren, was sich die Schüler ausgedacht haben.

Suzanna Randall wäre dann gerne dabei. Die Münchner Astrophysikerin steckt gerade im Training: Sie will die erste deutsche Frau sein, die in den Weltraum fliegt. Im Grundschulwettbewerb gehört sie zur Jury. Und auch wenn an diesem Buben und Mädchen gleichermaßen teilnehmen können, geht es Randall ebenso wie dem Fraunhofer-Institut IAIS auch darum, gezielt mehr Mädchen für die Naturwissenschaften zu begeistern. Sie sei nie eine Überfliegerin in Mathematik gewesen, sagte sie den Schülerinnen: "Als ich das erste Mal programmieren sollte, war es der Horror." Den Viertklässlerinnen hat das Programmieren dagegen offenbar gefallen. Sie hätten sich für die Projekte an nur fünf Nachmittagen getroffen - und rasch verstanden, worum es gehe, sagt Chiara. Jessica will später vielleicht Ingenieurin werden.

Mit dem Roberta-Projekt versucht das Fraunhofer-Institut IAIS seit 2002, Nachwuchs für Informatik zu begeistern. Mittlerweile hätten sie eine halbe Million Schüler erreicht, sagt Stefan Wrobel, der Institutschef. Aber Schüler gebe es viel mehr - und der Frauen-Anteil im Informatik-Studium liege noch immer bei einem Fünftel. Wrobel gehört ebenfalls zur Jury, so wie unter anderem Airbus-Chefingenieurin Grazia Vittadini und Wieland Holfelder, Chef des Münchner Entwicklungszentrums von Google. Sie alle haben das Sportprogramm der Grundschülerinnen gleich ausprobiert. Kniebeugen seien in der Schwerelosigkeit eher einfach, sagte Randall. Aber die Mädchen könnten sich ja Übungen speziell für den Weltraum überlegen.

Doch die Kinder haben bereits weitere Experimente mitgebracht, etwa eine kleine Papp-Rakete, die dank ihres Mini-Computers selbständig das Triebwerk schwenken und so ihren Kurs korrigieren kann. Die Fraunhofer-Gesellschaft sei an seine Schule herangetreten und habe gebeten, erste Beispiele zu erarbeiten, sagt Markus Ratzinger, Leiter der Jules-Verne-Grundschule. Die Wissenschaftler hätten auch einzelne Ideen mitgebracht und Hilfestellung gegeben - das Astronauten-Sportprogramm hätten sich die Kinder aber selber ausgedacht. Am Wettbewerb will die Schule nun mit neuen Projekten teilnehmen und dafür weitere Gruppen bilden, sagt Ratzinger. "Dann haben wir ja auch höhere Chancen."

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SZ vom 06.03.2020/wean
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