Süddeutsche Zeitung

Foodfotografie:Der Moment, in dem aus einem Tier ein Schnitzel wird

Vivi D'Angelo ist Food-Fotografin. Ihre Arbeit bildet aber nicht nur den perfekt angerichteten Teller ab, sondern verfolgt auch die Schritte davor. Dafür besucht sie auch mal einen Schlachthof.

Von Ingrid Hügenell

Morgens um vier stirbt das Schwein. Es wird mit der Elektrozange betäubt, ausgeblutet. Dann kommt es in die Brühmaschine. Vivi D'Angelo, 34, arbeitet als Foodfotografin. In diesem Beruf geht es um perfekte Aufnahmen von perfekten Lebensmitteln. Das Interesse von Vivi D'Angelo gilt aber anderen Dingen. Ihr sind die Augenblicke wichtig, "in denen Welten sich öffnen. Ich will dem speziellen Moment nachspüren, in dem etwas Entscheidendes passiert".

Dem Moment, in dem aus einem lebenden Tier ein Schnitzel wird, zum Beispiel. Und es geht ihr darum, hinter die glänzende Fassade zu schauen. Auf das Leben. Und den Tod. Für ihre Reportagen verbringt sie deshalb schon mal zwei Tage im Schlachthof in Fürstenfeldbruck, einen Morgen in einem Wald bei einer Treibjagd oder einen Monat auf Bali, wo sie die Menschen beim Fischfang fotografiert.

Jeden Arbeitsschritt im Schlachthof Hasenheide in Fürstenfeldbruck hat Vivi D'Angelo im vorigen Jahr festgehalten - die Tiere, die Menschen, das Blut. Als sie die Aufnahmen später am Computer noch einmal durchschaute, ohne das Distanz schaffende Objektiv dazwischen, sei sie richtig erschrocken, sagt sie. 40 der großformatigen Bilder von den Tieren und den Metzgern bei ihrer blutigen Arbeit hat sie im März eine Woche lang im "Container of Modern Art" im Münchner Werksviertel ausgestellt. 25 davon beim Tag der offenen Tür im September im Schlachthof selbst. Der Titel der Fotoreportage: "Morgens um vier stirbt das Schnitzel."

Die Reportage im Schlachthof hat Vivi D'Angelo mitgenommen. Die Schweine, erzählt die Fotografin in ihrem Atelier an der Münchner Belfortstraße, seien manchmal wie Hunde, so neugierig. "Im nächsten Moment muss man sie töten. Das ist heftig." Oder das Rind, das per Bolzenschuss betäubt, danach ausgeblutet wurde und nun neben der Tötungsbox liegt. All das ist auf ihren Fotos zu sehen.

Vom Tier zu einem Lebensmittel wird das Rind nach dem Empfinden der Fotografin auf der Waage. Denn dort fällt der Name weg, die Kuh, der Ochse bekommt eine Nummer. "Das Abschneiden von Kopf und Beinen tut einem noch weh. Je mehr passiert, um so mehr vergisst man das Tier", sagt die Fotografin.

An zwei Schlachttagen hat D'Angelo Aufnahmen im Fürstenfeldbrucker Schlachthof gemacht, einer kleinen Einrichtung, die die Metzger selbst führen. Die Begegnung mit den Männern und den Tieren hat sie tief bewegt. Bei den Metzgern habe sie den selben Respekt vor den Tieren, die gleiche Achtung vor dem Leben gespürt wie später bei den Jägern. "Ihre Arbeit hat etwas Heldenhaftes", sagt D'Angelo. Sie leisteten "eine krasse Arbeit, damit wir Fleisch essen können". Die Männer machten sich viele Gedanken über ihre Arbeit und das Tierwohl, über ethische Fragen. Diese Gedanken sollten sich nicht nur die Metzger machen. D'Angelo ist der Überzeugung, wer Fleisch essen wolle, solle auch wissen, wie das Töten der Tiere vor sich gehe. Als Fotografin habe sie diese Verantwortung zur Information, und als Verbraucherin ebenso.

Fleisch esse sie nur noch selten, sagt D'Angelo. Und wenn, dann kein "absurd billiges" vom Discounter, sondern solches von Tieren, die auf einer Weide gehalten und möglichst schonend geschlachtet wurden - wie etwa die Tiere von den Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn, wo sie immer wieder als Fotografin tätig war und erstmals dabei sein konnte, als ein Schwein geschlachtet wurde.

Ihr zweites Leitmotiv: den Betrachtern die Augen öffnen. Es nerve sie, wenn alle eine feste Meinung über eine Sache hätten, es aber eigentlich ganz anders sei. Auf Bali etwa: "Vorne ist alles nur für die Surfer. Aber dahinter gibt es ein tiefes spirituelles Leben." Dieses spirituelle Leben und viele Rezepte hätten sie und die Köchin und Gastroberaterin Antje de Vries dort "eingesammelt", auf der Suche nach dem authentischen Bali. In knapp einem Jahr wird das Kochbuch beim Südwest Verlag erscheinen. Zusammen mit Victoria Fuchs, die in einem Hotel im Schwarzwald tätig ist, arbeitet D'Angelo an einem Kochbuch, in dem es um ein Crossover von badischer Wild- und asiatischer Küche geht. Es erschient ebenfalls im kommenden Jahr beim Südwest Verlag. Dafür war sie im Oktober bei der Treibjagd im Schwarzwald dabei.

Bei den Fotoreportagen geht Vivi D'Angelo oft an ihre Grenzen. "Es gibt Momente, wo ich mir denke, warum mache ich das?" Doch wenn man seine Komfortzone verlasse, wachse man. "Was mich emotional schützt, ist, dass ich glaube, ich habe eine Mission. Da sind meine Gefühle nicht so wichtig."

Ihre beeindruckenden, ja künstlerischen Bilder finden international Anerkennung: Dieses Jahr hat Vivi D'Angelo beim internationalen "Foodphoto Festival" in Vejle in Dänemark den Foodfeature-Award gewonnen, für ihre Reportage aus Bali. Die Kochbücher mit ihren Bildern erscheinen bei Gräfe und Unzer oder Dorling Kindersley, ihre Fotos bei Magazinen wie Effilee oder Feinschmecker. Hier versuche sie dahin zu kommen, dass bei den Zubereitungsschritten nicht immer nur perfekt manikürte Frauenhände zu sehen seien, sondern echte Arbeitshände von echten Köchen. Das den Bildredakteuren nahezubringen, sei aber nicht einfach.

Vivi D'Angelo hatte nach der Schule zunächst eine andere Vorstellung von ihrem Leben, die Fotografie spielte damals noch keine Rolle. Eigentlich war ihr Plan, im Museum zu arbeiten, Kultur zu vermitteln - etwas, was sie jetzt tatsächlich auf ihre Weise tut. Vivi D'Angelo hat eine deutsche Mutter und einen italienischen Vater. Bis sie zwölf war, wuchs sie in Pisa auf. Dann kam sie auf ein deutsches Internat. Sie studierte im Tessin Journalismus und machte ihren Master in einem Fach, das übersetzt "Kulturwissenschaften für Kulturerbe" heißt. "Ich habe damals keinen Gedanken an Fotografie verschwendet", sagt sie. Wenn sie doch einmal daran dachte, dann an schreckliche Familienfotos, sagt sie und lacht.

Während des Studiums machte sie ein Praktikum im Höhlenmuseum im spanischen Granada, das sich zu einem zweijährigen Aufenthalt ausweitete. In dieser Zeit war sie erstmals auf dem Food-Fotografie-Festival, auf dem sie nun ausgezeichnet wurde. Damals, vor acht Jahren, fand es in Tarrgona statt. "Das fand ich toll." Die "Fotografie mit Essenbezug" habe sich ihr in den Kopf gesetzt. Sie kam nach München, arbeitete im Catering, machte ein weiteres Praktikum bei einer Agentur. Parallel buk sie Kuchen für einen Stand auf dem Elisabethmarkt - und fotografierte Essen. Immer wieder besuchte sie Fotokurse, das meiste eignete sie sich autodidaktisch an. "Mittlerweile weiß ich, dass ich gute Arbeit mache", sagt sie fast entschuldigend. Weil genug Menschen das so sehen, kann sie als Selbständige von ihrer Arbeit leben. Und mit der Kamera die entscheidenden Momente aufspüren.

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SZ vom 26.11.2019/syn
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