Förderschulen in München:"Die Kinder merken, dass sie anders sind und dass sie herumgereicht werden"

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Ein Großteil der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf besucht in Bayern noch immer eine Förderschule. Dass diese Schulen gut ausgestattet sind, sei für Familien sehr wichtig, sagen Münchner Elternvertreterinnen (Symbolbild). (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

In Zeiten des Lehrermangels leidet die Qualität an den Förderschulen - und damit die Versorgung der Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Viele Eltern sind besorgt.

Von Kathrin Aldenhoff

Es war schwierig, überhaupt eine Schule für ihr Kind mit Sprachentwicklungsstörung zu finden, erzählt Kati Braig. "Jeder kann einem sagen, warum das Kind an dieser Schule nicht richtig ist. Aber niemand kann einem helfen, die richtige Schule zu finden." Schließlich wurde es ein Förderzentrum im Münchner Westen - eine Schule, spezialisiert auf Kinder, die beim Lernen, in der Sprache und in der emotional-sozialen Entwicklung eine besondere Förderung brauchen.

Ihr Sohn bekommt diese Unterstützung nun seit drei Jahren - doch Kati Braig und ihre vier Kolleginnen aus dem Gesamtelternbeirat der Münchner Förderschulen sorgen sich immer mehr um die Qualität dieses besonderen Unterrichts. Insgesamt gibt es in München 31 Förderschulen, staatliche und private, für gehörlose Kinder, für solche mit Verhaltensauffälligkeiten oder geistiger Behinderung. Mehr als 6700 Kinder besuchen eine Förderschule in München.

An vielen dieser Schulen wird die Situation immer schwieriger, die Schulleitungen stehen unter Druck. An einigen sonderpädagogischen Förderzentren, von denen es elf in München gibt, mussten im November Klassen umgebaut und vergrößert werden. Rechnerisch mindestens 12,5 Schüler pro Klasse, so lautete die Vorgabe der Regierung von Oberbayern.

Jürgen Dobias leitet seit 33 Jahren die Professor-Otto-Speck-Schule, ein Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung. Ein Drittel der Kinder sei an seiner Schule, weil sie sich nicht an gesellschaftliche Regeln hielten, die anderen, weil sie eine Diagnose vom Kinder- und Jugendpsychiater hätten. Dobias erzählt, dass sie bisher gut mit Personal ausgestattet gewesen seien. Die Klassen wurden nicht vergrößert - noch nicht. "Ich gehe aber bei dem aktuellen Lehrermangel davon aus, dass das ein Thema wird."

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Den Förderschulen fehle seit fünf Jahren der Nachwuchs, sagt der Schulleiter. Dafür unterrichteten mehr und mehr Quereinsteiger und Studenten in höheren Semestern. "Viele von ihnen machen ihre Sache gut", sagt Dobias. "Aber es macht einen Unterschied, ob ein top ausgebildeter Vollprofi in einer Klasse steht oder ein Student. Wir haben belastete Schüler, die sind sehr herausfordernd." Im Moment sitzen acht, neun Kinder in einer Klasse. "Wären es mehr, könnten wir bei dem, was unsere Schüler mitbringen, nicht mehr unterrichten. Damit wäre zwar der Lehrerbedarf reduziert, aber der Förderauftrag ist dann nicht mehr erfüllbar."

Es fehlen die Lehrer, auch an den Förderschulen. Als im Herbst und Winter noch dazu viele krank waren, hatte das an den Schulen gravierende Folgen. Vertretungen mussten einspringen, Klassen wurden geteilt und die Kinder zu anderen dazugesetzt, oder der Unterricht fiel aus. Das war besonders problematisch für diese Kinder, die im Alltag noch mehr als andere Schülerinnen und Schüler Routinen und feste Bezugspersonen brauchen.

Schon jetzt sei es so, sagt Elternvertreterin Linda Baur, dass Lehrkräfte an Förderschulen mit einem hohen persönlichen Einsatz vieles kompensierten. "Aber das sollte nicht so sein." Und Wanda Jakob, ihre Kollegin aus dem Gesamtelternbeirat, warnt: "Die Situation an den Förderschulen darf sich nicht verschlechtern. Es muss möglich sein, dass Kinder mit besonderem Förderbedarf dort betreut und beschult werden. Kleine Klassen sind wichtig für unsere Kinder."

Sie setzen sich dafür ein, dass die Qualität an den Förderschulen gut bleibt - trotz des Lehrermangels: Bettina Casti-Serrau, Wanda Jakob, Linda Baur, Bettina Solms und Kati Braig (von links) vom Gesamtelternbeirat der Münchner Förderschulen. (Foto: Florian Peljak)

Die Elternvertreterinnen wollen nicht, dass die Qualität der Förderschulen leidet, jetzt, wo überall die Lehrer fehlen. Die Lehrkräfte an den Schulen sollen gute Bedingungen haben, so dass sie eine gute Arbeit machen können. Denn die Förderschulen und ihre Angebote sind wichtig für die Eltern - weil es kaum andere Orte für ihre Kinder gebe, sagen sie. "Wir können unsere Kinder nicht einfach zum Sport oder in die Musikschule bringen. Wenn wir die Förderschulen nicht hätten, hätten wir nichts", sagt Bettina Casti-Serrau.

Die Eltern kritisieren, es fehle ein Gesamtkonzept. Es sei schwierig, überhaupt eine Schule für Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu finden, und dann komme noch die Suche nach einem Platz in der Nachmittagsbetreuung dazu. Viele Kinder besuchen einen Hort oder eine Heilpädagogische Tagesstätte in einem anderen Stadtviertel, weit von Schule oder Wohnort entfernt. Das erschwere es den Kindern, Freundschaften zu schließen.

"Die Kinder merken, dass sie anders sind und dass sie herumgereicht werden", sagt Kati Braig. "Es geht nie ums Kind, sondern immer nur ums Geld." Es sei ein ständiger Kampf, sagt Linda Baur; von einem Dschungel spricht Bettina-Casti-Serrau, es sei oft unklar, welches Amt was bezahle. "Wir Eltern von besonderen Kindern sind Bittsteller."

"Förderschulen bieten unseren Kindern Chancen"

Inklusion ist Aufgabe aller Schulen, das steht so auch im Bayerischen Schulgesetz. Zumindest in der Theorie muss kein Kind mit Beeinträchtigung eine Förderschule besuchen. Die Mütter aus dem Gesamtelternbeirat sind dennoch froh, dass es diese Schulen gibt. "So wünschenswert Inklusion ist, ist sie nicht für alle Kinder geeignet, um sie entsprechend zu fördern", sagt Bettina Solms. "Förderschulen bieten unseren Kindern Chancen und sind ein wichtiger Bestandteil in unserer Bildungslandschaft."

Es sei wichtig, in diesen Typ Schule zu investieren, sagt Schulleiter Jürgen Dobias. Denn die Förderschulen hätten eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: "Unsere Lehrkräfte befähigen diese Kinder, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren."

Mehr Inklusion, mehr gemeinsames Lernen und gemeinsames Aufwachsen aller Kinder - das wäre schon ein Wunsch der Elternvertreterinnen. Im Moment aber sehen sie dafür an den regulären Schulen keine Chance: zu große Klassen, zu wenig Lehrer, zu viele Kinder, die Unterstützung brauchen. "So, wie die Rahmenbedingungen an Regelschulen sind, wäre es für meinen Sohn unmöglich, inklusiv beschult zu werden", sagt Bettina Casti-Serrau. Linda Baur sagt, das Förderzentrum sei die richtige Schule für ihren Sohn. Aber er würde so gerne mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft zur Schule radeln.

Der Sohn von Kati Braig hat einen ersten Schritt in diese Richtung geschafft. Der Neunjährige besucht vier Wochen lang den Probeunterricht an der Grundschule seines jüngeren Bruders. Er sei so stolz, dass er nach drei Jahren kein Förderschulkind mehr sei, erzählt Kati Braig. Sie freut sich mit ihm. Sie hofft, dass es klappt - und denkt doch darüber nach, wie sie es ihm erklären könnte, falls er doch nicht an der Schule bleiben kann.

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