Protestaktion von Verdi in München:Ein Warnstreik, wie es ihn am Flughafen noch nicht gegeben hat

Protestaktion von Verdi in München: Annulliert: Wegen des Streiks wurden 700 Starts und Landungen mit 90 000 Passagieren abgesagt.

Annulliert: Wegen des Streiks wurden 700 Starts und Landungen mit 90 000 Passagieren abgesagt.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Erstmals in seiner Geschichte stellt der Münchner Airport den Betrieb ein, 700 Maschinen bleiben am Boden. Trotz Ankündigung der Gewerkschaft Verdi stranden Passagiere - die zeigen mal mehr, mal weniger Verständnis.

Von Andreas Schubert

Schon am Morgen empfängt einen im Zentralbereich des Münchner Flughafens ein ohrenbetäubender Lärm. Etwa 600 Mitarbeiter des Flughafens haben sich zum Streik versammelt, viele sind standesgemäß mit Trillerpfeifen ausgestattet, mit denen sie ein Pfeifkonzert veranstalten, wie es der Flughafen wohl selten erlebt haben dürfte.

Die beiden Terminals im Erdinger Moos sind dagegen fast verwaist. Die Check-in-Schalter sind dicht, auch die meisten Cafés, die meisten Läden dagegen sind offen. Und das, obwohl die Streikenden den Flugbetrieb erstmals in der Geschichte des Airports komplett lahmgelegt haben. Aber die Kundschaft, sei es im Zeitschriftenkiosk oder in der Apotheke, fehlt.

Schon vor dem Streik, zu dem die Gewerkschaft Verdi aufruft, hat der Flughafen vorsorglich den Flugbetrieb eingestellt. Und obwohl das schon zwei Tage vorher feststand, haben sich dennoch ein paar Reisende hierher verirrt. Sie stehen oder sitzen ratlos mit ihren Koffern herum.

Da sind die beiden Geschäftsreisenden aus Lissabon, die von der Lufthansa zwar über die stornierten Flüge informiert wurden, auf gut Glück trotzdem zum Flughafen gekommen sind. Jetzt, erzählen sie auf Englisch, warten sie auf Infos ihrer Firma in Portugal, was sie nun machen sollen, ob sie in einem Hotel einchecken sollen oder am Airport warten. Da ist die dreiköpfige Familie, die in den Urlaub fliegen wollte, nun aber mit einem Shuttle nach Nürnberg gefahren wird, von wo es dann weiter in den Süden geht.

Immer wieder tauchen Menschen am Infoschalter auf

Und da ist Leonidas Pavlakis aus Athen, der an diesem Freitag eigentlich einen Freund am Flughafen abholen wollte. Er wisse nun nicht, wann der Freund kommt, erzählt er. Zur Not werde er aber auch über Nacht im Terminal warten. Er habe aber Verständnis für den Streik. "Die Leute sollen ihr Geld bekommen", sagt Pavlakis. "Bei uns in Griechenland wird auch dauernd gestreikt."

Andere der wenigen verhinderten Fluggäste äußern weniger Verständnis. Viele haben zwar vom Streik gelesen oder gehört. Dass überhaupt nicht geflogen wird, daran haben sie aber nicht geglaubt. Auch am Informationsschalter im Terminal 2 tauchen immer wieder Menschen auf, berichten die beiden Mitarbeiter dort. Viele davon hätten die Vorabinformationen ihrer Airline einfach nicht richtig gelesen.

Nicht einmal Thomas Kruppa hätte gedacht, dass der Passagierverkehr vollständig zum Erliegen kommt. Er arbeitet seit mehr als 30 Jahren am Flughafen, angefangen hat er seinerzeit noch in Riem. Heute ist er Mitglied in der Verdi-Bundestarifkommission und schwärmt vom beeindruckendsten Streik, den er je erlebt habe. "Wir sind eigentlich von einem Flugbetrieb ausgegangen", sagt Kruppa. Doch nun sind alle 700 Flüge abgesagt, rund 90 000 Passagiere sind davon betroffen. Nur die etwa 50 privaten Flüge zur Sicherheitskonferenz können landen, Flüge mit Hilfsgütern in die Türkei und nach Syrien finden ebenfalls statt. Einen Notbetrieb hat die Gewerkschaft Verdi mit der Flughafengesellschaft ausgehandelt.

Protestaktion von Verdi in München: 600 Beschäftigte haben sich mit Fahnen und Trillerpfeifen versammelt.

600 Beschäftigte haben sich mit Fahnen und Trillerpfeifen versammelt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Verdi geht mit dem Warnstreik, an dem sich auch die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen beteiligt, von Beginn an auf Konfrontation. Sie fordert für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen eine Anhebung der Einkommen um 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantengehälter sollen um 200 Euro monatlich angehoben werden. Die zweite Verhandlungsrunde findet am 22. und 23. Februar in Potsdam statt.

Kruppa hält die Forderungen nicht für überzogen. "Die Kollegen brauchen das", sagt er. Wegen der geringen Bezahlung finde sich vor allem in der Abfertigung kein Personal. "Es fehlen 400 Mitarbeiter", sagt der Betriebsrat. Und selbst, wenn der Flughafen nun auf einmal neue Leute einstellen würde, dauere es eine Zeit, bis diese eingearbeitet seien. "Das nächste Kofferchaos ist vorprogrammiert." Der Flughafen investiere bis 2030 4,2 Milliarden Euro in Neubauten und Sanierungen. "Und da soll kein Geld für die Mitarbeiter da sein?"

"Ohne Menschen ist nix mit Luftverkehr."

Auch Ralf Krüger, Betriebsrats- und Gewerkschaftskollege von Kruppa sieht den Flugbetrieb im Sommer gefährdet und verweist darauf, dass die Lufthansa für den Sommer 34 000 Flüge streichen will - wegen Personalmangels. "Ohne Menschen ist nix mit Luftverkehr", sagt Krüger.

So erinnert der Flughafen an diesem Freitag an die Corona-Zeit, in der die Abflugs- und Ankunftsdisplays leer waren. Diesmal stehen durchaus viele Flüge auf den Tafeln, dahinter das Wörtchen "annulliert".

Protestaktion von Verdi in München: Christine Behle vom Verdi-Bundesvorstand sagt: "Man muss doch niemandem erzählen, wie beschissen die Arbeitssituation an den Flughäfen ist."

Christine Behle vom Verdi-Bundesvorstand sagt: "Man muss doch niemandem erzählen, wie beschissen die Arbeitssituation an den Flughäfen ist."

(Foto: Marco Einfeldt)

Beim Demozug durch das Terminal 1 lassen es sich viele Teilnehmer in ihren gelben Westen nicht nehmen, die Tafeln zu fotografieren. Die Stimmung ist beinahe ausgelassen, eine Polizistin steht mit einem Gewehr bewaffnet am Rand und sagt, so eine fröhliche Demo habe sie auch noch nicht gesehen.

Freilich geht es den Demonstranten nicht um den Spaß zu Beginn der Faschingsferien. "Man muss doch niemandem erzählen, wie beschissen die Arbeitssituation an den Flughäfen ist", sagt Christine Behle vom Verdi-Bundesvorstand, die bei der Kundgebung als Rednerin auftritt. Sie kritisiert, dass die Streiks in München, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart, Dortmund, Hannover und Bremen vorab als unverhältnismäßig bezeichnet wurden, unter anderem auch vom Münchner Flughafenchef Jost Lammers. Doch das, was heute hier geschehe, so Behle, "das ist Notwehr".

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