Süddeutsche Zeitung

Fluggastrechte:"Am Ende des Tages übernimmt keiner Verantwortung"

Wer entschädigt die Passagiere, die wegen der Flughafen-Sperrungen gestrandet sind? Meist niemand. Auch Flughafen und Airlines bleiben auf gewaltigen Kosten sitzen.

Von Kassian Stroh

Zwei Wochen wollte Georg Albrecht mit seiner Frau durch Irland reisen, es wurden dann zwei Tage weniger. Albrecht geriet am 28. Juli 2018 in das Chaos der Flughafen-Sperrung. Erst zwei Tage später kam er nach Dublin, die Koffer sogar erst zwölf Tage später. "Das war schon nervig", sagt er, jeden Tag bei der Lufthansa-Hotline anzurufen, jeden Tag zu erfahren, man wisse nicht, wo die Koffer seien. Einen Groll gegen die Airline hegt der 55-Jährige aus Seefeld am Pilsensee trotzdem nicht, "die haben sich schon bemüht". Und das, was er in Irland für neue Kleider, Schuhe und dergleichen ausgegeben habe, auch anstandslos bezahlt. Um eine Entschädigung, wie sie Passagieren bei Verspätungen oder Flugausfällen zusteht, habe er sich nicht bemüht. "Ich war dann auch echt zu fertig wegen der Gepäckgeschichte."

Er hätte vermutlich auch nichts bekommen. Denn Entschädigungen nach der EU-Fluggastrechteverordnung, die 250 bis 600 Euro betragen, müssen Fluggesellschaften nicht zahlen, wenn "außergewöhnliche Umstände" vorliegen - etwa Fluglotsen-Streiks oder Gewitter. Und darauf beruft sich die Lufthansa auch im Fall der Sperrungen vom Juli 2018 und vom August 2019, die sie als Hauptnutzerin des Terminals 2 am meisten trafen. Schließlich sei sie für die Sperrungen durch die Bundespolizei nicht verantwortlich. Wohl zahle man die Kosten für Verpflegung oder Unterbringung gestrandeter Passagiere, nicht aber eine Entschädigung. Einige Passagiere haben nach diesen beiden Vorfällen gleichwohl versucht, Geld von ihrer Airline zu bekommen. Etwa 80 Verfahren waren oder sind noch am Amtsgericht Erding anhängig, wo die meisten Fluggastverfahren landen. Statistisch werde das nicht erfasst, die meisten dürften aber erfolglos geblieben sein, sagt ein Sprecher. In mindestens einem Fall ist das auch bereits von einer höheren Instanz bestätigt worden: Das Landgericht Landshut beschied vier Münchnern, die im Juli 2018 einen halben Tag später als geplant in Ankara ankamen, dass sie keine Ansprüche gegenüber der Lufthansa hätten.

Die bleibt auf ihrem Schaden freilich ebenfalls sitzen, wie auch der Flughafen. Beide sprachen jeweils von Millionenkosten in Folge der Sperrungen, haben aber nach eigenen Angaben nicht zivilrechtlich versucht, Schadenersatz zu bekommen. Mangels Erfolgsaussichten, wie es beim Flughafen heißt. Weil es sich bei der Frau, die unkontrolliert durch die Fluggastkontrolle schlüpfte, und bei dem Studenten, der einen Notausgang nutzte, um Privatpersonen handele, die man nicht mit den Kosten belasten wolle, sagt eine Lufthansa-Sprecherin. Zudem hätten die beiden ja nicht absichtlich gehandelt.

Ihr Tun hatte für die beiden im Übrigen auch strafrechtlich kaum Konsequenzen. Die Frau habe sich keiner Straftat schuldig gemacht, daher habe man keine Anzeige gegen sie erstattet, sagt ein Sprecher der Bundespolizei. Gegen den Studenten ermittelte zwar die Staatsanwaltschaft Landshut wegen des Missbrauchs von Notrufen (da die Tür alarmgesichert war). Das Verfahren stellte sie aber im Oktober ein - das kann sie, wie ein Sprecher sagt, wenn die Schuld "nicht so erheblich ist, dass eine Strafverfolgung im Ausland angezeigt wäre" - der Student lebt in Spanien.

Auch das Verkehrsministerium, in dessen Auftrag die Kontrolleure arbeiten, die die Frau passieren ließen, sieht nicht, dass es Betroffene deshalb entschädigen müsse. Gut eine Handvoll entsprechende Amtshaftungsverfahren laufen derzeit noch; in zwei Fällen aber wiesen laut Luftamt Südbayern die Landgerichte von München und Landshut entsprechende Forderungen gegen den Freistaat zurück.

"Am Ende des Tages übernimmt keiner Verantwortung", klagt Jonathan Jantsch aus Regensburg, der mit seiner Familie am 28. Juli 2018 nach Helsinki fliegen wollte, dort aber erst zwei Tage später und ohne Gepäck ankam. Er hat von der Lufthansa eine Entschädigung bekommen - aber erst mit Hilfe eines Anwalts und nicht weil sein ursprünglicher Flug ausfiel, sondern auch der zweite, auf den er umgebucht worden war. Was Jantsch ärgert: Die Gesetzeslage sei so, dass jede Stelle die Verantwortung an eine andere weiterreichen könne - "der Kunde wird abgespeist".

Gravierende Folgen hatte die Sicherheitspanne vom Juli 2018 aber für die Kontrolleure der staatlichen Firma SGM, die die Frau passieren ließen. Drei wurden direkt danach vom Dienst freigestellt. Nach Angaben der Firma wurde ein Mann nachgeschult, er ist inzwischen wieder im Einsatz. Zwei Frauen aber seien nicht mehr im Unternehmen. Mit ihnen habe man sich im Zuge einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung "geeinigt".

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SZ vom 21.12.2019/kast
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