Flüchtlinge in München:Sozialreferat gerät wegen wanzenverseuchter Unterkunft unter Druck

Flüchtlinge in München: Die Flüchtlingsunterkunft in der Hofmannstraße steht schon lange in der Kritik.

Die Flüchtlingsunterkunft in der Hofmannstraße steht schon lange in der Kritik.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Gemeinschaftsunterkunft an der Hofmannstraße steht in der Kritik, seit die Süddeutsche Zeitung über den Bettwanzenbefall berichtet hat.
  • Sozialreferentin Dorothee Schiwy hält die "Verhältnisse vor Ort dennoch für zumutbar".
  • Wohlfahrtsverbände sorgen sich um soziale Standards. Zu wenig Unterkunftsplätze dürften nicht dazu führen, dass Kinder und Jugendliche unter der Belastung leiden.

Von Thomas Anlauf

Das Sozialreferat unter der Leitung von Dorothee Schiwy gerät wegen einer wanzenverseuchten Münchner Flüchtlingsunterkunft zunehmend unter Druck. Am Montag attestierten Notärzte der Kinderklinik der Universität, dass ein einjähriges und ein zweijähriges Kind einer nigerianischen Familie eine "toxische Wirkung durch Kontakt mit giftigen Tieren" erlitten hätten. Die Eltern der Kinder sagten, dass es sich bei dem Stich nicht um Bettwanzen, sondern um den Befall anderer Insekten handeln müsse. Nun fordert der Rechtsanwalt der anerkannten Flüchtlingsfamilie von Schiwy, "sich unverzüglich der Angelegenheit anzunehmen und für eine Unterbringung meiner Mandanten zu sorgen, die nicht deren Gesundheit verletzt beziehungsweise weiter gefährdet".

Die sogenannte dezentrale Gemeinschaftsunterkunft der Stadt steht seit zehn Tagen in der Kritik, nachdem die Süddeutsche Zeitung über den massiven Befall von Bettwanzen in dem Flüchtlingsheim berichtet hatte. Dort leben nach Angaben des Sozialreferats knapp dreihundert Geflüchtete. Viele von ihnen könnten eigentlich ausziehen, weil ihr Asylantrag anerkannt wurde. So wie bei der fünfköpfigen Familie aus Nigeria. "Sie suchen verzweifelt eine Wohnung, aber sie finden nichts", sagt ihr Anwalt Franz Bethäuser. Eine weitere vierköpfige Familie aus Ostafrika ist ebenfalls betroffen. Sie hat sogar seit dreieinhalb Jahren eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Doch auch sie muss in der Unterkunft bleiben und mit den Bettwanzen leben.

Das Sozialreferat weiß von dem Problem in der Unterkunft seit mehr als zwei Jahren. Erstmals wurde das Amt am 17. August 2017 von einem Bettwanzenbefall informiert, es sei "unverzüglich" ein Schädlingsbekämpfer beauftragt worden. Trotzdem war das Problem nicht in den Griff zu bekommen - bis heute. Derzeit seien 55 Zimmer von Ungeziefer befallen, 33 Räume, in denen jeweils eine Familie wohnt, seien derzeit in Behandlung, heißt es in einer Beschlussvorlage des Sozialreferats. Erst ein Jahr nach dem Auftreten der Bettwanzen gab es eine erste Informationsveranstaltung für Mitarbeiter des Sozialreferats und der dortigen Asylsozialbetreuung der Arbeiterwohlfahrt (Awo) zu Befall, Ausbreitung, Vermeidung und Bekämpfung von Bettwanzen. Es dauerte fast ein weiteres Jahr, bis im Juli 2019 ein Aktionsplan aufgestellt und dem für Schädlinge zuständigen Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) zugeschickt wurde.

Die wichtigste Maßnahme: Die von Bettwanzen betroffenen Bewohner sollen wenn möglich ein neues Zimmer in der Unterkunft bekommen, wenn der beauftragte Schädlingsbekämpfer alle zwei Wochen vorbeischaut. Allerdings sollen sie dann möglichst im fünften Stock untergebracht werden, der laut Sozialreferat "als Notfallreserve deklariert" wird. Wohlgemerkt: Dort müssen nun zwischenzeitlich auch Menschen untergebracht werden mit kleinen Kindern, die seit Jahren anerkannt sind und keinen Flüchtlingsstatus mehr haben. Das gesamte Gebäude, das eigentlich ein Bürokomplex ist, sollte ursprünglich "nach Abflauen des starken Zuzugs 2015/2016 zumindest den Mindeststandards" gerecht werden. Das Haus sollte allerdings bereits vor zwei Jahren geschlossen werden, das sei aber "aufgrund fehlender Bettplatzkapazitäten" in alternativen Unterkünften nicht möglich. Nun soll die verwanzte Unterkunft, die endgültig im kommenden Februar aufgegeben werden sollte, noch ein Jahr länger weiterbetrieben werden. Im November soll dazu der Stadtrat einen Beschluss fassen.

Sozialreferentin Dorothee Schiwy verweist einerseits darauf, dass nicht damit zu rechnen ist, die Unterkunft jemals von Wanzen befreien zu können, hält die "Verhältnisse vor Ort dennoch für zumutbar", wie es in der Beschlussvorlage heißt. Schließlich gebe es auch in Hotels und Berghütten "immer wieder" Bettwanzen. Der Unterschied: Der Deutsche Alpenverein und seine Pächter schließen dann sogar monatelang ganze Hütten wie vor zwei Jahren das Pürschlinghaus; die Menschen in der Unterkunft an der Hofmannstraße müssen hingegen mit dem Ungeziefer leben, mittlerweile seit Jahren.

Die Sprecherin der Münchner Wohlfahrtsverbände Andrea Betz räumt ein, dass es Wanzen "ab und an auch in anderen Einrichtungen gibt. Dort ist das Problem aber meist relativ schnell wieder im Griff." In der Hofmannstraße scheinen nach Ansicht der Flüchtlingsexpertin die baulichen Verhältnisse jedoch so widrig zu sein, "dass die Wanzen zu einer unbesiegbaren Plage wurden". Das Argument, dass es zu wenig Unterkunftsplätze und Wohnraum in München gebe, dürfe nicht dazu führen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche unter der Belastung leiden. "Wir senken unsere sozialen Standards, die es im Münchner Unterbringungssystem gibt, wenn wir das weiter zulassen."

Das Sozialreferat teilt unterdessen mit, dass es im Fall der von Stichen gequälten Familie "keinerlei Hinweise auf eine Belastung des Zimmers durch Ungeziefer oder Insekten" ergeben habe. Man habe der betroffenen Familie dennoch einen Zimmertausch angeboten - innerhalb des verwanzten Bürogebäudes.

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