Neue Unterkunft für Geflüchtete:„Dann steinigen uns die Leute hier“

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Tausende Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen mussten, brauchen in München eine Unterkunft. (Foto: Catherina Hess)

In Allach gibt es Proteste gegen eine geplante Unterkunft für Geflüchtete. Die Lokalpolitiker haben das Projekt bisher unterstützt, doch nun fühlen sie sich „hintergangen“.

Von Ellen Draxel

Die Stadt München steht nach wie vor unter wachsendem Druck, geflüchteten Menschen – insbesondere aus der Ukraine – ein Dach über dem Kopf zu bieten. Nach einem Rückgang der Zahlen im August sind nun wieder mehr Hilfe suchende Ukrainerinnen und Ukrainer angekommen, zuletzt etwa 40 pro Tag. Die gut 600 Betten in der Erstanlaufstelle Ukraine sind aktuell zu 80 Prozent belegt. Nicht von ungefähr bemüht sich die Stadt darum, Hilfesuchende verstärkt in den umliegenden Landkreisen unterzubringen, um Kapazitäten für die demnächst wegfallenden Hallen auf dem Messegelände zu gewinnen. Wenn dann eine fest eingeplante Unterkunft auf Widerstand stößt, macht das die Aufgabe für die städtischen Verantwortlichen nicht leichter.

In Allach ist genau das jetzt geschehen. Die ansässigen Politiker haben sich – ungeachtet ihrer früheren Unterstützung für das Projekt – deutlich gegen eine neue Unterkunft gestellt. Dem Bezirksausschuss lag ein Bauantrag zur „Errichtung einer temporären Gemeinschaftsunterkunft für 298 Geflüchtete bis zum 31.12.2034, danach in stets widerruflicher Weise“ vor – ein Projekt, über das im städtischen Planungsreferat laut Sprecher Thorsten Vogel noch nicht entschieden ist. Das Gebäude an der Stummerstraße mit einer Länge von fast 44 Metern ist dem Gremium – gemessen an der Nachbarbebauung – nicht nur zu groß und zudem in einer Grünfläche geplant. Die Stadtviertelvertreter befürchten aufgrund der Formulierung im Bauantrag auch, dass der Komplex womöglich nicht nach zehn Jahren wieder abgebaut wird. „Wenn die Baugenehmigung für das Vorhaben in dieser Form erteilt wird, muss sie strikt bis 2034 befristet sein und dann enden“, heißt es im Votum.

Die Stadt, erklärt Maren Kowitz, Sprecherin von Kommunalreferentin Jacqueline Charlier auf Anfrage, halte nach Rücksprache mit dem Sozialreferat an der Befristung fest. Auch die Finanzierungsdauer mit der Regierung von Oberbayern sei auf zehn Jahre ausgelegt. „Sollte es eine Verlängerung der Nutzung an diesem Standort geben, müsste das der Stadtrat in einem neuen Standortbeschluss entscheiden“, so Kowitz. Doch wird der Stadtrat diese zumindest auf dem Papier existierende Verlängerungsoption nutzen? Ist die Aufregung im Viertel also nur ein Missverständnis?

In Allach jedenfalls ist man irritiert. „Wenn wir das durchwinken, dann steinigen uns die Leute hier“, meinte Lokalpolitiker Fritz Schneller (SPD) bei der Debatte. Denn die Kritik an der geplanten Unterkunft war von Anfang an groß, es bildete sich sogar eine Bürgerinitiative. Die Stadtteilvertreter aber hatten das Projekt stets unterstützt – nicht zuletzt, weil es als temporäre Lösung versprochen war. Nun fühlen sie sich „hintergangen“, vermuten eine „Salami-Taktik“. Wirklich stoppen kann der aktuelle Einspruch aus dem Viertel das Vorhaben nicht, denn entschieden wird im Rathaus am Marienplatz. Und dort ist der Druck groß. Die Ankündigung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), München solle eine weitere Anker-Dependance für Geflüchtete bekommen, dürfte in der Stadtspitze und der Stadtverwaltung weitere Unruhe auslösen.

Neben den vielen Hilfe suchenden Menschen, die direkt nach München kommen, gibt es auch noch die Zuweisungen der Regierung, derzeit monatlich circa 200 Menschen aus der Ukraine und etwa 100 Asylsuchende aus anderen Ländern. Damit bleibt nach den Statistiken des Sozialreferats die Unterkunftslage in München angespannt, auch wenn erst kürzlich, wie in Freiham, neue Einrichtungen eröffnet werden konnten. So wurde laut Sozialreferat ein neuer Modulbau an der Hans-Dietrich-Genscher-Straße inzwischen in Betrieb genommen, aktuell wird er belegt. Seit Anfang September stehen nach einer Ausschreibung 300 weitere Hotelbetten zur Verfügung. Noch im September werden an das Sozialreferat ein weiterer Modulbau an der Centa-Hafenbrädl-Straße mit 400 Bettplätzen und das umgebaute Gewerbegebäude an der Ridlerstraße mit 260 Bettplätzen übergeben. Die Unterkunft an der Centa-Hafenbrädl-Straße soll bereits von Ende September an belegt werden, denn dann werden die Leichtbauhallen am Messegelände geschlossen.

„Wir akquirieren permanent Unterkünfte“, betont Frank Boos, Sprecher im Sozialreferat. Ein Szenario, dass alle Unterkünfte entfristet werden sollen, gebe es trotz des Drucks nicht. Anfang September lebten im Stadtgebiet 11 701 Asyl suchende Geflüchtete, davon 3788 in einer städtischen Unterkunft, 7913 in einem Heim der Regierung von Oberbayern oder in anderen Objekten. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind in München etwa 82 000 Menschen angekommen.

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