Diskriminierung von Sinti und Roma:Übersehen und ausgegrenzt

Die Folgen des Ukrainekriegs machen deutlich: München hat ein Problem mit Antiziganismus. Das Rathaus muss dringend mehr tun gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma.

Ein Kommentar von Bernd Kastner

Zum Beispiel Hugo Höllenreiner. Er hat Auschwitz überlebt, Mauthausen und Bergen-Belsen. Als der neunjährige Hugo seinen Vater fragte, warum sie in Konzentrationslager eingesperrt sind, sagte dieser: "Weil wir Sinti sind." Nach dem Krieg hat sich Hugo Höllenreiner gegen Rassismus und für das Miteinander engagiert. Er hat Schulen besucht, um jungen Menschen zu erklären, wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit zu lernen. Nie wieder!

Hugo Höllenreiner stammt aus Giesing, 2015 ist er gestorben. Er hat sich verdient gemacht, um die ganze Gesellschaft. Zugleich wird er, jeden Monat ein wenig mehr, zum Symbol dafür, dass Sinti und Roma gerne übersehen werden. Von der Gesellschaft, und auch von der Politik, vom Stadtrat. Seit Jahren wartet die Community der Sinti und Roma darauf, dass die Stadt zu Ehren Höllenreiners eine Straße oder einen Platz benennt.

Dieses Übersehen-Werden ist eine Facette dessen, was Sinti und Roma erleben, auch in der Bundesrepublik, auch in München. Jahrzehnte nach Ende der NS-Herrschaft werden sie weiter ausgegrenzt. Diese Diskriminierung ist so verbreitet, dass sie außerhalb der betroffenen Minderheit kaum wahrgenommen wird.

Antiziganismus ist der Begriff für diese permanente Verletzung von Menschen. Antiziganismus ist alltäglich, auch in München, davon können Menschen aus der Community stundenlang berichten. Wenn es um die Wohnungssuche von Münchnerinnen und Münchnern geht, die von der Mehrheit der Minderheit zugeordnet werden; oder wenn Geflüchtete eine ganz spezielle Willkommenskultur spüren: Gerne helfen wir Menschen, die vor Putins Bomben fliehen, aber, äh, Roma, äh ...

Was tun gegen diese tief verwurzelten Vorurteile? Die eine entscheidende Maßnahme dagegen gibt es nicht. Es bedarf vieler einzelner Bausteine, um ein Fundament zu schaffen, das vorurteilsfreie Begegnungen ermöglicht. Dass dieser Prozess schwierig und langwierig ist, entlässt das Rathaus nicht aus der Pflicht, daran stärker als bisher zu arbeiten. In der Verwaltung gibt es gute Ansätze, und Grün-Rot hat immerhin das lange weitgehend ignorierte Defizit benannt. Wichtig wäre, jene Menschen gegen antiziganistischen Rassismus zu sensibilisieren, die irgendwie mit Geflüchteten zu tun haben. Auch die Stadtspitze sollte sich aktiver einbringen, gerne mit symbolischen Aktionen. Engagement gegen Rassismus lebt auch davon.

Ein dauerhaft wirkendes Symbol wäre, endlich eine Straße nach Hugo Höllenreiner zu benennen. Es wäre ein Zeichen der Wertschätzung für das Lebenswerk des Giesinger Sinto. Und es wäre eine Botschaft an die Community der Sinti und Roma: München sieht euch.

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