Süddeutsche Zeitung

Paten-Projekt für Geflüchtete:Wie sich eine junge Frau um eine syrische Familie kümmert

Marla Lüers hat beim Projekt "Save Me" eine Patenschaft übernommen. Sie lernt nun Arabisch, bisher aber müssen die Hände, die Mimik und der Google-Übersetzer helfen.

Von Katharina Federl

Safa hört aufmerksam zu, obwohl sie die meiste Zeit nicht versteht, was gesagt wird. Geduldig sitzt sie da, die Hände in ihrem Schoß. Wenn man ihrem Blick standhält, werden ihre Augen schmal und ihr Mund weitet sich zu einem warmen Lachen. Und wenn sie dann auf Arabisch über Dinge spricht, die ihr am Herzen liegen, dann hört sie nicht mehr damit auf. Sie spricht über ihre Oma, die vor ein paar Tagen in Syrien gestorben ist. Über einen Garten in ihrer Geburtsstadt Aleppo, in dem sie sich früher immer mit ihren Freundinnen traf. Nahe der Asylunterkunft in der Blumenstraße gebe es auch einen solchen Garten, sie sähen sich zum Verwechseln ähnlich. Doch am längsten spricht sie über Marla.

Marla Lüers hat in diesem April, eineinhalb Monate nach der Ankunft von Safas Familie in Deutschland, eine Patenschaft für sie, ihren Mann Mohammad und ihre vier Kinder übernommen. Sie ist Teil von "Save me - Eine Stadt sagt Ja", einem Projekt des Münchner Flüchtlingsrats, das sich für die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten einsetzt. Neben der Vermittlung von Ehrenamtlichen, die sie im Alltag unterstützen, begleitet das Projekt Geflüchtete bei Behördengängen mit Dolmetschern, hilft bei der Wohnungssuche und organisiert Sprachkurse.

Viele Menschen, die "Save Me" unterstützt, darunter auch Safas Familie, die ihren Nachnamen nicht veröffentlichen möchte, sind über das UN-Resettlement-Programm nach Deutschland gekommen. Bei dem Programm werden besonders schutzbedürftige Geflüchtete, die aus Sicht der Behörden keine Integrationsperspektive in ihrem Erstaufnahmeland haben, die medizinisch versorgt werden müssen oder aus anderen Gründen als besonders vulnerabel gelten, in ein sicheres, zur Aufnahme bereites Drittland gebracht.

Safas Familie musste 2016 aus Syrien in die Türkei fliehen, weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. Mohamad Kord, Ehrenamtskoordinator des "Save Me"-Projektes, übersetzt ihre bruchstückhaften Erinnerungen: Die Zustände in Aleppo seien nicht auszuhalten gewesen, alles um sie herum sei kaputtgegangen. Aber auch in der Türkei habe es die Familie nicht leicht gehabt, ihr sei das Gefühl gegeben worden, nicht dazuzugehören. Arbeit habe es dort kaum gegeben, zumindest nicht für geflüchtete Menschen wie sie. Ihr Leben in Deutschland sei nun ein anderes. Viele freundliche, aufgeschlossene Menschen seien ihnen seit ihrer Ankunft begegnet. Menschen wie Marla Lüers. Menschen wie Mohamad Kord.

"Wir haben uns kennengelernt, da war Safa noch schwanger", erklärt Marla Lüers langsam und malt mit den Händen eine große Kugel vor ihren Bauch. Wenn sie jemandem etwas zu verstehen geben will, wirken Lüers Blicke so nahbar und ihre Bewegungen so lebendig, dass man gar keine andere Wahl hat, als ihr dabei zuzusehen. Erwartungsvoll schaut sie zu Safa. Doch die versteht nicht. Dann sagt ihr Mann ein Wort: Hamil. Schwanger. Plötzlich strahlt sie, nickt, gestikuliert wild mit ihren Armen, so als würde sie gerade ein Baby wiegen. Ihr jüngstes Kind Walaa ist vor drei Monaten in München geboren, die zwei älteren Kinder gehen seit einigen Monaten in die Schule.

Die Familie will in München bleiben, derzeit kämpft sie um ihren Aufenthaltstitel. Mohammad besucht einen Deutschkurs, um arbeiten zu können. Weil Safa das wegen ihrer Tochter momentan noch nicht kann, hat sie Lüers gebeten, mit ihr Deutsch zu lernen. "Wir sitzen jetzt immer gemeinsam am Esstisch und zeigen auf Gegenstände, die wir einmal auf Deutsch und einmal auf Arabisch benennen", erzählt die 32-Jährige, die gerade damit beginnt, die Sprache und Schrift ihrer Patenfamilie zu lernen. Derzeit laufe der Großteil der Kommunikation noch über Google-Übersetzer, manchmal übersetzen die 13-jährige Fatima und der 11-jährige Mohamad für sie.

"Als der Krieg in der Ukraine begonnen hat, hatten wir fast keine Ehrenamtlichen mehr"

Einmal die Woche kommt Lüers nach ihrer Arbeit bei Safa vorbei, hilft den Kindern bei Hausaufgaben, spielt und bastelt mit ihnen. Am Wochenende picknicken sie gerne an der Isar, dem Lieblingsplatz der Familie, oder gehen gemeinsam in den Zoo. Die Münchnerin findet es "wahnsinnig schön, eine neue Kultur kennenzulernen und neues Essen". Die Liebe zum Essen sei definitiv eine Gemeinsamkeit zwischen ihr und der Familie. Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe hatte Lüers vor ihrer Patenschaft keine, beruflich ist sie im Marketing-Bereich einer Kommunikationsagentur tätig. Diese unterstützte den Münchner Flüchtlingsrat vor einigen Jahren mit Flyern, Anfang dieses Jahres wollte sie dann selbst aktiv werden.

"Als ich in meinem Bekanntenkreis erzählt habe, dass ich eine Patenschaft übernehmen will, dachten alle sofort an eine ukrainische Familie", erzählt sie. Natürlich sei der Krieg in der Ukraine einer der Auslöser gewesen für ihren Wunsch, etwas für Geflüchtete zu tun. Die Herkunft habe für sie jedoch nie eine Rolle gespielt: "Ich wusste, dass ich helfen will, wem, war mir egal."

Dass das nicht alle so sehen wie Lüers, da ist sich Ehrenamtskoordinator Mohamad Kord sicher. "Als der Krieg in der Ukraine begonnen hat, hatten wir fast keine Ehrenamtlichen mehr", erzählt er. Viele hätten sich auf die Menschen in der Ukraine fokussiert, böten zwar ihre Hilfe an, aber eben nur einer bestimmten Gruppe von Geflüchteten. "Dass auch andere Kriege Menschen zur Flucht zwingen, wird oft vergessen", kritisiert der 32-Jährige, der 2016 selbst aus seiner Heimat Damaskus nach Deutschland geflohen ist. Bei seiner Ankunft am Münchner Hauptbahnhof habe er kein einziges Wort auf Arabisch gelesen, heute sei alles ins Ukrainische übersetzt. "Das ist ja alles sehr schön und positiv - wenn der Fokus nicht allein auf einem Land liegen würde."

Lüers ist sichtlich fokussiert. Auf Safa, ihre Worte, ihre Gestik. Safa wollte noch etwas loswerden, etwas, was mit Marla zu tun hat. Immer wieder fällt ihr Name, doch Marla Lüers Arabischkenntnisse sind noch nicht gut genug, um Safa zu verstehen. Neugier ist in ihren Augen zu erkennen, immer wieder wandert ihr Blick zu Mohamad Kord, der, als es nach ein paar Minuten wieder still wird, einen kurzen Moment braucht, um das Gesagte in seinem Kopf zu sortieren. "Marla, was hast du nur gemacht?", fragt er schmunzelnd, bevor er das Übersetzen anfängt.

Es geht um Safas Sohn, der mit einer Behinderung an seiner Hand zur Welt gekommen ist. Viele Kinder machten einen Schritt zurück, sobald sie sie sehen, oft verstecke er sie deshalb in einer Hosentasche oder hinter seinem Rücken. Doch wenn Lüers da ist, mache er das nicht. Weil sie ihm zu verstehen gebe, dass sie kein Problem mit seiner Hand hat, ganz ohne Worte. Für ihre Empathie will Safa Danke sagen: shukran. "Shukran, das kann ich auch!" ruft Marla Lüers, und als ihr Blick den von Safa trifft, weitet sich deren Mund zu einem warmen Lachen.

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