Süddeutsche Zeitung

Protestcamp:"In Sierra Leone gibt es keine Zukunft für uns"

Geflüchtete in München demonstrieren seit Wochen gegen Abschiebungen in das afrikanische Land. Auch Grüne und Linke kritisieren die bisherige Anhörungspraxis und fordern ein Bleiberecht.

Seit fast vier Wochen protestieren in München Tag und Nacht zahlreiche Menschen, die aus Sierra Leone stammen, gegen mögliche Abschiebungen oder Sanktionen. Sie befürchten Konsequenzen aus einer umstrittenen Identitätsfeststellung durch Botschaftsmitarbeiter des westafrikanischen Landes in München. Seit Mitte Oktober wurden Menschen aus Sierra Leone offenbar auch unter Zwang aufgefordert, in der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung von Oberbayern ihre Herkunft nachzuweisen.

In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisiert nun die Stadtratsfraktion Grüne/Rosa Liste die "menschenrechtlich mehr als bedenkliche Praxis der Identitätsfeststellung". Reiter solle sich bei der Regierung dafür einsetzen, dass den Geflüchteten stattdessen individuelle Fallberatungen angeboten werden. Auch Beamte des Polizeipräsidiums sollten dafür sensibilisiert werden, dass sie die Protestierenden möglichst deeskalierend behandeln.

"Einige der Betroffenen, die ihrer Botschaft vorgeführt werden, gehören zu Familien, die seit mehr als zehn Jahren in München leben", sagt Grünen-Stadträtin Nimet Gökmenoğlu. Die Protestierenden würden lediglich Gebrauch von einem Grundrecht machen, das für alle Menschen gelte. "Sie sollten dies angstfrei tun können und ohne sich ständig davon bedroht zu fühlen, dass ihr Protest durch Maßnahmen der Polizei unterbunden wird." Auch die Linke-Fraktion im Stadtrat hatte bereits gefordert, sich "solidarisch an die Seite der aus Sierra Leone geflüchteten Menschen zu stellen" und sich für deren Bleiberecht einzusetzen.

Die Protestierenden des Camps, das zunächst vor der Zentralen Ausländerbehörde an der Hofmannstraße in Obersendling war und schließlich an den Königsplatz verlegt wurde, fordern einen Abschiebestopp nach Sierra Leone. "In Sierra Leone gibt es keine Zukunft für uns", sagt Victor Kamara, einer der Sprecher des Protestcamps. Das Camp unter freiem Himmel, in dem seit Wochen Dutzende Menschen übernachten, ist noch bis 15. November angemeldet.

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