Bellevue di Monaco:"Hinter dem Polizisten steckt ein Mensch, hinter dem Flüchtling auch"

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Im Bellevue di Monaco begegnen sich Polizisten und Geflüchtete mal außerhalb einer Stresssituation und haben plötzlich viele Fragen aneinander. (Foto: Privat)

Bei einem Pilotprojekt machen Polizeibeamte und Geflüchtete gemeinsam Sport, danach wird geredet - um etwas gegen die Vorurteile auf beiden Seiten zu tun.

Von Julian Hans

Es heißt zwar, dass Alkohol die Zunge löse, aber noch besser funktioniert das mit Schweiß. Das legt zumindest dieser Abend im Bellevue di Monaco nahe. Eine Stunde lang haben Geflüchtete und Münchner Polizeibeamten zusammen Sport getrieben, haben Liegestützen und Rumpfbeugen gemacht, bis die Muskeln brennen und sind in gemischten Mannschaften beim Fußball gegeneinander angetreten.

Jetzt wird geredet. Schnaufend sitzen etwa drei Dutzend Männer und Frauen auf Yoga-Matten, die meisten mit dunkler Hautfarbe, aber auch eine Handvoll Polizisten, deren Gesichtsfarbe während des Trainings von Weiß zu Rot gewechselt ist.

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Seit Jahrzehnten setzt er sich für Geflüchtete ein - zuletzt als Projektleiter von Bellevue di Monaco. Diese Aufgabe gibt er jetzt weiter und will wieder nur als Grafiker arbeiten, vorerst zumindest.

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Es ist ein Versuch, der hier in der Müllerstraße läuft an diesem heißen Freitagabend im Juli. Die Idee dazu hatte Stefan Kastner, leitender Kriminaldirektor und Chef der Verbrechensbekämpfung im Polizeipräsidium München. Kastner hat sich überlegt, was man dagegen tun kann, dass sich negative Vorurteile bei Flüchtlingen und Polizisten über die jeweils andere Gruppe immer weiter verfestigen. Weil man sich immer nur in Stress-Situationen begegnet, bei Kontrollen etwa oder sogar bei Abschiebungen. "Viele haben aus ihren Heimatländern das Bild von einer repressiven Polizei, die willkürlich vorgeht", sagt er. Umgekehrt hätten die meisten Polizisten auch nur dann mit Geflüchteten zu tun, wenn diese Straftaten begehen oder sich einer Abschiebung widersetzen.

Echte Sicherheit lässt sich aber nur dann herstellen, wenn es Vertrauen gibt zwischen den Menschen und den Staatsorganen. Das ist zwar weitgehend Konsens in demokratischen Staaten. Aber was "bürgernahe Polizeiarbeit im Kontext migrationsbedingter Herausforderungen" konkret bedeutet, darüber hat sich der Autor einer gleichnamigen Masterarbeit an der Hochschule der Polizei Gedanken gemacht. Die Polizei habe eine "Integrationsaufgabe bei der Vermittlung von rechtsstaatlichen Werten wie Objektivität, Neutralität, Gleichbehandlung sowie konsequenter und einwandfreier Aufgabenwahrnehmung", schreibt Maximilian Schrödl.

Bei der Suche nach Wegen, wie sich das umsetzen ließe, ist Kastner auf die Sportgruppe von Paul Huf gestoßen. Der Künstler und Sozialarbeiter hat eine Laufgruppe für Flüchtlinge gegründet, neuerdings gibt es auch Krafttraining. Sport sei "das beste Mittel gegen Depression oder angestaute Aggression", sagt Huf. Als Kastner anrief, war er sofort dabei. Die Polizisten hätten sich alle freiwillig gemeldet, sagt Kastner. Erst schwitzen, dann reden. Mal sehen, was dabei herauskommt.

Die Teilnehmer haben sich ihre Vornamen auf Klebeband auf die Brust geheftet. "Was habt ihr denn für einen Eindruck von der Polizei, wie schätzt ihr die ein?", fragt einer der Beamten. "Streng", ruft jemand. Einige lachen. "Ich werde so oft kontrolliert, das nervt mich", sagt ein junger Mann. Er hat ein bisschen Ähnlichkeit mit dem jungen Mohammed Ali auf seinem T-Shirt; die Statur, aber vor allem der Charme. Neulich hätte ihn die Polizei zwei Mal innerhalb einer Stunde angehalten. "Wenn du weiß bist, wirst du weniger kontrolliert als mit dunkler Hautfarbe", beschwert er sich.

"Dann kontrolliere ich natürlich nicht die Münchner Oma"

In der Gruppe sind auch Beamte aus der Polizeiinspektion am Hauptbahnhof. Sie sagen, es beruhe auf Erfahrungswerten, wen man sich aussucht bei Kontrollen: "Wir haben sehr viele Dealer, die auch aus afrikanischen Ländern kommen. Dann kontrolliere ich natürlich nicht die Münchner Oma". Bei anderen Delikten wären dafür andere Gruppen im Fokus, etwa bei Trickbetrug: "Gerade bei den falschen Polizeibeamten, da fallt ihr dann eher raus". Heiterkeit.

Paul Huf wirbt um Verständnis: Viele glaubten, der Polizist sei auch der Richter. "Aber die Entscheidung zu einer Abschiebung zum Beispiel trifft nicht der Polizist, der führt nur die Entscheidung des Gerichts aus." Das bedeute für alle Stress. Die Konfliktsituationen seien oft sehr emotional und daher auch gefährlich. Deshalb sei es so wichtig, dass sich beide außerhalb von Kontrollsituationen begegnen und nicht nur die Institution sehen: "Hinter dem Polizisten steckt ein Mensch, hinter dem Flüchtling auch."

Bei Keksen und alkoholfreiem Bier wird das Gespräch dann in kleinen Runden fortgesetzt. Die Gespräche drehen sich darum, welche Rolle die Polizei in den Herkunftsländern der Geflüchteten spielt. Ein Mann aus Afghanistan will wissen, wie man als Streifenpolizist im Schichtdienst eigentlich Beruf und Familie vereinbart.

"Uneingeschränkt positiv" lautet Stefan Kastners Resümee. Das Feedback sei "teilweise sogar euphorisch" gewesen. Der leitende Kriminaldirektor wünscht sich, dass aus dem Pilotversuch bald ein Dauerprogramm wird. "Einige Ideen und auch weitere Partner, mit denen wir weitermachen wollen, haben wir bereits."

© SZ vom 29.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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