Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingsunterkunft:Kinder lernen wieder lachen

  • In der Funkkaserne gibt es nun ein 100 Quadratmeter großes Zimmer für Kinder, in dem sie spielen und lernen können.
  • Damit hat die Regierung von Oberbayern auf Kritik an den maroden Zuständen in dem "Ankerzentrum" reagiert.
  • In der Flüchtlingsunterkunft in der alten Kaserne am Frankfurter Ring leben 41 Kinder mit ihren Eltern.

Von Thomas Anlauf

Der Bub steht lachend vor einer quietschbunten Kinderküche, das Mädchen im lilafarbenen Kleid sitzt im Spielzimmer und bastelt. Tageslicht fällt auf die Szene, es sieht beinahe idyllisch aus. Aber es sind Flüchtlingskinder, sie müssen in der maroden Funkkaserne leben, monatelang, manchmal mehr als ein Jahr. Es gibt auch andere Bilder von den Kindern. Da saßen zwei kleine Mädchen im März auf einem kalten Fußboden in einem Flur der staatlichen Flüchtlingsunterkunft namens Anker-Dependance und malten dort, weil es sonst keinen geeigneten Ort für die Kinder gab. Sie mussten mit ihrer Familie mit wildfremden Menschen in einem Zimmer leben.

Am Montag erklärte nun Maria Els, Präsidentin der Regierung von Oberbayern und verantwortlich für die Zustände in den oberbayerischen "Ankerzentren" und ihren Dependancen: "Der Regierung von Oberbayern ist es sehr wichtig, insbesondere für Kinder ein gutes Umfeld in der Unterkunft zu schaffen." Nun gibt es ein 100 Quadratmeter großes Zimmer für Kinder, in dem sie spielen und lernen können. Bezahlt werden die vier Pädagogen von der Stadt München.

Regierungspräsidentin Els war nach SZ-Berichten am 15. März persönlich in die Funkkaserne im Münchner Norden gefahren und bemühte sich dann, die Zustände dort zu verbessern. Badezimmer waren zu dem Zeitpunkt verschimmelt, das Arztzimmer wegen eines Wasserschadens nicht benutzbar. Die Innere Mission München, die dort im Auftrag der Regierung die Sozialbetreuung übernommen hat, hatte umgehend humanere Verhältnisse für die Geflüchteten gefordert.

"Bisher fehlten den Kindern in der Funkkaserne eine Tagesstruktur sowie Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten", sagte am Montag Andrea Betz, die bei der Inneren Mission für Flüchtlinge zuständig ist und im Oktober die Sprecherin aller sechs Wohlfahrtsverbände wird.

Nun hat die Regierung das Konzept der Inneren Mission des Mini-Family-Houses genehmigt. Geflüchtete Kinder, die bislang weitgehend ohne pädagogische Betreuung in der Unterkunft bleiben mussten, weil sie nicht in Kindertagesstätten gehen durften, erhalten nun ein Alternativangebot in der Funkkaserne. "Dieser Benachteiligung wollten wir mit dem Mini-Family-House entgegenwirken", sagt Andrea Betz. "Es gibt dort nun eine feste Tagesstruktur, ähnlich wie in einer Kita", sagt die Expertin für Migration und Flüchtlinge bei der Inneren Mission. Es gebe in der Unterkunft nun auch für Eltern feste Zeiten, an denen sie die Kinder vorbeibringen. Die Kleinen lernen dort unter anderem auch Deutsch.

Während die Kinder von ausgebildeten Fachkräften betreut werden, können die Eltern die Zeit für Behördengänge nutzen oder an den kinderpsychologischen Sprechstunden teilnehmen. Denn Studien zufolge sind sowohl die Kinder als auch die Eltern posttraumatisch belastet durch die oft monatelange Flucht durch Kriegs- und Krisengebiete - und oftmals auch über das Mittelmeer.

In Bayern werden sie seit vergangenem Jahr dann in "Ankerzentren" (Anker steht für Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung) oder ihre Dependancen wie in der Funkkaserne oder seit Kurzem auch am Moosfeld untergebracht. Dort gibt es kaum Kontakt mit der heimischen Bevölkerung, die Kinder können oftmals nicht in Kindergärten gehen, weil sie möglicherweise nach einigen Monaten wieder abgeschoben werden und Kontakte mit anderen Kindern deshalb vermieden werden sollen.

Am Konzept der "Ankerzentren" haben der Münchner Stadtrat und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schon seit Monaten heftige Kritik geübt und die Auflösung und Unterbringung in dezentralen Unterkünften insbesondere für Familien mit Kindern gefordert.

Auch die Migrationsexpertin Andrea Betz sagt, Studien hätten ergeben, dass für Kinder ein Aufenthalt in solchen Einrichtungen "ein extremes Entwicklungsdefizit" bedeute. Sie hält die staatlichen Flüchtlingsunterkünfte deshalb für ein "unmenschliches System". Trotzdem arbeitet sie mit der Inneren Mission daran, die Zustände dort wenigstens zu verbessern. Sie wolle den geflüchteten Kindern und Eltern in den Einrichtungen "ein halbwegs gutes Leben trotz der widrigen Bedingungen" bieten.

Das Angebot des Mini-Family-House soll nun richtig ausgebaut werden. Bis zu 20 Kinder können dann betreut werden. Das klingt gut, ist aber immer noch zu wenig. Obwohl die Regierung die Zahl der Geflüchteten dort seit April halbiert hat. Am Montag lebten dort laut Regierung 124 Menschen, ausgelegt ist die alte Kaserne am Frankfurter Ring für bis zu 370 Geflüchtete. Es sind immer noch 41 Kinder, die dort wohnen müssen. Eigentlich ist für sie das Münchner Jugendamt zuständig.

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SZ vom 30.07.2019/kaal
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