Demo gegen befürchtete Abschiebung:Das Dilemma mit dem Pass

Demo gegen befürchtete Abschiebung: Rund 200 Menschen aus Sierra Leone protestieren seit Montag vor der Ausländerbehörde, weil sie sich vor einer Abschiebung fürchten.

Rund 200 Menschen aus Sierra Leone protestieren seit Montag vor der Ausländerbehörde, weil sie sich vor einer Abschiebung fürchten.

(Foto: Robert Haas)

Ohne Ausweisdokument gibt es keine Aufenthaltserlaubnis, aber mit Pass droht die Abschiebung: Aus Angst vor ihrem Heimatland Sierra Leone kampieren Geflüchtete vor der Ausländerbehörde.

Von Joachim Mölter

Am Montagnachmittag sausten Kinder über den Asphalt und spielten Fangermanndl, am Abend und in der Nacht sangen und tanzten Erwachsene neben einem Pavillon, vor dem Tische mit Essen und Getränken aufgebaut waren. Als Passant hätte man glauben können, man wäre in ein Straßenfest geraten, aber es war keine Spaßveranstaltung, zu der sich die Menschen in Obersendling versammelt hatten. Vor der Einfahrt zur Münchner Dienststelle des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführung demonstrierten sie gegen ihre befürchtete Abschiebung. "Stop, stop, stop! Stop Deportation!", skandierten sie auf Englisch. Auf Pappschildern hatten sie ihre Forderung auch auf Deutsch gemalt: "Keine Abschiebung!"

Seit Montag und vermutlich noch bis Ende Oktober hört eine Delegation aus Sierra Leone in dem weißen Zweckbau in der Hofmannstraße Flüchtlinge an, die angegeben haben, aus dem westafrikanischen Land zu stammen. Anhand von Sprachkenntnissen, Aussprache, Dialekt oder traditionellen Tätowierungen soll ermittelt werden, ob das stimmt. Was simpel klingt, "ist eine komplexe Gemengelage", sagt Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Es geht um Pässe, und das ist ein Dilemma für die demonstrierenden Flüchtlinge: Wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis bekommen wollen, brauchen sie irgendwann einen Pass ihres Heimatlandes. Aber wenn sie den erst mal haben, können sie auch schnell abgeschoben werden.

Die meisten der von den hiesigen Bezirksbehörden vorgeladenen Menschen - überwiegend jüngere Männer, aber auch Familien - sind jedenfalls nur geduldet, also prinzipiell ausreisepflichtig, wie es im Behördendeutsch heißt. 20 Jahre nach dem Ende eines langen Bürgerkriegs wird Sierra Leone vom Auswärtigen Amt als politisch stabil eingestuft, damit entfällt quasi die Voraussetzung für politisches Asyl, das die Flüchtlinge beantragt hatten. Sie schätzen die Lage in Sierra Leone freilich ganz anders ein und berichten von Verfolgung, Vergewaltigung, Verstümmelung. Und sie zeigen entsprechende Bilder auf ihren Smartphones, von denen sie sagen, sie hätten sie aus dem Land geschickt bekommen. Die Demonstranten trauen ihrer Regierung jedenfalls nicht, wegen der hohen Arbeitslosigkeit in einem der ärmsten Länder der Welt sehen sie dort keine Zukunft, sie wollen einfach hier bleiben und hier arbeiten. Aber wenn sie sich nicht um einen Pass kümmern, so die Drohung einiger Behörden, dann wird ihnen die Arbeitserlaubnis entzogen. Auch aus Angst davor sind sie zur Anhörung gekommen. Allerdings nur unter Protest. Und den tun sie kund.

Die ursprüngliche Demonstration am Montag hat noch der Bayerische Flüchtlingsrat angemeldet. Nach dem offiziellen Ende taten sich die rund 200 Westafrikaner selbst zu einer spontanen Versammlung zusammen. Die ist nun vom Kreisverwaltungsreferat genehmigt worden bis Mittwoch, 18 Uhr. Freunde und Unterstützer der Flüchtlinge besorgten den Pavillon, außerdem etwas Warmes zu trinken und etwas zu essen sowie Holzpaletten, auf denen die Demonstranten ihre Schlafsäcke ausbreiten konnten. Viele der rund 50 Männer, die über Nacht vor der Zentralen Ausländerbehörde ausgeharrt hatten, waren noch am Dienstagvormittag in Decken gehüllt, einige hatten auch Wärmefolien um Füße und Beine gewickelt.

Dass sie sich über Nacht auch mit Gesang und Tanz warmgehalten hatten, störte im Gewerbegebiet offensichtlich niemanden; die nächstgelegenen Anwohner waren ja eine ganze Ecke weg. Auch sonst waren die Demonstranten sichtlich bemüht, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Sie nutzten die mobilen Toilettenhäuschen der umliegenden Baustellen und hatten sogar an Mülltüten für ihren Abfall gedacht. Sie kennen die Regeln der deutschen Bürokratie mittlerweile.

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