Süddeutsche Zeitung

Flohmarkt:Sieben Dinge, sieben Geschichten

Fast jedes Wochenende finden in München mehrere Flohmärkte statt. Jedes Objekt hat seine eigene Herkunftsgeschichte. Sieben Verkäufer stellen vor, was sie nicht losbekommen haben.

Von Pia Ratzesberger

Die Ersten kommen, wenn es noch dunkel ist. Die Verkäufer laden die Kisten aus den Autos. Die Sammler leuchten mit Taschenlampen über den alten, manchmal wertvollen Plunder, noch bevor auch nur ein Stand aufgebaut ist. Sie wollen sich die besten Stücke sichern, bevor die anderen die Chance hatten, sich umzusehen. Das ist die erste Regel des Flohmarkts: Man sollte früh aufstehen.

An fast jedem Wochenende in München kann man auf einem Flohmarkt stöbern, am vergangenen Samstag aber hatte man gleich die Wahl zwischen fünf Orten: dem Olympiapark, dem Messegelände in Riem, der Trabrennbahn in Daglfing, den Hofflohmärkten in Forstenried und dem Nachtflohmarkt im Wannda Circus in Freimann. Die Orte unterscheiden sich, auch die Verkäufer und die Kisten. In Riem zum Beispiel finden sich zwischen den Ständen von privaten Verkäufern immer wieder Antiquitäten, während in Forstenried die Menschen in den Garten räumten, was sie noch im Haus hatten. Die Regeln aber sind überall die gleichen: früh aufstehen. Genügend Kleingeld mitnehmen. Genügend Taschen mitnehmen. Feilschen. Und am Ende bleiben jedes Mal immer noch Dinge am Boden liegen, die niemand haben will.

Manchmal ist das verständlich, manchmal auch nur verwunderlich. Sieben Verkäuferinnen und Verkäufer, die am Samstag auf den Flohmärkten in Riem, Daglfing und Forstenried verkauften, stellen auf dieser Seite einen Gegenstand vor, für den sich an ihrem Stand kaum einer interessiert hat - und erzählen seine Geschichte.

150 Euro

"Der Whiskey gehörte meinem Opa. Er hat beim TÜV gearbeitet, und der Fahrer eines Lastwagens war so glücklich über den bestandenen Test, dass er meinem Opa die Flasche geschenkt hat. Das war 1985. Danach stand der Whiskey viele Jahre bei uns im Keller. Für Sammler wäre das wahrscheinlich ein guter Kauf. Bei Ebay haben wir gesehen, dass die gleiche Flasche für 150 Euro verkauft wurde, aber wir wollten die schwere Flasche nicht verschicken und haben die 4,5 Liter deshalb mit auf den Flohmarkt in Riem genommen. Bislang kam erst einer vorbei, der sich für den Whiskey interessierte. Er meinte dann aber doch: ,Wenn ich den jetzt mitnehme, überlebe ich den Tag nicht mehr' - und ging weiter."

Sophie Klaritsch, 16 Jahre

3 Euro

"Das war meine Kuchenplatte, aber ich habe noch mindestens fünf andere zu Hause. Dabei backe ich überhaupt nicht gerne. Die vielen Platten haben einen anderen Grund: Meine Mama ist gestorben, meine Tante ist gestorben. Mit der Zeit kommt viel Geschirr zusammen. Heute morgen war ich schon um zehn nach vier am Flohmarkt und habe seitdem auch manches verkauft. Ich habe viele Servietten und Tischdecken mitgenommen, alles gewaschen und alles gepflegt. Außerdem Jacken von meinem Schwiegersohn und Dirndl von meiner Tochter. Sowohl für die Trachten als auch für die Kuchenplatte interessiert sich allerdings kaum jemand. Die Leute backen ja auch alle kaum mehr selbst, sondern kaufen beim Bäcker ein."

Helga Hötzinger, 68 Jahre

10 Euro

"Die Kamera war überall auf der Welt. Sie gehörte meinem Opa. Er war Angestellter bei Varta, der Batterienfirma, und reiste viel. Ich weiß noch, dass er einmal in Brasilien war, und ein ausgestopftes Krokodil mit nach Hause brachte. Damals in den Sechzigerjahren war das noch erlaubt. Als ich zwölf Jahre alt war, hat mein Opa mir die Kamera dann geschenkt. Ich erinnere mich, dass ich als Erstes in den Tierpark in Hellabrunn ging und die Affen fotografierte. Die Kamera funktioniert einwandfrei, man müsste nur einen Film einlegen. Aber heute will ja niemand mehr Filme entwickeln lassen, geschweige denn selbst entwickeln. Wir verkaufen seit ein paar Stunden bei den Hofflohmärkten vor unserem Haus, und obwohl wahnsinnig viel los ist, will die Kamera niemand."

Markus Gulden, 51 Jahre

5 Euro

"Ich verkaufe den Schlauch von meinem alten Aquarium. Das hatte ich mir vor etwa zwei Jahren ins Wohnzimmer gestellt. Einen richtig großen Kasten mit 250 Litern Wasser und vielen Süßwasserfischen. Einen großen Roten zum Beispiel. Den Boden habe ich mit Blumen und Steinen dekoriert. Ich mochte es, davorzusitzen und den Fischen zuzusehen. Das beruhigte mich, das machte mich glücklich. Dann aber starben plötzlich viele der Fische, und obwohl mein Sohn und ich Medikamente besorgten, starben immer mehr. Ich gab die restlichen Fische weg, weil ich Angst hatte, dass auch sie noch umkommen werden. Das Aquarium habe ich auch weggegeben. Den Schlauch und die Pumpe aber will ich heute noch in Riem verkaufen."

Fikriye Demirel, 55 Jahre

10 Euro

"Das Buch habe ich vor ein paar Jahren auf dem Flohmarkt gekauft, auch hier an der Trabrennbahn in Daglfing. Eine alte Ausgabe von "Robur, der Flieger" von Jules Verne, der Autor von "In 180 Tagen um die Welt". Das Buch ist in altdeutscher Schrift gedruckt, mit vielen Zeichnungen. Ich dachte immer, dass ich es einmal lesen werden, und habe auch ein paar mal damit angefangen, aber es doch immer wieder weggelegt. Vielleicht, weil die alte Schrift mir zu anstrengend war. Ich schaue gerne am Samstag zum Flohmarkt, und einmal oder zweimal im Jahr verkaufe ich selbst. Sonst sammelt sich zu Hause zu viel Krempel an. Das Buch hatten heute zwar schon viele in der Hand, aber gekauft hat es bislang keiner."

Werner Worschech

18 Euro

"Die James-Bond-Filme kann ich alle mitsprechen. Seit ich als Kind mit meinem Vater die ersten gesehen habe, bin ich wahnsinnig großer Fan von ihnen. Zu Studentenzeiten habe ich mir deshalb mehrere Drucke aus England bestellt. Dieser zum Beispiel zeigt eine Szene aus "Der Spion, der mich liebte" mit Roger Moore. Mittlerweile habe ich die Drucke allerdings durch große Bilder vom Künstler Jörg Döring ersetzt und trenne mich schweren Herzens von den alten Drucken. Drei meiner neuen Bilder zeigen den Bond-Darsteller Sean Connery - andere Romy Schneider oder auch Alain Delon. Viele deuteten heute im Vorbeigehen auf die Drucke und zitierten aus den Filmen, aber mitnehmen wollte sie dann doch niemand."

Jan Liebmann, 42 Jahre

10 Euro

"Bis vor kurzem hatte ich ein eigenes Zimmer in unserer Wohnung. Das war mein Afrikazimmer. Mein Mann und ich waren vor ein paar Jahren in Tunesien im Urlaub. Danach habe ich angefangen, mir das Zimmer mit verschiedensten Gegenständen einzurichten, die mich an die Länder des afrikanischen Kontinents erinnern. Mit Kamelen aus Holz zum Beispiel und einem Nilpferd - letzteres habe ich heute bereits verkauft. Die Maske hing auch in meinem Afrikazimmer, wobei ich die nicht im Urlaub in Tunesien gekauft habe, sondern in München in einem Möbelhaus. Weil mein Mann und ich das Zimmer nun zu einem Arbeitszimmer mit Nähmaschine und Computer umfunktioniert haben, muss alles raus."

Helga Albrecht, 69 Jahre

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Quelle:
SZ vom 26.08.2019/flud
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