Markt Schwaben:Weltmeister am Flipper-Automat

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Spielparadies: Im Keller seines Elternhauses hat Johannes Ostermeier mehrere Flipper zur Auswahl. (Foto: Christian Endt)

Johannes Ostermeier ist in einem dramatischen Finale als erster Deutscher Flipper-Weltmeister geworden. Mit vier Jahren stand er das erste Mal an einem Automaten - heute ist keiner so schnell wie er.

Von Philipp Crone

Die Lage ist völlig aussichtslos, als Johannes Ostermeier seine Wasserflasche zudreht und drei Schritte nach vorne zum Automaten macht. Ein schlanker Mann mit kurzen Haaren, der noch einmal an der Reihe ist, obwohl der Fernsehmoderator in diesem Moment sagt, dass man in diesem Finalduell gerade einen würdigen Weltmeister gesehen habe. Und er meint nicht den schlanken 17-Jährigen aus Deutschland.

Der Italiener Daniele Acciari stand wenige Sekunden vor Ostermeier am Dracula-Flipper, leicht nach vorne gebeugt, im azurblauen Polohemd mit "Team Italia"-Aufdruck, hat minutenlang gespielt, bis selbst ihm, dem vierfachen Weltmeister, die Kugel zwischen den beiden Flipper-Fingern aus Hartgummi durchrutscht. Da leuchtet auf dem Display des Gerätes für Acciari aber schon längst eine vermeintlich uneinholbare Zahl: drei Milliarden. Ostermeiers Score bis dahin: 40 Millionen. Und er hat noch genau eine Kugel.

Johannes Ostermeier steht fünf Monate nach diesem Finale der Flipper-Weltmeisterschaft zu Hause im Keller des Einfamilienhauses seiner Eltern in Markt Schwaben und lächelt nicht. Rechts von ihm sind sechs Flipper-Automaten nebeneinander aufgereiht, links sind es fünf. Sie blinken und düdeln vor sich hin. All das sind Hintergrundgeräusche für einen wie Ostermeier, er nimmt es nicht mehr wahr. Ostermeier spricht über die letzten vier Minuten und 48 Sekunden des WM-Finales mit so einem ausdruckslosen und ruhigen Gesicht, wie er am 7. Juni 2019 auch in Mailand vor dem Automaten stand. Das Duell wurde mit mehreren Kameras live übertragen, Zuschauer konnten auf einem geteilten Bildschirm gleichzeitig Ostermeier von vorne, das Flipper-Spielfeld von oben, die Moderatoren an ihren Mikrofonen und den kleinen Ausschnitt auf dem Automaten mit dem aktuellen Spielstand sehen.

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Man sieht im Fernsehbild, wie Ostermeier sein schwarzes T-Shirt zurechtzupft. Eine Bewegung, wie sie Tennisspieler vor dem Aufschlag machen. Mehr unbewusstes Ritual als bewusstes Bedürfnis, das Shirt zurechtzurücken. Ostermeier legt seine Hände links und rechts auf den hüfthohen Kasten und tippt kurz auf die beiden centmünzengroßen Knöpfe, einer links und einer rechts außen am Kasten, mit denen er die Flipperfinger bedient. Die zittern kurz, noch ein Start-Ritual, dann wird die letzte Kugel ins Spielfeld gerollt.

"Ich war in dem Moment sehr entspannt", sagt Ostermeier im November 2019 im Familienkeller. "Ich wusste, dass ich nichts zu verlieren habe bei dem Spielstand und bereits Vizeweltmeister bin." Im Halbfinale hatte er gegen den Titelverteidiger gewonnen und traf nun im Finale auf den größten Favoriten, die Nummer eins der Flipper-Weltrangliste. Und er hatte dem Gegner bis dahin einen richtig guten Zweikampf geliefert. Es stand nach acht Spielen vier zu vier. Allein das war eine Sensation. Aber die eigentliche kam jetzt erst. Die Moderatoren hatten nun knapp fünf Minuten Zeit, um sich immer neue Superlative zu überlegen.

Beim Flippern muss er sowohl die Kugel als auch das gesamte Spielfeld im Blick haben. (Foto: Christian Endt)

Wie schnell es gehen kann, war ein paar Minuten vorher in diesem Finale zu sehen, als Ostermeier seine zweite Kugel spielte.

In einem Flipperturnier spielt man immer nacheinander an einem Automaten, jeder Spieler bekommt drei Kugeln. Wer am Ende mehr Punkte erreicht hat, gewinnt. Zeit spielt keine Rolle.

Bei Ostermeiers zweiter Kugel dauerte es exakt zehn Sekunden, um Acciari Platz zu machen. Seine Kugel rollte zum Start einmal die abschüssige Fläche runter auf die beiden Flipperfinger zu, Ostermeier berührte die Kugel drei Mal. Beim dritten Mal schießt er sie hart nach oben, aber nicht in eine kleine Röhre, die Punkte bringt, sondern genau an deren Kante. Mit unverändertem Tempo kommt die Kugel zurück, exakt zwischen die beiden Finger. Kugel weg. Zuschauen, wie Acciari von zwei auf drei Milliarden Punkte erhöht.

Ostermeier stellt regelmäßig neue Bestmarken auf. (Foto: Christian Endt)

Ostermeier stand mit vier Jahren das erste Mal an einem dieser Automaten, die seit den Sechzigerjahren die Bars und Kneipen der Welt mit Blinken und Bimmeln erfüllen. Ostermeiers Vater war bereits Flipperspieler, der Sohn stellte sich auf einen Stuhl und zockte mit. Er fand zunächst vor allem die Töne und Lichter spannend, merkte aber bald, dass er Talent für das Spiel hatte. Welche Art von Talent?

"Ich bin sehr reaktionsschnell", sagt der schlanke Mann. Früher hat er auch Fußball gespielt, aber was heißt bei einem 17-Jährigen schon früher. Eher neulich noch. "Ich habe da schon gemerkt, dass ich Situationen lesen kann, etwas vorausahnen." So etwas ist auch für einen Flipper-Meister essenziell. Er muss gleichzeitig die Kugel im Blick haben als auch das gesamte Spielfeld. Und er muss darauf achten, wo die Kugel gleich hinrollen könnte.

Wenn Ostermeier im WM-Finale die Kugel nicht an die Kante der Röhre haut, sondern in die Röhre, bekommt er einen sogenannten Multiball. Aber nur, wenn die Röhre gerade leuchtet. Dann hat er für einen gewissen Zeitraum bis zu vier Kugeln gleichzeitig im Spiel und kann dementsprechend besser punkten. Bei mehreren Kugeln ist die periphere Wahrnehmung noch wichtiger. Ostermeier muss dann sowohl mit einer Kugel zielen, die Rollbahn der nächsten berechnen und bei der dritten und vierten zumindest aufpassen, dass sie nicht in den Flipperschlund rollt.

Reaktionsschnell, gute Wahrnehmung. Das ist das eine. Dazu braucht es eine Strategie und schnelle Kenntnis des Automaten. Welche Bonuselemente kann ich wie treffen? In welcher Reihenfolge leuchten sie und signalisieren damit, dass man deutlich mehr Punkte bekommt, wenn man sie trifft? Wer all das gleichzeitig im Blick hat, kommt auch mal in einen Spielrausch, wie Ostermeier am 7. Juni.

Die letzte Kugel des 17-Jährigen rollt ins Spiel und landet ganz sanft auf dem sich genau im richtigen Moment absenkenden Finger. Der erste Touch für diesen Durchgang, er stimmt. "Nice Ball", sagt der Moderator. Ostermeier schießt die Kugel zur leuchtenden Röhre, er trifft, mehrfach. Die rechte Schulter geht mit, wenn der rechte Zeigefinger den Automatenfinger klickt. Nächster Multiball, "Twenty Millions!", ruft ein Kommentator. Aber noch ist das natürlich alles viel zu wenig. Die vier Kugeln haut Ostermeier immer wieder nach oben in die Röhre und die anderen Spielelemente. Die Millionen summieren sich langsam. Nach zwei Minuten sagt der Kommentator nickend: "He is playing to win."

Ostermeier hat sein Spiel bis zur Perfektion verbessert. (Foto: Christian Endt)

Das erste Turnier spielte Ostermeier mit zehn. Die Szene in Deutschland ist nicht groß, einige Hundert, schätzt der junge Mann. Sein Vater fuhr ihn damals hin, er begleitet ihn bis heute, "gezwungenermaßen", jetzt lacht Ostermeier dann doch mal. Ein 17-Jähriger, der gerade in den letzten Schul-Zügen liegt, der seit ein paar Monaten nun auch Erfahrung mit Fernsehen und Zeitungen macht. Ruhiger Typ, könnte man meinen. Macht ja auch einen Sport, in dem man nur zwei Finger bewegen muss. Und im richtigen Moment dann aber auch mal am Flipper rütteln.

Wenn die Kugel zentral herunterrollt, kann Ostermeier mit einem leichten Schubser des Kastens nach rechts an die Seite die Kugel mit dem linken Finger doch noch berühren. "Wenn man den Automaten aber zu heftig rüttelt, ist das ein Tilt." Ein kleines Pendel hängt in jedem Automaten, und wenn das zu sehr ausschlägt durch das Rütteln, gibt es einen Kurzschluss und die Kugel rollt in den Flipperschlund.

"Ich spiele gerne als Erster", sagt Ostermeier. Die meisten würden lieber nachziehen. "Aber ich mache gerne Druck." Unten im Keller stehen blitzende Ergebnisse dieser Spielart, allerdings noch die vom Vater. Der hat auch Pokale gewonnen, aber lange nicht so viele wie der Sohn. Dessen Trophäen, mindestens 50, stehen im ersten Stock, da ist mehr Platz. Auch der WM-Pokal, ganz oben.

Mailand, Juni, die dritte Minute der letzten Kugel von Ostermeier ist angebrochen. "Wow, nice, perfect, woooow." So klingen die Moderatoren mittlerweile. Ostermeier spielt den Jackpot hoch. Erreicht er einen Jackpot, verdoppelt sich die Punktzahl, die er für den nächsten bekommt.

Ostermeier tippt auf die Tasten, dass die Kugeln gerade noch so vom Finger abgefälscht und auf den anderen Finger bugsiert werden, statt unten herauszurollen. "Es ist noch ein weiter Weg", sagt der Kommentator nach drei Minuten. Aber Ostermeier wird immer sicherer. Er lässt eine Kugel auf die äußerste Außenkante des Fingers fallen, so dass er gerade so zum anderen Finger herüberspringt. Zwanzig Sekunden später holt er den nächsten Jackpot mit 120 Millionen. Die Nummer fünf gegen die Nummer eins. Im Verlauf des Finals gab es bereits einen Tie-Break. Und jetzt so ein Comeback?

Die meisten guten Spieler kommen aus den USA, aber im Finale ist nun ein Deutscher dabei, der erste Flipper-Weltmeister seines Landes zu werden. Der beste von insgesamt etwa 40 000 registrierten Flipperspielern auf der Welt. Viel zu gewinnen gibt es nicht, das Preisgeld liegt bei 1000 Dollar.

"Ich bin sehr reaktionsschnell", sagt der 17-Jährige. Und er kann beim Spielen Situationen lesen, etwas vorausahnen. (Foto: Christian Endt)

Als die Moderatoren gerade hochrechnen, wie nun der Jackpot steigt, lässt Ostermeier eine Kugel auf eine andere, die bereits auf seinem linken Finger ruht, aufschlagen, so dass die zweite Kugel leicht nach rechts hüpft und auf dem freien Finger liegen bleibt. Jeder Finger ist nun mit einer Kugel bewaffnet und Ostermeier zielt auf den Jackpot.

Ostermeier lächelt in seinem Keller jetzt ganz leicht beim Erzählen, die Hände auf einem der Geräte, jedes etwa 2000 Euro teuer und wartungsintensiv. Nebenbei erklärt er noch, warum das Flippern als Kneipensport gegen die Darts-Welle keine Chance hat. Eine Dart-Scheibe kostet 20 Euro und braucht kaum Platz. "Ein Flipper kostet 2000 Euro, braucht mindestens zwei Quadratmeter und geht auch mal kaputt."

Trotzdem stehen die Geräte noch in den Kneipen. In Kanada sind 20 Stück nebeneinander keine Seltenheit. Dort war Ostermeier auch schon. "Hat da aber keinen interessiert, als ich gespielt habe." Ein Kenner merkt sofort, wie gut Ostermeier spielt. Aber für Aufmerksamkeit ist in Nordamerika das Flippern einfach zu alltäglich, "obwohl ich so gespielt habe, wie die das wahrscheinlich noch nie gesehen haben". Und auch bei einer Schülerreise nach Prag konnte er mit seinen Fähigkeiten nicht sonderlich beeindrucken. Da war er schon Weltmeister und stand in einer Bar neben einem Argentinier und zwei Flippern. Der fragte Ostermeier auf Spanisch, ob er um ein Bier gegen ihn spielen würde. Ostermeiers Freunde warnten den etwas angetrunkenen Südamerikaner, "das ist der amtierende Weltmeister", doch der lächelte nur, verlor und zahlte.

Im Sommer in Mailand ist Ostermeier aber selbst eine Minute vor seinem Sieg noch weit von einem Triumph entfernt. Er steht bei 1,4 Milliarden Punkten, schwankt beim Spielen nach links und rechts mit dem Oberkörper, die Kugeln rasen hoch und wieder runter. "Der nächste Jackpot ist bei 240 Millionen", sagt der Kommentator. Eine Kugel droht Ostermeier über den Finger zu rutschen, doch er fängt sie mit einer Links-rechts-Kombination ein. 1,7 Milliarden.

Dann geht es auf einmal schnell, Jackpot, Jackpot. 2,3 Milliarden. "Er braucht noch zwei!" 2,8 Milliarden. "Das ist das größte Comeback aller Zeiten!" 2,9 Milliarden. "Oh mein Gott!" 3,25 Milliarden. Die Kommentatoren springen auf, die Zuschauer im Hintergrund jubeln, Ostermeier tippt. Im Display steht: 3 240 383 530 Punkte. Weltmeister. Ostermeier stützt sich ab, lächelt und spielt weiter, bis einer der Veranstalter zu ihm herantritt. "Der meinte zu mir nur kurz: You're done", sagt Ostermeier im Keller.

Der Weltmeister achtet darauf, wenn er einen der beiden Flipperräume verlässt, die Stromversorgung abzuschalten. Wenn zu viele Geräte am Netz hängen, fliegt die Sicherung raus.

Ostermeier kam von der WM zurück, ging wieder zur Schule. Verändert hat sich nichts. Er feuert die Münchner Löwen an, wann immer es geht, und seine größte Sorge ist die Weltmeisterschaft in diesem Jahr in Florida. "Da ist gleichzeitig das mündliche Abitur." Und das geht vor. Also ist es unklar, ob er seinen Titel verteidigt. Er möchte aber nach dem Abitur reisen, einige der Flipper-Spieler treffen, die er bei den Turnieren kennengelernt hat. Und dann? Studieren. Geschichte und Latein auf Lehramt. Es ist wahrscheinlich ein Beruf, der am allerwenigsten übermenschliche Reaktionszeiten wie die von Ostermeier benötigt. Aber vielleicht ein ziemlich guter Ausgleich.

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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