Filmfestival:Wer sind wir und wo gehören wir hin?

Filmfest Mittelpunkt Europa

Eine Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst: Im Film "Treasure City" aus Ungarn geht einiges zu Bruch, nicht nur Blumenvasen.

(Foto: Látókép Production Kft)

Im Schatten des großen Filmfests beginnt im Gasteig das Festival "Mittel Punkt Europa". Gezeigt wird junges Kino aus Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen und Belarus. Im Fokus: Fragen zur eigenen Identität.

Von Viktoria Großmann, München

Die Regenbogenflagge ist der Gegenstand, der das derzeitige Verhältnis der Münchner zu Ungarn beschreibt. Hier die tolerante Großstadt, in der seit den Neunzigern die Rosa Liste im Stadtrat sitzt, dort das immer restriktiver werdende Regime Viktor Orbáns, das Homosexuelle nun per Gesetz ausgrenzt. Aber die Gesellschaft, das zeigt ja das Symbol der queeren Community, ist bunt. Auch in Ungarn. Farbe in die Debatte bringen Filmemacher, zwei neue ungarische Werke werden im Juli auf dem Filmfest "Mittel Punkt Europa" im Gasteig vorgestellt, mit einigen Regisseuren wird man ins Gespräch kommen können.

"Ich werde deinen Laden zerstören, du faschistisches Stück Scheiße", schreit in "Békeidő/Treasure City" eine Frau eine Blumenhändlerin an. Es ist Nacht in Budapest, und es wird einiges zu Bruch gehen, es wird Tränen geben und auch Umarmungen. Wer sind wir und wo gehören wir hin, sind die Grundsatzfragen, die sich auch durch die Beiträge aus Tschechien, der Slowakei, Polen und Belarus ziehen. Noch mehr die Frage: Was ist aus uns geworden?

Was ist aus uns geworden, mehr als 30 Jahre nach der Überwindung der europäischen Teilung. Stehen wir vor einer neuen Teilung? Die stabilen, alten Demokratien auf der einen, die gefährdeten, jungen Demokratien auf der anderen Seite? Das Festival wird sich solchen Fragen etwa bei der Podiumsdiskussion "Filmschaffende in ,illiberalen Demokratien'" am 9. Juli widmen.

Filmfest Mittelpunkt Europa

"I never cry": Der polnische Film denkt nach über den Gegensatz zwischen Ost und West.

(Foto: Akson Studio)

Der Gegensatz zwischen West und Ost scheint nicht eingeebnet zu sein, wird im Gegenteil immer wieder neu verhandelt. Wenn in "I never cry" eine 17-Jährige aus Polen nach Irland fliegt, um den Leichnam ihres Vaters nach Hause zu bringen, der im Westen Geld verdiente. Wenn eine erfolgreiche Ärztin in "Preparations to Be Together for an Unknown Period of Time" aus den USA zurückkehrt nach Budapest - Illusionen folgend, an denen sie fast zerbricht.

"Mittel Punkt Europa" findet in diesem Jahr zur selben Zeit statt wie das Filmfest München. Zufällig, wie die Pressesprecherin Frances Jackson sagt. Man hatte sich bereits auf den 5. bis 11. Juli festgelegt, als das große Filmfest den Beginn erneut nach hinten verschob. "Der Masseur" wird auf beiden Festivals gezeigt werden, das Filmfest München ehrt die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska mit einer Hommage. Das ist aber auch die einzige Überschneidung.

Zeitgemäßer könnten die Themen des mitteleuropäischen Filmfests nicht sein. So steht ja nicht nur Ungarn im Fokus, sondern auch Belarus, das Gastland in diesem Jahr. Neben "Courage", der auch in regulären Kinos seit dieser Woche läuft, lohnt sich der Dokumentarfilm "Strip and War" (9. Juli, 21 Uhr). Er wurde 2019 gedreht, ein Jahr bevor das Land durch die Demonstrationen gegen Wahlbetrug ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit rutschte. "Du solltest auch für die Gesellschaft arbeiten, nicht nur für dich", sagt der Großvater, ein mit Orden behängter Militär-Veteran zu seinem Enkel, der Ingenieur ist, aber als Stripper arbeitet. "Du arbeitest auch nicht für die Gesellschaft, nur für einen großen Boss", antwortet der Enkel.

Filmfestival Mittel Punkt Europa, 5. bis 11. Juli, Gasteig, Infos und Karten unter mittelpunkteuropa.de

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