Das Theaterfestival „Rodeo“ der freien Szene MünchenKörper in politisch schwierigen Zeiten

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"One-Women-Horror-Show": Ines Hollinger (im Bild) und Theresa Scheitzenhammer setzen sich mit bösem Humor mit dem Muttersein auseinander. Ihre Performance "Heimsuchung" ist zum Rodeo-Festival eingeladen.
"One-Women-Horror-Show": Ines Hollinger (im Bild) und Theresa Scheitzenhammer setzen sich mit bösem Humor mit dem Muttersein auseinander. Ihre Performance "Heimsuchung" ist zum Rodeo-Festival eingeladen. (Foto: Daniela Pfeil)

Zwölf Produktionen sind zur diesjährigen Ausgabe von „Rodeo“ eingeladen. Das Programm für das Münchner Festival für Theater, Tanz und Performance wird zu Recht mit Spannung erwartet.

Von Yvonne Poppek

Ursprünglich waren sie nur da, um ihre Mannschaft zu unterstützen, die Fans anzufeuern mit ihren Choreografien, ihrer Akrobatik und ihren Pompons: die Cheerleader. Mittlerweile hat sich eine eigene Sportart aus dieser etwas rückständigen Seitenrandunterhaltung entwickelt und auch eine Form des politischen Protests, das „radical cheerleading“, entstanden in den Neunzigerjahren in queer-feministischen Aktionen. Tanz als Protest – diese Idee hat Zufit Simon in ihrer Performance „Radical Cheerleading“ aufgenommen. Wofür lohnt es sich heute, auf die Straße zu gehen? Welche Formen und Ästhetiken gibt es dafür? Um diese Fragen geht es in dem rund 70-minütigem Stück. Entstanden ist eine „Münchner Erfolgsproduktion“, ein „richtiger Knaller“. So sehen das zumindest die Kuratorinnen von „Rodeo“, des Münchner Festivals für Tanz, Theater und Performance. Konsequenterweise wird „Radical Cheerleading“ am 9. Oktober das siebentägige Festival der freien Szene eröffnen. Der Vorverkauf hat am 1. September begonnen.

Mit der Tanzperformance "Radical Cheerleading" von Zufit Simon eröffnet die achte Ausgabe von "Rodeo".
Mit der Tanzperformance "Radical Cheerleading" von Zufit Simon eröffnet die achte Ausgabe von "Rodeo". (Foto: Dieter Hartwig)

Alle zwei Jahre findet „Rodeo“ statt, die achte Ausgabe hat die Stadt München wieder in die Hände des Teams vom Theater HochX gelegt, wie bereits 2022 und auch schon vereinbart für 2026. „Ich erlebe das Team als Impulsgeber und Netzwerker der freien Szene“, sagte Kulturreferent Anton Biebl bei der Vorstellung des Programms im Juli. Mit etwas mehr als 300 000 Euro werde das Festival pro Ausgabe gefördert – das seien Steuergelder, die ausgegeben werden und für die sich das Hoch X auch rechtfertigen müsse, sagte Biebl. Er sei sich sicher, „dass es so passieren wird“. Das Festival ist an zehn verschiedenen Spielorten zu sehen, die Ticketpreise liegen – je nachdem, was der Geldbeutel hergibt – gestaffelt zwischen sechs und 30 Euro.

Antonia Beermann und Ute Gröbel, die beiden künstlerischen Leiterinnen des HochX, haben zusammen mit Anna Donderer das Programm kuratiert. Eineinhalb Jahre lang haben sie 100 Projekte „live gesichtet“, sagte Beermann. Zwölf haben sie ausgewählt, querbeet durch die verschiedenen Formen, Alter und Bekanntheitsgrade. Erstmals sind zwei Produktionen für junges Publikum dabei. Als verbindendes Element sieht Beermann Folgendes: „Es geht um den Körper, es geht um Berührung, und es geht auch darum, wieder durchlässig zu werden.“ Wie Körper behandelt werden, sei eine politische Frage. Beim Sichtungsprozess sei auffällig gewesen, wie stark die Münchner Szene sei, einerseits ästhetisch ins Risiko gehe und andererseits sehr nahbar bleibe. Landesweit hinken die Produktionsstrukturen in München allerdings hinterher, subsumierte Beermann. „Deswegen hat die freie Szene nicht die Sichtbarkeit, die sie verdient.“

Für eine Sichtbarkeit sorgt dabei „Rodeo“. Mit welcher Energie die Szene hier zusammenkommt, war schon auf der Pressekonferenz zu spüren, bei der die Performer, Regisseure und Choreografen ihre Projekte teils selbst vorstellten. Da wäre zum Beispiel Ines Hollinger, die zusammen mit Theresa Scheitzenhammer „Heimsuchung“ entwickelt hat, eine Soloperformance oder auch eine „One-Woman-Horror-Show“. Hollinger spielt 50 Minuten lang die auf das Muttersein reduzierte Kreatur. Es beginnt in einer Einbauküche, in der Hollinger, mit allerlei Bandagen bis zur Unkenntlichkeit maskiert, an ihrem Dasein kratzt, führt über Babygeschrei und ein knall pinkfarbenes Outfit zum Kindergeburtstag und dem Vorschlaghammer (12. Oktober, Einstein Kultur).

"Caregivers" setzt sich mit dem Thema Pflege auseinander, bei der Performance arbeiteten Pflegekräfte und Seniorinnen mit.
"Caregivers" setzt sich mit dem Thema Pflege auseinander, bei der Performance arbeiteten Pflegekräfte und Seniorinnen mit. (Foto: Franz Kimmel)

Quasi in einen anderen Kümmer-Bereich stoßen Judith Huber und Angelika Kautzenberger mit „The Ultimative Caregivers Playlist“ vor. Gemeinsam mit zwei Seniorinnen und vier Pflegekräften widmen sie sich dem Thema Pflege, Selbstfürsorge und Fürsorge (13. und 15. Oktober, Pathos Theater). In „Blackouts“ des Kollektivs „service not included“ darf das Publikum mit dem eigenen Körper mitarbeiten: Die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten Schrittzähler, sammeln quasi durch ihr Gehen die Energie, um die einzelnen Kapitel der Performance freizuschalten (9. Oktober, Pathos Theater).

„Blackouts“ gehört dabei mit fünf Stunden Dauer zu den drei langen Produktionen von „Rodeo“. Mit etwa vier Stunden Dauer ist „Bo Burnham vs. Jeff Bezos“ angesetzt, eine digitale Arbeit von Melina Dressler und Thalia Schoeller, bei der sie das gleichnamige Youtube-Video zur Grundlage nehmen, letztlich aber Vereinzelung und kollektives Erleben entgegensetzen (12. und 13. Oktober, Schwere Reiter). Die längste Dauer erreicht das einzige Gastspiel von „Rodeo“, „Nachtstück N°5“ von O-Team, mit rund elf Stunden. Das Publikum übernachtet hier im Theater – in dem Fall im Mucca. Jeder hat sein eigenes Bett, es gibt Objekttheater, Konzerte, Kunstinstallationen und Zustände zwischen Träumen und Wachen. Abschluss ist ein gemeinsames Frühstück (9., 11. und 12. Oktober).

Ein Bett im Theater: Bei „Nachtstück N°5“ von O-Team übernachtet das Publikum im Mucca, morgens gibt es ein gemeinsames Frühstück.
Ein Bett im Theater: Bei „Nachtstück N°5“ von O-Team übernachtet das Publikum im Mucca, morgens gibt es ein gemeinsames Frühstück. (Foto: Markus Niessner)

Eingeladen zum Festival sind zudem noch die Uraufführung „Transfigured“ des Duos Rykena/Jüngst (8., 10. und 11. Oktober, HochX), „Orakel“ von Caner Akdeniz (Performance, 11. und 12. Oktober, Schwere Reiter), Lulu Obermayer mit „Death Valley Junction“ (Performance, 13. Oktober, HochX), Sahra Huby mit „Hey Körper?!“ (Performance ab acht Jahren, 13., 14., 15. Oktober, Staatliches Museum Ägyptischer Kunst), die Alfredeo Zinola Productions mit „Things am Ende der Welt“ (Tanzperformance ab zwei Jahren, 14. u. 15. Oktober, HochX) und Léonard Engel mit „Orchids“ (Tanz, 14. u. 15. Oktober, Schwere Reiter).

Rodeo, Tanz-, Theater- und Performance-Festival München, 9. bis 15. Oktober, verschiedene Orte, www.rodeofestival.de

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