Feldmoching:Zurück zur Drohkulisse

Feldmoching: Kosmo oder SEM? In jedem Fall sollen auf den Äckern rund um Feldmoching Wohnungen für mehrere Zehntausend Menschen entstehen.

Kosmo oder SEM? In jedem Fall sollen auf den Äckern rund um Feldmoching Wohnungen für mehrere Zehntausend Menschen entstehen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Das neue Bündnis im Rathaus will im Norden wieder das baurechtliche Instrument anwenden, das die Bürger strikt ablehnen: die "städtebauliche Entwicklungsmaßnahme" - samt Enteignungsmöglichkeit.

Von Jerzy Sobotta, Feldmoching

Kaum sind die Posten im Bezirksausschuss Feldmoching-Hasenbergl neu vergeben, da zeichnet sich im Münchner Norden bereits der Zankapfel für die kommenden Jahre ab: Es geht um die Zukunft eines gigantischen Bauprojekts für mehrere Zehntausend Bewohner, das auf 900 Hektar Ackerland in und um Feldmoching entstehen könnte.

Im grün-roten Koalitionsvertrag, der die Marschrichtung im Rathaus vorgibt, wird das Projekt ausdrücklich erwähnt: "Die bisherigen Vorarbeiten für die Entwicklung des Gebiets im Norden werden beschleunigt weiterverfolgt", heißt es in dem Papier. Eine Absichtserklärung, zumindest, was das Tempo angeht. Nach weiteren Details sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich. Sie sind einem ähnlichen Projekt im Nordosten Bogenhausens vorbehalten, dessen Planung bereits viel weiter gediehen ist als in Feldmoching. Im Nordosten zielen Grüne und SPD auf ein Neubauquartier für 30 000 Einwohner.

Das Großprojekt in Feldmoching hingegen bleibt vage und wird nur mit einigen Sätzen gewürdigt: Die Vorarbeiten "sollen - wie im Gesetz vorgesehen - dazu beitragen, zunächst eine kooperative Lösung zu finden. Als nächster Schritt folgt dann ein städtebaulicher Ideenwettbewerb." Mit kooperativer Lösung ist die sogenannte Kosmo gemeint, eine Abkürzung die für "Kooperatives Stadtentwicklungsmodell" steht. Was sich genau dahinter verbirgt, ist bis heute unklar. Das Codewort Kosmo bezeichnet eine Verlegenheitslösung: Feldmochinger Landwirte und Grundbesitzer hatten vor zwei Jahren heftig gegen eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) protestiert, die als Ultima Ratio auch Enteignungen widerspenstiger Eigentümer erlaubt hätte. Eine Art Daumenschraube gegen Grundstücksspekulation also. CSU und SPD, anfangs für eine SEM, rückten angesichts der Proteste nacheinander von dem Vorhaben ab und kündigten stattdessen eine "kooperative Lösung" an. Kosmo kommt zwar ohne die Drohkulisse der Enteignung aus, wird aber auch teurere Boden- und folglich auch Wohnpreise nach sich ziehen.

Wie viel Geld diese Kosmo-Lösung die Stadt kosten und wie sie überhaupt rechtlich herbeigeführt werden könnte, soll seither das städtische Planungsreferat klären. 3,63 Millionen Euro hat der Stadtrat vor einem Jahr für Untersuchungen bewilligt. Ein Teilgutachten wurde Anfang April noch vom alten Stadtrat und im Schatten von Corona auf den Weg gebracht.

Erste Signale aus dem Rathaus deuten darauf hin, dass die im Münchner Norden bereits begrabene SEM durch die neue grün-rote Mehrheit im Stadtrat wieder auf die Agenda gehoben werden könnte. Um eine politische Wiederbelebung des Projekts hatten die Grünen sich bereits vergangenen Oktober im Stadtrat bemüht, waren damit allerdings gescheitert. Doch nun sind sie stärkste Kraft im Rathaus. Zwar wird die "kooperative Lösung" alias Kosmo im Norden vordergründig im Koalitionsvertrag erwähnt, allerdings ist sie mit dem vieldeutigen Wörtchen "zunächst" versehen. Ergänzend heißt es: "Die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) ist ein unverzichtbares Instrument der Stadtplanung, welches wir im Nordosten und Norden [!]der Stadt nutzen wollen. Wichtigstes Ziel aus unserer Sicht ist dabei die Schaffung von dauerhaft bezahlbarem Wohnraum." In diesem Satz ist sie wieder da, die SEM im Norden.

Stadtbaurätin Elisabeth Merk hat ihr erklärtes Ziel, das hochemotionale Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten, weitgehend erreicht. Die wachstumskritische Wählergruppe München-Liste (ML), die strikt gegen die SEM ist, hat mit Dirk Höpner nur einen Vertreter in den Stadtrat entsandt. Allerdings ist er der einzige Stadtrat aus Feldmoching-Hasenbergl, wo der Widerstand gegen die SEM am stärksten ist. Höpner wird sich in seinem Protest gegen eine mögliche Bebauung der Feldmochinger Äcker als Alleinvertreter des Stadtteils in Szene setzen können. Zudem hat die München-Liste ganze zehn Prozent im Bezirksausschuss (BA) geholt. Dort ist sie nun Teil einer Koalition mit der CSU, die sich ebenfalls gegen große Bebauungspläne ausspricht und offen den Kurs ihrer Stadtratsfraktion kritisiert.

Doch Stichwortgeber bleibt in diesem Team der Juniorpartner ML. Schon Wochen vor der ersten BA-Sitzung äußerte sich die München-Liste ablehnend zum Thema Bebauung: "Wir kritisieren, dass die neue Koalition (im Rathaus) die sogenannte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Nordosten sowie eine großflächige Bebauung für Zehntausende Bewohner und Arbeitsplätze im Münchner Norden weiterverfolgen will", heißt es in einer Pressemitteilung.

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